Diese Street Art in 3D ist ganz schön herausragend
Der überdimensionale Frosch sprengt förmlich die Hausmauer. Ein riesiger Papagei hat eine Öffnung genutzt, um direkt aus dem tropischen Regenwald in ein Haus zu fliegen. Was müssen das für magische Wunderwände sein. Sogar ein blauer Dschinn wie aus Aladdin steigt hier aus einem Gefäß.
Doch geht man ein paar Schritte weiter, verlieren die Wände an Zauberkraft, die Bilder funktionieren nicht mehr. Kunst liegt im Auge des Betrachters, der Standpunkt bestimmt die Perspektive, heißt es so schön. Und bei dieser – im wahrsten Sinne des Wortes herausragenden – Street Art in 3D trifft das auf jeden Fall zu. Seit einiger Zeit sorgen Künstler mit ihren Spraydosen und Pinselstrichen im Internet (und in der realen Welt) für Furore.
Wilde Tiere bändigen
Einer ist Carlos Alberto GH aus Mexiko, der vor allem farbprächtige Tiere zum Leben erweckt: „Diese Art von Arbeiten ist großartig, um mit den Menschen zu interagieren. Sie vermitteln den Eindruck, als würde es sich um echte Objekte handeln. Du kannst im Bild posieren, als wärst du ein Teil davon“, sagte er einmal. Das macht auch Pierre Bertolotti alias Scaf (https://scaf.bigcartel.com), der mit Motiven der Popkultur oder mit gefährlichen Tieren spielt und sich dabei mit ihnen fotografieren lässt. Er fesselt ein Krokodil, schaut in den Rachen eines Tigers, ringt mit einem verärgerten Eichhörnchen um ein Taschentuch.
Ein Meister seines Fachs ist auch Leon Keer (www.leonkeer.com) aus Holland, der schon mal ganze Gebäude in Geschenkpapier einpackt – oder besser: es so wirken lässt. Er hat 1997 mit Street Art begonnen – damals schon hatte sie illusorische Effekte. „Mich interessiert Mathematik, daraus haben sich immer mehr komplexe Perspektiven-Formen ergeben“, sagt er zur . Er wollte nicht nur das Publikum erstaunen, auch sich selbst. „Ich mag es, das Auge der Betrachter auf falsche Wege zu führen, einerseits mit der 3D-Technik, andererseits auch im Erzählen von Geschichten“.
Leon Keer
Leon Keer aus Holland zählt zu den Weltbesten in der 3-D-Street-Art
Leon Keer ist ein Meister seines Fachs und der Illusion. Die Puppen aus dem Werk „7 Sins“ treten hier aus der Wand hervor – eine optische Täuschung. Sie war in München bei der Ausstellung „Magic City“ zu sehen
Leon Keer aus Holland zählt zu den Weltbesten in der 3-D-Street-Art
Leon Keer aus Holland zählt zu den Weltbesten in der 3-D-Street-Art
Leon Keer aus Holland zählt zu den Weltbesten in der 3-D-Street-Art
Leon Keer aus Holland zählt zu den Weltbesten in der 3-D-Street-Art
Zuletzt hat er mit „Shattering“ im schwedischen Helsingborg für Schlagzeilen gesorgt. Dort kommen überdimensionale aufeinandergestapelte Tassen gefährlich wankend aus der Hauswand hervor. Jede einzelne zeigt eine Szene, die auf die Zerstörung der Natur und den Klimawandel aufmerksam macht. Joost Spek hat dazu noch eine Augmented-Reality-App entwickelt, die das Gemälde noch mehr zum Leben erweckt. Mit der Technik springen die Häferl aus der Mauer hervor, bevor sie in Scherben gehen. „Mit meiner Arbeit kann man einen Ort ohnehin schon anders in Form und Funktion erfahren. Aber mit einer Extra-Dimension wie AR kann man das auf ein anderes Level heben.“
Street Art muss sich ja oft den Vorwurf gefallen lassen, bloß hübsch zu sein. Kritiker aus der Graffiti-Szene monieren, sie sei zu wenig politisch oder gesellschaftskritisch. Das will Keer so nicht auf sich sitzen lassen: „Bei Street Art bist du nicht im Studio. Du borgst dir einen Platz in einer Umgebung, in der du temporär präsent bist. Damit musst du respektvoll umgehen. Du musst die Gegend und die Menschen respektieren, die hier wohnen, sich treffen und sicher fühlen.“ Mit dieser Haltung will er dennoch Grenzen überschreiten, indem er Meinungen äußert oder auf drängende Situationen aufmerksam macht. „Aber nicht, indem ich mit dem Finger draufzeige, sondern schwierige gesellschaftliche Themen durch die Größe der Malereien verdeutliche“, meint Keer. „Natürlich möchten Menschen nicht die ganze Zeit mit Schlechtem konfrontiert werden. Aber sie können sich unterstützt fühlen. Und spüren, dass sie nicht alleine sind.“
Illusorische Malerei, die mit perspektivischer Darstellung Dreidimensionalität vortäuscht, gibt es schon lange. Der Fachbegriff für so ein Werk heißt Trompe-l’œil, was so viel heißt wie „täusche dein Auge“. Die ältesten erhaltenen Beispiele kennt man aus Pompeji. Seit der Renaissance – mit der Wiederentdeckung der Perspektive – erfreute sie sich in Profan- und Sakralbauten großer Beliebtheit.
