Momente gedanklicher Provinzialität

Der mediale Ausnahmezustand: Eine ORF-Moderatorin ist schwanger.
Polly Adler

Polly Adler

Frau Weichselbraun hat weder die Krebsforschung um einen Quantensprung vorangetrieben oder sonst was vorgelegt.

von Polly Adler

über tiefe gedankliche Provinzialität

Letzte Woche der mediale Ausnahmezustand. Gestandene Reporter des Satans warfen die Nerven weg, weil sie noch keine Ultraschallbilder an Land gezogen hatten. Society-Chronisten gingen mit ihrem Handy schlafen, um nicht Bahnbrechendes wie die Geschlechtsbestimmung oder eine Analyse der Morgenübelkeitsverläufe zu verpennen. Das Syrien-Inferno, die Bomben-Anschläge in Afghanistan und der Türkei, die implodierte SPÖ – alles Kinderkram, verglichen mit diesen „breaking news“, die den meisten Tageszeitungen die Headline wert war: Mirjam Weichselbraun ist schwanger! Vorweg: Ich habe nichts gegen Frau Weichselbraun. Sie ist eine quirlige Plauderbegabung, die Menschen, die man auch nicht kennt, weil sie jetzt im Fernsehen tanzen, als Streckenwärterin betreut. Und deren Exhibitionismus-Ambitionen sie zeitschindend unterstützt und kommentiert. Das ist es aber auch schon wieder. Frau Weichselbraun hat weder die Krebsforschung um einen Quantensprung vorangetrieben oder sonst was vorgelegt, was den Weltenlauf belebt hätte. Angesichts der tosenden Aufregung, die dieses schöne, aber doch banale Ereignis hervorrief, fragt man sich erstens: „Geht’s noch?“ Und zweitens: „Wie viel Österreich verträgt dieses Land?“ Denn der Tsunami der Berichterstattung reflektiert auch die tiefe gedankliche Provinzialität, in der wir hier wohnen. Doch die Welt ist auch nicht viel weltgewandter. Denn ein paar Tage später verkündete Frau Jolie, dass sie sich beide Brüste amputieren hatte lassen. Diesem Outing hätte kein japanischer Reaktorunfall und keine Schweinebucht-Krise auch nur irgendwie Paroli bieten können. Auch dieses sehr private Weltereignis hätte man für sich behalten können. Aber hätte es dann noch irgendeinen Sinn gemacht?

www.pollyadler.at

polly. adler[at]kurier.at

Momente gedanklicher Provinzialität

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