So. Jetzt geht’s richtig los. Mit steigenden Temperaturen kommt die Wiener Psyche auf Hochtouren. Die meisten Konversationen – ein Jammertal. Bereits wenige Stunden, nachdem nach Wochen der Kälte endlich einmal die Sonne ihre Muskeln zeigte, ging das „Haß-is’“-Geächze los. Wenn man zart anmerkte, dass das doch durchaus ein Grund für Lebensfreude-Purzelbäume wäre, kam sofort ein: „Aber net so haß, des muaß ja net sein.“ Wenn’s nicht „haß“ war, schwenkte der Motz-Modus auf die Gelsenplage, den Regenmangel, die Qualität des Fernsehprogramms, die Raubritterzüge der SVA, die Hautkrebsgefahr und was das Universum in seinem Bauchladen an potenziellem Leiden sonst noch zu bieten hat. Nicht, dass man selbst über eine Dauersmiley-Psyche verfügt, aber dieses Nonstop-Genörgle nervt. Und macht auch richtig aggressiv. Freundin S stand jüngst in meinem Fadenkreuz. Sie ist eine Marie- Antoinette des gehobenen Mittelstands: hat einen Mann, einen Liebhaber, zwei Herzeige-Kinder, kaum Zellulitis, fantastische Leberwerte, reichlich Marc Jacobs im Schrank ... Aber auch diese Voraussetzungen produzieren unermessliches Leid. „Ich schaff das alles organisationstechnisch nicht mehr“, seufzte sie und starrte apathisch auf ihre penibel wilde Gartenlandschaft am Schafberg, „außerdem, wo soll die Reise jetzt noch hingehen?“ Ich riet ihr etwas zu lautstark zu ein bisschen Flutopfer-Tourismus nach Passau oder Taxenbach, um das neurotisches Unglück wieder unter Kontrolle zu kriegen. Sie sah mich mit einem wilden Blick an und sagte: „Diese Menschen sind ja nahezu zu beneiden, die haben echte Probleme.“ Kunstpause, Nachtrag: „Echte Probleme, die ganz einfach zu lösen sind. Doch welche Art von Katastropheneinsatz hilft bei Langeweile?“ – „Eine G'nackwatschn vom Schicksal! “, dachte ich jetzt sehr laut.
polly.adler[at]kurier.at
Polly Adler spendet in „Adieu Fortpflanz“ Trost und Ratlosigkeit von der Erziehungsfront und erzählt, warum man sein Kind zwar immer liebt, aber manchmal dennoch nicht leiden kann.
240 Seiten, 22,95 Euro bei www.thalia.at
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