Vor rund zwanzig Jahren sind auch einige Straßenmaler angetreten, klassische Werke wie Botticellis Venus durch dreidimensionale Kreidebilder zu ersetzen. Nicht selten tun sich in Fußgängerzonen plötzlich reißende Schluchten und Sturzbäche vor Passanten auf.
Bevor er mit seiner Arbeit beginnt, analysiert er den Ort, wie sich Licht und Schatten verhalten und was überhaupt in der kurzen Zeit möglich ist. „Du musst wissen, wie sich das Material bei bestimmten Wetterbedingungen verhält.“ Und natürlich müsse man wissen, wie man ein 2D-Gemälde auf einer Wand und Straße so gestalte, dass es plötzlich heraustrete. Er benutzt keine Projektionen als Vorlage. Das trübe nämlich den kreativen Geist, der Dinge vorantreibt. „Alles basiert auf Erfahrung. Du musst aus den Fehlern lernen.“
Bis ins kleinste Detail
Carlos Alberto GH wiederum greift für seine exotischen Tiere auf Fotos zurück, „damit meine Arbeit so real wie nur irgendwie möglich wird“, erzählte er dem italienischen Dare Clan Magazin. „Wichtig ist, dass man sich auf jedes einzelne kleine Detail konzentriert, nur so wird die Illusion perfekt. Wenn ich nicht von jedem kleinen Stück überzeugt bin, kann das ganze Gemälde für mich ein Verhau sein.“ Dass er auch ins kleinste Detail verliebt ist, wundert nicht. Bevor er 3D-Street-Art gemacht hat, hat er Kunstrestaurierung studiert. Die Inspirationen findet er – wenig überraschend – in der Natur.
„Ich bilde Tiere oder Menschen ab oder vermische das mit einer surrealen Welt. Manchmal will ich auch außergewöhnliche Kreaturen schaffen, dann wieder etwas ganz Einfaches, das aber sehr bedeutsam ist. Wenn ich an ein neues Werk denke, dann versuche ich immer den Kontext mitzudenken – die regionale Wildnis oder bedrohte Arten zum Beispiel.“
Tiere sind generell ein beliebtes Motiv bei den bekannten Street-Art-Künstlern. Bei Odeith (www.odeith.com) fliegen Insekten und Vögel aus der Wand, wenn er nicht gerade eine Queen Elisabeth im Palast sitzen lässt. Auch der seine wahre Identität verschleiernde Wild Drawing (Wild Drawing auf Instagram) aus Indonesien zaubert neben hochpolitischen Themen spektakulär surreale Uhus auf die Wände.
Street-Art-Künstler Wild Drawing
Wild Drawing verheimlicht seine Identität, sein Talent aber nicht. Der Künstler aus Bali wohnt in Athen, wo er auch gleich eine Eule hintrug.
Street-Art-Künstler Wild Drawing
Das Hotel in Cheltenham war seine erste Arbeit in England.
Street-Art-Künstler Wild Drawing
Wild Drawing
Street-Art-Künstler Wild Drawing
Wild Drawing
Street-Art-Künstler Wild Drawing
Wild Drawing
Street-Art-Künstler Scaf
Scaf inszeniert sich gerne beim Kampf mit wilden Tieren.
Street-Art-Künstler Scar
Scaf inszeniert sich gerne beim Kampf mit wilden Tieren.
Street-Art-Künstler Scaf
Scaf inszeniert sich gerne beim Kampf mit wilden Tieren - oder als Super Mario mit Bösewicht Bowser.
Street-Art-Künstler
Odeith aus Portugal malt gern Tiere oder macht aus Betonblöcken Busse. Er kann aber auch menschlich: ein Prince-Charles-Lookalike posiert mit der Queen.
Und wer weiß, vielleicht verschieben sich mit den Bildern nicht nur die Seh-Perspektiven, sondern auch die Sicht auf die Umwelt. „Kunst kann die Welt, in der wir leben, verändern“, meint Carlos Alberto.
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