Färb dir die Haare rot und schlaf' mit dem Tennislehrer
Narzissmus ist die It-Psychostörung der Saison. Gebrochene Herzen pflastern ihren Weg.
Die It-Psychostörung der Saison ist der Narzissmus. Wenn Frauen aus dem Woody-Allen-Bildungsmilieu zurzeit über Männer klagen, die genau dann nicht anrufen, wann sie es in Aussicht gestellt haben, ein Ego besitzen, das eine eigene Postleitzahl braucht, und mit entsprechendem Desinteresse für die Befindlichkeiten ihres Gegenübers ausgestattet sind, dann seufzen sie nur müde: „Klarer Fall von narzisstischer Persönlichkeitsstörung. Er müsste dringend in Therapie.“ Doch einem Narzissten zu erklären, dass er im Eiltempo mit seelischen Umbauarbeiten beginnen solle, ist in etwa so erfolgversprechend, wie Gloria Swanson Mitteilung zu machen, dass der Stummfilm mausetot ist. Ihr Weltbild ist beratungsresistent. Außerdem verspüren anständige Narzissten keinen Leidensdruck, sondern überlassen das emotionale Elend lieber ihrem Umfeld. Und das sind in meiner Wahrnehmung meistens Frauen. Denn der Narzisst ist oft eine Charmebombe, charismatisch und versteht auf der weiblichen Bedürfnisklaviatur auf Teufel komm raus zu orgeln, will sich aber nicht festlegen. Mit dem Endeffekt, dass die, auf die er sich nicht festlegen will, sich dann selbst mit letzter Kraft in den Therapiestuhl kippen. Auch ich bin schon unter solchen Umständen als deprimierendes Nichts vor einem Therapeuten gesessen. Er sagte damals einen Satz, der im Nachhinein zu meiner Befreiungsoffensive geführt hat: „Ihr Leiden hält seine Maschinerie warm. Die größte Kränkung für diesen Mann ist, wenn Sie aufhören zu leiden.“ Eine meiner verstorbenen Tanten hätte für gelebtes Nichtleiden eine sehr simple Rezeptur gehabt: „Färb’ dir die Haare rot und schlaf mit dem Tennislehrer.“ Nur ich spiele nicht Tennis und rot bekommt meinem Teint nicht. Irgendwann hat es trotzdem funktioniert. Und es war ein verdammt gutes Gefühl.
polly. adler[at]kurier.at
Polly Adler spendet in „Adieu Fortpflanz“ Trost und Ratlosigkeit von der Erziehungsfront und erzählt, warum man sein Kind zwar immer liebt, aber manchmal dennoch nicht leiden kann.
240 Seiten, 22,95 Euro bei www.thalia.at
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