Vom Sternekoch zum Landwirten: "Ich bin ein sturer alter Bock"

KURIER: Sie kommen von einer Reise aus den USA zurück: Im Vergleich zu den USA ist es um die Ernährung bei uns besser bestellt, oder?
Franz Keller: In Österreich mit seiner klein strukturierten Landwirtschaft auf jeden Fall. In Deutschland ist die Situation nicht ganz so schlecht wie in den USA: In Städten wie San Francisco, Miami und New York gibt es mittlerweile viele Bauernmärkte, wo kleine Produzenten ihre Lebensmittel selbst verbreiten können. Jene Amerikaner, die wegwollen von Produkten aus der Massenindustrie, finden also Angebote. Generell sehe ich eine schreckliche Entwicklung in den USA: Fastfood ist noch immer viel billiger als Lebensmittel im Supermarkt. Bei Fleisch liegt der Bio-Anteil unter fünf Prozent. In den USA muss Rindfleisch besonders fett sein – Bio-Rinder können gar nicht so viel Fett anlegen.
In Österreich fordern Umweltschützer, dass Fleisch in Supermärkten nicht unter Rabatt-Aktionen fallen sollte. Fordern Sie das auch?
Wir haben in Deutschland die gleiche Diskussion. Ja, es geht um Wertschätzung dem Produkt gegenüber. Es wäre zwar nur ein kleines Stückchen, aber würde in die richtige Richtung gehen.
Haben Sie es je bereut, dass Sie aus der Gastronomie ausgestiegen sind?
Nein, erstens mache ich ja noch immer Gastronomie (Anm: der Sohn kocht im familieneigenen "Adlerhof"), damit ich mir es leisten kann, das Schwein ein Jahr lang nicht schlachten zu müssen. Das Geld für die Landwirtschaft kommt über die Gäste im Restaurant herein. Ich mache das alles, weil ich ein sturer alter Bock bin und weil ich es für richtig halte. Die Zeit ist reif, es hat noch nie so gut für Themen wie Umwelt und Nachhaltigkeit ausgesehen.
Ohne despektierlich sein zu wollen: Ist es für ein Mädchen wie Greta Thunberg leichter, mit der jungen Generation zu kommunzieren?
Natürlich. Junge Menschen lassen sich ungern von den Alten wie mir etwas sagen. Eine meiner Töchter, die bereits 40 Jahre alt ist, engagiert sich für Friday for future und Umweltschutz – das finde ich toll. Ich finde es nur schrecklich, dass manche meinen, dass wir Vegetarier werden müssen. So eine Haltung bringt keinem was: Die Menschheit wird sich nicht ändern, weil ein kleiner Teil so extrem lebt. Das ist ein Luxusproblem. Wir müssen das Problem Stufe für Stufe lösen.

Wie soll man beginnen?
Bei den Agrarsubventionen. Wir können nicht von unten beginnen und mit viel Geld riesige Viehwirtschaften fördern und dann den Preis für Konsumenten anheben: Das wäre asozial. Wir Deutschen haben das Beispiel Österreich vor der Nase, die Welt braucht unser Fleisch nicht. Wir können die Welt nicht verändern, aber unser Zuhause.
Was soll gefördert werden?
Qualität muss gefördert werden und nicht die Größe des Betriebs, dafür braucht es eine Definition von Qualität. Jetzt gibt man denen am meisten, die die Umwelt zerstören und das Grundwasser vergiften. Ich möchte die Diskussion gar nicht zwischen konventionell und Bio führen. Man kann auch in der konventionellen Landwirtschaft umweltverträglich arbeiten. Ich bekomme keinen Pfennig Subvention und bin nicht Bio-zertifiziert.
Warum könnten Sie sich die Landwirtschaft ohne Restaurant nicht leisten?
Haltung und Fütterung sind viel teurer, aber artgerechter: Die Tiere haben sehr viel Platz und machen mehr Arbeit. Bei mir leben 12 Tiere auf 200 bis 300. Ich will anständiges Fleisch für mich und meinen Gast.
Verfolgen Sie noch den Sternezirkus?
Manchmal verfolge ich die Karriere junger Köche, aber die Sterne interessieren mich nur am Rande. Ich wollte selbständig sein und hab mich von den drei Sternen damals verabschiedet. Je mehr Sterne, desto dünner wird die Luft. Wirtschaftlichkeit und Unabhängigkeit von Sponsoren schafft man nur mit Familienrestaurants oder einem Hotel im Hintergrund.
Sie prangern in Ihren Büchern immer wieder an, dass die Deutschen Kochshows lieben, aber trotzdem nicht kochen. Glauben Sie denn, dass ihre Rezepte in Ihrem neuen Buch wirklich nachgekocht werden?
Ich bin guter Hoffnung. Ich hasse es Rezepte zu schreiben. Meinen Kollegen sage ich immer, dass sie die Hobbyköche mit ihren präzisen Rezeptangaben und tollen Rezeptfotos frustrieren, dabei sollen doch die Leute ihre Angst vorm Kochen verlieren. Mein Verlag und ich werden demnächst kleine Youtube-Filmchen mit Rezepten produzieren – ganz ohne Gramm-Angaben. Was braucht es Gramm-Angaben für Karotten, wenn man eine ganze Karotte hat?
Folgt bald das nächste Buch?
Ich will jetzt meine Ruhe haben und mich darum kümmern, dass mein neues Buch Früchte trägt. Ich will Diskussionen führen, Politiker treffen und meine Rezepte mit Lesern kochen. Vielleicht schreibe ich in 15 Jahren mal einen Krimi.
Buch-Tipp: Franz Keller, Ab in die Küche!, Wie wir die Kontrolle über unsere Ernährung zurückgewinnen, 240 Seiten, ISBN 978-3-86489-266-0, 24 Euro, www.westendverlag.de
Koch
Franz Keller wurde in eine Winzer- und Gastronomenfamilie in Oberbergen am Kaiserstuhl hineingeboren. Seine Mutter wurde im "Schwarzen Adler" 1969 als erste Köchin Deutschlands mit einem Stern ausgezeichnet. Seine Ausbildung absolvierte er u. a. 18 Monate bei Paul Bocuse in Lyon
Landwirt
1993 stieg Keller aus dem Sterne-Zirkus aus und eröffnete die „Adler Wirtschaft“ in Hattenheim (Hessen), 25 Kilometer entfernt führt er seinen Öko-Bauernhof „Falkenhof“
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