Ich vermisse dich auch, Häselchen
Ich vermisse dich auch, Häselchen.
Der Klingelton der „Neunten“ bot die passende dramatische Untermalung für die folgenden Gespräche. Gespräche, die im Neun-Minutentakt stattfanden. Da-da-da-da! „Ja, mein Liebes … natürlich ... ich vermisse dich auch, Häselchen ... Wärm doch schon einmal das Bettchen vor ... Küsselchen“ D verdrehte die Augen bis weit über die Lidkappen, schaffte es aber dann doch nicht, seine Beziehungsnabelschnur abzudrehen oder auch nur an die Wand zu knallen. Wir enthielten uns elegant des Kommentars. Ansonsten pflegt man angesichts eines solchen Liebes-Abyss, der in Richtung pathologische Symbiose geht, zu sagen: „Hauptsache, sie sind glücklich!“ Wir kamen gerade ein halbes Gin’n’Tonic weiter, als Beethoven wieder Laut gab. „Honigbärchen ... ja, gleich ... Das Taxi habe ich schon bestellt ... nein, vor der Tür kann gar kein Einbrecher stehen. Die sind doch nicht blöd, diese Kleinkriminellen. Bei uns gibt’s doch nichts zu klauen ... Ja, ja, Papa ist gleich bei dir ...“ D nahm noch einen Schluck, hob hilflos die Schultern und machte den Abgang. Wir hielten ein paar Schweigesekunden für jene Mitbürger, die im Würgegriff derartiger neurotischer Zuwendungen zappelten. Dann sagte meine Freundin K, staubtrocken wie immer: „Wenn Beziehung so ausschaut, dann möchte ich das auch ganz dringend unter dem Weihnachtsbaum liegen haben.“ Am nächsten Morgen sollte sie ihr Parship-Profil für immer löschen. Zehn Minuten später nahm D wieder in unserer Runde Platz. „So, Freunde der italienischen Oper“, sagte er, „wie hieß dieser idiotische Spruch? Liebe ist, wenn du nie um Verzeihung bitten musst. In diesem Sinne!“ Er kramte sein Überwachungsgerät aus der Manteltasche und versenkte es in dem Rest von seinem Gin’n’Tonic, der glücklicherweise noch auf dem Tisch stand.
Polly-Lesung: 5.6., 19 Uhr, Thermalbad Vöslau.
polly. adler[at]kurier.at
Polly Adler spendet in „Adieu Fortpflanz“ Trost und Ratlosigkeit von der Erziehungsfront und erzählt, warum man sein Kind zwar immer liebt, aber manchmal dennoch nicht leiden kann.
240 Seiten, 22,95 Euro bei www.thalia.at
Kommentare