Sandburg aus dem Drucker
Die übereinander geschichteten Gitterstrukturen der Sitzgelegenheiten und gestalterischen Module sind fein gearbeitet und sehen nach bodenständigem Handwerk aus. Die helle Farbe und die matte Oberfläche des Baumaterials Sand fügen sich in die traditionelle Architektur Saudi-Arabiens. Immerhin ist Sand jenes Material, das im Wüstenstaat am häufigsten vorkommt. Hinter der traditionellen Optik steckt allerdings kein minutiöses Kunsthandwerk, sondern eine Technologie, die State of the Art ist. Mit ihrem Projekt Sandwaves für die saudi-arabische Stadt Diryah haben die Architekturpioniere Arthur Mamou-Mani und Studio Precht bewiesen, dass die 3D-Drucktechnologie längst städtische Maßstäbe erreicht hat.
Die Zusammenarbeit der Architekten aus London und Österreich war eine klare Sache. Beide haben sich einer Architektur verschrieben, die Innovation und Nachhaltigkeit an die Spitze ihrer Prioritätenliste setzt. „Wir haben uns dazu entschieden, unsere Kräfte zu bündeln und Technologie und Natur in einem ganzheitlichen Design-Ansatz näher zusammenzubringen“, erklärt Arthur Mamou-Mani, Whiz Kid der neuen Disziplin Digital Craft.
Die Freiheit der Form
Sandwaves ist die bislang größte mit Sand gedruckte Installation der Welt und Teil des Sport- und Unterhaltungsevents Diryah Season. Es besteht aus 58 Modulen, die jeweils an die 160 Kilogramm wiegen. Die Architekten entwarfen urbanes Mobiliar mit Lounge-Bänken, Pflanzentrögen und integrierten Brise Soleils, die in der arabischen Baukultur verankert sind.
Die Wellenform und die perforierte Struktur der Sandwaves lassen unterschiedliche Schattierungen und Lichtspiele entstehen. Besucher erleben so etwas wie eine umgekehrte Virtualität. Der Effekt der immersiven Skulptur schafft illusorische Stimuli, die die reale Umgebung bisweilen virtuell erscheinen lässt.
Möglich ist dies dank parametrischen Designs. Dabei werden Formen geschaffen, die mithilfe eines Algorithmus generiert und bautechnisch berechnet werden. Es entstehen komplexe Strukturen, die an dreidimensionale Mandalas erinnern und mit herkömmlicher Bauweise nicht erreicht werden könnten. Digitales Design und 3D-Druck erweitern den Horizont in der Architektur und ermöglichen eine ungeahnte Freiheit der Form.
Das Cradle-to-Cradle-Prinzip
Beim Baumaterial Sand waren sich die Architekten einig. Abgesehen von der regional vorhandenen Fülle ist es ein durch und durch ökologischer Baustoff, denn: „Sand wird eines Tages wieder zu dem zerfallen, was es einmal war“ sagt Mamou-Mani und erklärt damit das Prinzip des geschlossenen Produktkreislaufs. „Wir glauben beide an den Cradle-to-Cradle-Ansatz im Design, bei dem Materialien verwendet werden, die in ihren ursprünglichen Zustand zurückkehren und keine Spuren hinterlassen.“
Sand wird eines Tages wieder zu dem zerfallen, was es einmal war.
Nachhaltiger und ressourcenschonender kann man eigentlich nicht bauen. „Die Sandwaves sind die Manifestation einer neuen Architektur, die wir in unserer Zeit brauchen“, sagt Chris Precht, der gemeinsam mit seiner Frau Fei Precht im Salzburger Hinterland an innovativen Architekturprojekten arbeitet. Ökologisch bauen heißt für ihn mit regionalen Materialien bauen. „In Bali ist das Bambus, in Österreich Holz und im nahen Osten ist es Sand. Die allerersten Bauwerke waren aus Sand und jeder weiß, was es braucht, um eine Sandburg zu bauen“, bringt es der Architekturpionier auf einen einfachen Nenner.
Bindemittel aus Zellulose und Mais
Mit Sand zu bauen sei demnach tief in unserer Kultur und in unseren Kindheitserinnerungen verwurzelt. „Mithilfe neuer Technologie ist es möglich, dieses Material auf innovative Weise einzusetzen“, sagt Precht und erklärt, wie die Sandwaves zu stabilen Skulpturen wurden. „Wir haben Furanharz als Bindematerial verwendet. Es wird aus der Zellulose von Nadelbäumen und Maiskörnern hergestellt.“ Also ebenfalls ein Material, das sich rückstandslos abbauen lässt.
Der 3D-Drucker trägt schichtweise Sand und Harz auf. „Sobald das getan ist, muss der weiche Sand vom Druck gepinselt werden wie bei einem archäologischen Fund“, veranschaulicht Precht. Durch eine chemische Reaktion entsteht zunächst eine schwarze Oberfläche, die mit einem Sandstrahler behandelt werden muss. Erst dann zeigt sich die feine, matte Oberfläche der begehbaren Skulptur.
Architektur fürs Gemeinwohl
Vorerst sind es nur urbane Gestaltungselemente, die mit Sand gebaut werden. In Zukunft könnten es ganze Städte sein. Mit ihrem Projekt Sandwaves möchten die Designer Vergangenheit und Zukunft gleichsam abfeiern. Sie sind Teil einer neuen Generation von Architekten, die dem Drang nach rein äußerlichen Superlativen abschwört und stattdessen auf Gemeinwohl und Nachhaltigkeit setzt.
Wahre Innovation baut auf den Errungenschaften der Vergangenheit.
„Wir glauben, dass wahre Innovation auf den Errungenschaften der Vergangenheit baut“, sagt Precht. „Visionäre und verantwortungsvolle Projekte setzen auf regionale Ressourcen. Die Sandwaves sind ein Beispiel für verantwortungsvolle Innovation, die sich positiv auf unsere künftige Baukultur auswirken kann.“
Text: Gertraud GerstFotos: Roberto Conte, Mamou-Mani Ltd, Precht Studio
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