Wo jeder Gott willkommen ist

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Unter der Bezeichnung Erdkapelle wurde im Libanon ein Gotteshaus errichtet, dessen Architektur einerseits mit der Natur in Kontakt tritt und andererseits die Gläubigen zu Demut nötigt.

Es ist wirklich ein besonderer Ort, den sich die Architekten des in Byblos ansässigen Ateliers JPAG für ihre Erdkapelle ausgesucht haben. Innerhalb des dichten Al-Ozer Waldes im Libanongebirge offenbart auf einer Hügelkuppe eine schmale Lücke zwischen den Wipfeln einen Blick gen Himmel.

„Dort, in diesem vergessenen Raum, steht unsere neue Kapelle. Der aufgehenden Sonne im Osten zugewandt. Nur auf die einzigartige Landschaft ausgerichtet“, so die Architekten in ihrer romantischen Ausführung.

Erdkapelle als unabhängiges Gotteshaus

Alles schön und gut. Aber worum geht es? Ziel des Projekts Erdkapelle war es von vornherein, einen Ort zu schaffen, der als Rückzug wahrgenommen wird. „Es sollte ein einzigartiger Zufluchtsort für Menschen werden, die aus dem Chaos des städtischen Lebens weg wollen“, sagen die Entwickler. Er sollte zudem durch seine Schlichtheit den Blick auf den Reichtum der umgebenden Landschaft lenken.

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Das heißt: Reduktion statt Opulenz. So das Credo, das während des Design-Prozesses im Vordergrund stand. „Wir wollten die Reinheit und Einfachheit als Funktion verstehen lernen,“ heißt es aus dem Atelier. Das Resultat: Die gesamte Kapelle besteht in Wahrheit aus nicht mehr als einer perforierten Holzfassade. Es hat beinahe den Anschein, als wäre bloß ein hölzernes Gerüst errichtet worden, um vor Wind und Wetter zu schützen.

Landschaft, kommt herein

Und ganz so verkehrt ist diese Wahrnehmung auch gar nicht. Die zugrunde liegende Idee verfolgt vielmehr konkret den Plan, die umgebende Landschaft eintreten zu lassen. So ermöglichen die großflächigen Öffnungen, dass Wind und Sonnenstrahlen ungehindert in das Gotteshaus eintreten können. „Die durch das einfallende Licht entstehenden Schatten der umliegenden Bäume und Zweige wiederum dienen als einzige Verzierungen der Erdkapelle“, postulieren die Architekten.

Spirituelle Lagerfeuer-Romantik

Umgekehrt wirft in der Nacht der erleuchtete Innenraum sein warmes Licht aus der Kapelle in den Wald. So lässt die Erdkapelle in der Dunkelheit die umliegenden Bäume so erstrahlen, wie es sonst nur ein Lagerfeuer kann. Ebenfalls ein sehr symbolträchtiges Bild. Schließlich gilt Feuer seit jeher als spiritueller Sammelplatz der Menschheit.

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Diese Durchlässigkeit findet sich zusätzlich in der Überlegung wieder, wonach kein Baum der Erdkapelle weichen muss. Vielmehr wird das minimale notwendige Fundament aus Marmorplatten rund um die bestehende Baumwelt konstruiert. So werden bestehende Bäume schlichtweg in den Raum integriert, anstatt sie zu fällen.

Der Glaube schwingt mit

Das hat natürlich einen mit ziemlich jedem Glauben einhergehenden Hintergrund: Respekt vor der Natur. Es hat allerdings außerdem den Vorteil, dass die Erdkapelle nicht bloß in dem von den Architekten gewählten Stück Wald errichtet werden kann. „Dieses Konzept lässt sich an jeder Lichtung auf unserem schönen Planeten realisieren“, frohlockt das kreative Studio auch ganz offiziell.

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Um das Gefühl von Heiligkeit und Abgeschiedenheit an jedem Ort der Erde zu verstärken, wurde die hölzerne Struktur zudem 1,6 Meter über das Bodenniveau angehoben. Wenn man die Erdkapelle betreten möchte, versteht man aber auch den zweiten Grund für die gewählte Distanz zwischen Boden und Holzkonstruktion: Besucher können die Kapelle nur mit gesenktem Kopf betreten. „Als Zeichen des Respekts vor dem heiligen Raum“, heißt es.

Luftfilter der besonderen Art

Zusätzlich wurde eine Art Pufferzone eingerichtet, um den Außenbereich vom Innenraum zu trennen. Das sollte ein Gefühl der Filterung zwischen der Außenwelt und heiligem Raum schaffen.

Welcher Religion die Kapelle zugeordnet wird, ist derzeit jedenfalls ein Geheimnis. Den Architekten ging es dabei um die Idee, eine allgemeine Spiritualität zu verfolgen, die unser Leben als Gottheit per se versteht, heißt es zwischen den Zeilen.

Ganz egal also, wie man zu Glaube, Gott und Religion stehen mag -schön darf man diesen ungewöhnlichen Ort jedenfalls finden.

Text: Johannes Stühlinger Bilder: JPAG

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