75 Jahre und schießt schneller als sein Schatten: Happy Birthday, Lucky Luke!
Album 100 ist der Auftakt zum großen Jubiläumsjahr. In Zeiten Blitze schleudernder Superhelden ist er ein Anachronismus. Was ist dran am Musterknaben, der schneller zieht als sein Schatten?
Für 75 sieht er verdammt gut aus. Den Stetson lässig in den Nacken geschoben. Darunter schaut frech ein pechschwarzer Haarschopf hervor. Der unverwechselbare Zauber seiner Montur: Blue Jeans, gelbes Hemd, rotes Halstuch, Weste. Sein Gesicht umspielt meist ein smartes, undurchdringbar zufriedenes Lächeln. Nur die Zigarette, die ihm früher zwischen den Lippen pickte, ist verschwunden. Lucky Luke war schon immer ein Musterknabe.
Nachdem er sich 1948 in „Rodeo“ den ersten Glimmstängel ansteckte, dämpfte er die Tschick 1983 im Album „Fingers“ für immer aus. Ein Grashalm tut’s auch. Ein Umstand, der übrigens darin gipfelte, dass er von der Weltgesundheitsorganisation WHO in Genf mit einer Medaille ausgezeichnet wurde. Man geht schließlich mit der Zeit – sonst geht man mit der Zeit. Und davon kann bei Lucky Luke nicht die Rede sein: 75 Jahre wird der schnellste Schütze des Wilden Westens. Immer noch ballert er ohne mit der Wimper zu zucken ein Loch in den Bauch seines Schattens – niemand zieht schneller als er.
Vorbild: Gary Cooper
Am 14. November bläst Luke an seinem Jubeltag wohl auch die Kerzen auf der Geburtstagstorte mittels Colt aus. Das Jubeljahr geht jedoch bereits jetzt los. Gestartet wird es mit Album Nummer 100, das im März erscheint. „Western von gestern“ beinhaltet seine beiden allerersten Abenteuer, die als Album bislang unveröffentlicht blieben. Wer sie kauft, wird womöglich erstaunt sein: So sah Lucky Luke also damals aus?
Anno 1946, als zu Jahresende der Zeichner Morris für den Almanach des legendären Magazins „Spirou“ eine erste 20-seitige Episode namens „Arizona 1880“ anfertigte. Luke wirkt klein und knuffig, nicht schlaksig-smart wie heute, sein Gesicht schmückt eine Knubbelnase – und er hat nur vier Finger. Zu erklären ist das, da Morris anfangs stark von den Disney-Zeichentrickfilmen beeinflusst war, dort war das gang und gäbe.
Dazu gesellten sich inspirative Schübe von Hergé („Tim und Struppi“) und den tolldreisten „Popeye“-Kraftmeiereien – dementsprechend rasant geht es auch im gesamten Abenteuer zu (Bumm! Klops! Peng!). Als charakterliche Blaupause dienten Morris für seinen Luke aber die wortkargen Cowboys aus den Hollywood-Western. Hauptsächlich Gary Cooper, der Kleiderschrank-breite und moralisch integre Marshal aus „High Noon“ – „vor allem dadurch, dass er sehr wenig sprach und im Wesentlichen mit ,Yep’ antwortete“, wie Morris einmal eingestand.
Allerdings existiert auch folgende Version: Nach dieser formte Morris Luke nach der Vermieterin des Zimmers, in dem er als Jungspund in Brüssel wohnte – und die war Kettenraucherin und trällerte immerzu das Lied „Je suis seule ce soir'“ („Ich bin heute Nacht allein“). Bei Luke wurde daraus „I’m a poor lonesome Cowboy“. Das Lied stimmt er stets an, wenn er nach einem überstandenen Abenteuer wieder mal auf seinem treuen Pferd Jolly Jumper allein in den Sonnenuntergang reitet: Er ist eingefleischter Junggeselle.
Wie es auch sei, all das kommt immer noch an: In 33 Sprachen erscheinen die Comic-Abenteuer von Lucky Luke, 300.000 Alben werden weltweit im Jahr an Mann, Frau und Kind gebracht. 30 Millionen wanderten in Deutschland insgesamt über den Verkaufstisch, 300 Millionen Mal verkauften sie sich erdumspannend. Was sich im Laufe seiner Entwicklungsgeschichte aber stets beibehalten hat: Die liebevolle Charakterisierung des zuvorkommenden Revolvermanns mit Talent zum Schnellschuss, die menschlich humorige Darstellung aller Figuren sowie die witzige und einfühlsame Diktion.
