Porträt eines Tee-Fetischisten: Auf die Nase kommt es an
Als er seinen Löffel nicht findet, wird Stephan Krömer kurz nervös. Jedem Tee-Tester sein eigenes Hilfsmittel: Das muss natürlich nicht sein, jedoch hat man so seine Vorlieben. Kurzer Stiel, langer Stiel, tiefe oder schmale Laffe. Nach dem erfolgreichen Fund beginnt ein kräftiges, konzentriertes Schlürfen, wie man es noch nie gehört hat – von Tasse zu Tasse murmelt Krömer leise vor sich hin.
Bis zu 1.000 Tassen Tee am Tag musste der professionelle Verkoster während seiner Ausbildung in London analysieren. In England baute der gebürtige Hamburger sein Aromen-Gedächtnis auf, um sich in der Welt der Aromen zurechtzufinden: „Verkostungen laufen immer so ab: Gleiche Menge Tee, gleiche Menge Wasser, gleiche Ziehzeit – auch wenn es sich um unterschiedliche Teesorten handelt. Wie bei Wein ist es eine Frage des Trainings. Das Wichtigste ist die Nase. Das Probieren des Tees durch Schlürfen ist nur noch die Bestätigung.“
Wie der Vater so der Sohn
Der 57-Jährige fühlt sich derzeit wie ein Fisch ohne Wasser – ein Tee-Verkoster, der auf seine Reisen wegen der angespannten Lage verzichten muss. In seinem Leben vor Corona reiste Krömer einmal im Monat über die Ozeane zu den schönsten Landschaften der Welt.
Seine Freiheit beginnt, wenn er in Katmandu in einen kleinen Flieger wie aus einem Bud-Spencer-Film steigt und 45 Minuten über dem Mount Everest kreist, um sich in den immergrünen Himalaya-Teegärten mit Bauern zu treffen, die er seit Jahrzehnten kennt.
Die Faszination für Tee ist dem neuen Österreichischen Teeverbands-Präsidenten in die Wiege gelegt worden.
Schon sein Vater reiste als Tee-Tester in den 60ern und 70ern durch Indien und nach Sri Lanka: „Ich erzähle immer und immer wieder die Geschichte, wie ich als Bub davon beeindruckt war, wenn mein Vater mit Koffern voll Gerüchen und Geschenken wie geschnitzte Holz-Elefanten nach Hause kam. Der Koffer roch modrig nach den Monsun-Tagen und blumig von den Teesorten. Wenn meine Mutter ihm Tee zum Frühstück reichte und er sagte: Oh, ein Ceylon Uva Pekoe, wusste ich, dass ich das auch können will.“
Vom Tee-Zentrum Hamburg kam Krömer nach Österreich zu einem Zeitpunkt, als es hierzulande keinen einzigen Tee-Importeur gab, der den Handel belieferte. Gemeinsam mit Andrew Demmer baute er sein Unternehmen „Teegarten“ auf.
Auf der Suche nach Trends
Auf einen großen Trend sprang der Importeur und Chef der Firma Teegarten früh auf: Für zahlreiche bekannte Marken kreierte der Vater von Zwillingen Eistee-Mischungen.
„Der Matcha-Trend ist in den USA ungleich größer als bei uns. Dort gibt es viele kleine Matcha-Lokale. Als großen Trend zeichnen sich bei uns Wellness- und Gesundheits-Tees ab. Auch Bio ist in Österreich ein Thema.“
In Asien boomen wiederum Früchte-Tees aus Europa wie süße Mischungen mit Apfelstücken, die bei uns eher retro sind. Wer glaubt, dass wir schon alles kennen, der irrt: Neue Sorten von wild wachsenden Teebäumen werden noch immer in Japan oder China gefunden. So fand er wilden Rotbusch in Südafrika und importiere diesen für einen Kunden nach Kanada.
Anders als zu der Zeit seines Vaters werden Tee-Proben binnen zwei Tagen rund um die Welt geschickt: „Für einen Tee-Tester ist es unumgänglich, den Tee mit dem heimischen Wasser zu testen, denn durch die Zubereitung schmeckt Tee überall anders: Die Hamburger haben ganz weiches Wasser, das sich für Assam besonders gut eignet.“ Faustregel: Bei einer Ziehzeit von drei Minuten kann man bei Tee nichts falsch machen.
Teebeutel-Mehrheit
Generell habe der Tee-Konsum hierzulande durch den ersten Lockdown und Homeoffice zugenommen, allerdings leiden Firmen unter Umsatzeinbrüchen, die die Gastronomie beliefern.
Bei der Zubereitung wünscht sich der österreichische Teetrinker eine schnelle Handhabung, rund 90 Prozent setzen auf den bewährten Teebeutel. Insgesamt konsumierten die Österreicher zwischen September 2019 und September 2020 rund 542 Millionen Teebeutel, das entspricht einem Zuwachs gegenüber dem Vorjahr um 6,3 Prozent.
Was sagt der Experte dazu? „Der Tee in Teebeuteln ist um nichts schlechter. Von der Ernte bis in den Teebeutel dauert es rund neun Monate und danach lagern die Tee-Packungen in den Supermärkten. Im Geschmack sind lose Teeblätter etwas weicher und milder. Teebeutel etwas kräftiger und nicht so blumig. Die Papier-Verpackung schützt die Aromen.“
Der 90-jährige Vater blickt stolz auf die Karriere seines Sohnes, aber eines hat er nicht kommen sehen. „Vor mehr als 50 Jahren sagte er voraus, dass sich Teebeutel nicht durchsetzen werden.“
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