Sogar die Nebendarsteller sind durch die Bank Stars: Während Luke ein astreines Abbild heroischer Eigenschaften ist (auch aufgrund der Vorgabe von Morris’ Verleger Dupuis), feiern Fehl und Tadel bei der Gaunerbande der Daltons fröhliche Urständ’. Die „vier Ritter der Dummheit“ nannte Goscinny sie. Der geniale Szenarist an der Seite von Morris alias Maurice de Bevere prägte auch Asterix (auf Platz eins der meisterverkauften europäischen Comics vor Lucky Luke) entscheidend mit. Als Gegenpol ist dieses Weichbirnen-Quartett, das größentechnisch wie Orgelpfeifen daherkommt und sich zuverlässig für den dümmstmöglichen Plan entscheidet, unvergleichlich und treibt pfiffig die Handlung voran.
Superheld des Westens
Dazu kommen Rantanplan – der „Hund, der dümmer ist als sein Schatten“ trat 1960 als Parodie auf den klugen Kino-Kläffer Rin Tin Tin in „Den Daltons auf der Spur“ erstmals auf; zwischen 1988 und 2001 erhielt er sogar seine eigene Album-Serie. Und ein heimlicher Star ist selbstverständlich Lukes Pferd: Jolly Jumper, der Schimmel mit der blonden Mähne. Dass er auch Tee kochen und seiltanzen kann, sollte niemanden wundern. Immerhin wartet er stets auch mit altklugen wie sarkastischen Kommentaren auf. Seinen Reiter betrachtet er oft recht hochtrabend – und reitet dennoch jedes Mal mit ihm in den Sonnenuntergang.
Genau wie allerlei Figuren aus der Historie des Wilden Westens wie Billy the Kid oder Calamity Jane, die parodistisch aufs Korn genommen werden, zählen diese liebenswürdigen Charaktere zum Erfolgsrezept der Comic-Reihe. Wie aus der Zeit gefallen ist Lucky Luke damit allemal: In einer popkulturellen Phase, in der dunkle Ritter mit den Schatten der Vergangenheit hadern, Wunderfrauen in goldroten Stiefeln Blitze schleudern und eine Clique aufgedrehter Superkraftlackeln mit Persönlichkeitsstörungen für Gerechtigkeit kämpfen? Da ist der dem Leben wohlgesonnene, aber einsame Cowboy auf einem mehr oder weniger sprechenden Pferd ein Anachronismus aus der Mottenkiste.
Und wird das auch bleiben. Morris verfügte per Testament, dass nach seinem Tod weitere Luke-Abenteuer von anderen Zeichnern erscheinen dürfen. 2001 starb Morris mit 77 Jahren in Brüssel. Sein Nachfolger Achdé setzt sein Erbe getreu um.
Doch die Reihe erlaubt sich auch Hommagen. Zwei neue erscheinen im Sommer: „Wanted“ von Matthieu Bonhomme zeigt Lucky Luke kantiger und männlicher als gewohnt. Interessant wird sicher auch die Interpretation von Ralf König. Der Erfinder des „Bewegten Mannes“ ist berühmt für seine Storys aus dem Alltag von Schwulen. In seinem Album ist von zartbitteren Gerüchten rund um die sich gern prügelnden Cowboys Bud und Terence die Rede, von vollmilchig lila Kühen und anderen Extravaganzen. Titel: „Zarter Schmelz“. Man darf gespannt sein ...
WUSSTEN SIE, DASS ...
- Luke-Erfinder Morris (eigentlich Maurice de Bévère, l.o.) war der Sohn eines Pfeifenfabrikanten. Ein Jus-Studium gab er auf, um Comic-Zeichner zu werden.
- Er lebte sechs Jahre in den USA. In New York lernte er seinen Szenaristen René Goscinny kennen.
- Morris hat die Bezeichnung „Neunte Kunst“ für Comics kreiert.
- 1990 bringt die belgische Post die erste Briefmarke mit Luke raus.
- Zwischen 1983 und 2001 wurde die bekannte 52-teilige Zeichentrick-Serie produziert. Auch zwei animierte Kinofilme gibt es.
- Und drei Real-Verfilmungen, u. a. mit Til Schweiger und Terence Hill.
- Lucky Luke ist ein Findelkind.
- „Kid Lucky“ zeigt Lukes Kindheit.
- Es gibt Videospiele und Lego mit Lucky Luke.
- In „Fackeln im Baumwollfeld“ wird Rassismus in den Südstaaten thematisiert. Luke arbeitet mit einem schwarzen Marshall im Duo.
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