Hanfbeton schlägt Wohn-Wellen
Der Name steht für „Schnur“. Man kann ihn aber auch mit „Bindfaden“ übersetzen, was fast, aber doch auch nicht so ganz der Intention entspricht. Denn der britische Architekturdesigner Antony Gibbon zieht mit „The Twine“ eine bewusste Grenze zwischen Bauwerk und Natur. Seine Vision einer Wohn-Welle ahmt zwar natürliche Strukturen nach, will sich selbst jedoch gar nicht „verbinden“. Der Entwurf des skulpturalen Gebäudes aus Hanfbeton soll die Landschaft vielmehr zur Schau stellen wie ein Kunstwerk, das Bewunderung verdient.
Spannendes Spiel mit Form und Material
Monumental und weitab von „normal“ sind die Bilder, die der Designer zu seinem jüngsten Projekt präsentiert. Das „Twine“-Haus zieht sich darin wie ein gedrehtes Band durch hügelige Umgebung. Noch ist es nicht mehr als ein Entwurf. Doch Gibbon hofft, es bald realisieren zu können. Eindrucksvoll ist sein architektonisches Spiel mit Form, Struktur und Material in jedem Fall. Und nicht nur das.
Aufs Erste wirken die langgestreckten Wohn-Wellen trotz ihrer verspielten Windung doch recht hart. Sie sehen aus wie eine Betonschleife, die grau und wuchtig in der Landschaft thront. Durch ihre Form bedingt zwar elegant, jedoch eben aus einem Material, das nicht eben an Nachhaltigkeit denken lässt.
Der Umwelt zuliebe: Hanfbeton
Allerdings: Genauere Betrachtung und die Lektüre der Beschreibung lohnen sich. Denn Gibbon hat keineswegs auf umweltschonende Aspekte verzichtet. Nur erschließen diese sich dem freien Auge freilich nicht beim Blick auf den Entwurf. Da sieht das Projekt aus, als wäre es einfach aus Beton – obwohl hier ein ganz anderes, deutlich nachhaltigeres Material zum Einsatz kommt
Schließlich will der Architekt, wie erwähnt, die Wände des „Twine“-Hauses aus Hanfbeton errichten. Und dieser hat mit seinem „Namensbruder“ Beton kaum etwas gemein. Der natürliche Verbundwerkstoff besteht vor allem aus dem Leichtholz der Hanfpflanze Cannabis Sativa, Schäben und kalkhaltigem Bindemittel. Weil die Schäben und der Kalk offenporige Struktur aufweisen, hat dieses Material niedrige Wärmeleitfähigkeit. Außerdem kann es viel Feuchtigkeit aus der Luft binden und so für gutes Raumklima sorgen. Als Bauteil vorgefertigt, hat Hanfbeton zwar geringe Druckfestigkeit, ist jedoch formstabil.
Ein ökologisches Plus von Hanfbeton ist etwa auch seine Fähigkeit, das Treibhausgas CO2 zu binden. Je nach Zusammensetzung werden dazu in Studien Werte von 70 kg CO2/m³ bis 307,26 kg CO2/m³ genannt. Diese sind höher als das CO2-Aufkommen bei Herstellung und Transport (rund 50 kg CO2/m³). Damit hat Hanfbeton eine negative CO2-Bilanz.
Kein Zement, viel Sonnenkraft
Auf Zement will Visionär Gibbon verzichten und rund 80 Prozent der CO2-Emissionen vermeiden. Auch an Energiegewinnung aus nachhaltiger Quelle ist gedacht: Oben auf den äußeren Enden der Wohn-Welle ist Platz für Solarpaneele vorgesehen.
Die geschwungene Behausung hebt und senkt sich regelmäßig über ihrer steinernen Plattform. Dadurch entstehen Zwischenräume, in denen sich zwei Wohneinheiten befinden. Zwischen diesen inneren Bereichen ergibt die Form zum Teil überdachte Terrassen, die zum Entspannen und Erholen im Freien einladen. Hohe Glasfenster öffnen die Wohnzonen nach außen, wo große Feuerstellen für gemeinsamen Outdoor-Genuss warten.
Erholungszone auf dem Dach
Im Inneren führt eine Wendeltreppe hinauf zum Dach. Dort sollen zentraler Spa-Bereich und Whirlpool den Bewohnern eine erhabene Ruhe-Oase bieten. Für Tageslicht in den Wohnräumen sorgen die meterhohen, bodentiefen Glasfenster und -Türen zwischen den Bögen.
Unkonventionelle Denkansätze
Von Hanfbeton bis Holz: Das Studio Antony Gibbon Designs ist für Aufsehen erregende Ideen bekannt. Im Gegensatz zu seinem viel besprochenen Baumhaus am Stadtrand der legendären US-Stadt Woodstock, harren viele davon bislang noch der Umsetzung. Dies macht sie allerdings keineswegs uninteressant. Denn inspirierend sind die unkonventionellen Entwürfe des Architekturdesigners allemal.
Da wäre etwa das Projekt „The Verge“, das sich an steile Klippen am Meer oder in den Bergen fügen lässt: Aus Holz oder Beton gebaut, würde es vierstöckige Wohnhäuser ergeben, die wirken, als wären sie vor Ort natürlich gewachsen.
Ähnliches gilt für Gibbons Wohnkapsel „Embryo“, die sich an Bäume schmiegen soll, ohne deren Wachstum zu behindern. Mit Schindeln an der Außenhaut, Lukentür und schmalem Treppenzugang erinnert dieses Baumhaus an ein Wespennest. Im Inneren zweistöckig, soll es Platz für vier Bewohner schaffen.
Welcher Gedanke hinter den meisten von Antony Gibbons Kreationen steckt, erläutert die Beschreibung des „Embryo“: „Die Idee war, die Art und Weise, wie wir heute leben, neu zu thematisieren“. Das Ziel: Eine ökologischere und einfachere Lebensweise. Eine, die den Verbrauch der Ressourcen unserer Erde bremst.
Ideen für sinnvollere Lebensweise
Mit diesem Ansinnen befindet sich der Architekt inzwischen in bester Gesellschaft. Auch große, berühmte Studios wie Henning Larsen oder MVRDV bemühen sich gezielt um eine Re-Union von Mensch und Natur, klimaneutrale Neubauten und nachwachsende Rohstoffe.
„Wir werden immer mehr von unserer natürlichen Umgebung getrennt“, stellt Gibbon fest. „Embryo“ ist Teil einer Reihe von Entwürfen, mit denen der Designer diesem Trend entgegenwirken will. Es gelte, die Gesellschaft auf umweltschonende Art wieder mit den Elementen und mit der Natur zu verbinden.
Ein „Bindfaden“ aus Hanfbeton
Insofern trifft also doch auch der Name der Wohn-Welle aus Hanfbeton den Nagel auf den Kopf: Mit „Twine“, zu deutsch „Bindfaden“, lassen sich Einzelteile miteinander verweben. Auch wenn sie auf den ersten Blick noch klar wie Gegensätze wirken.
Text: Elisabeth Schneyder Bilder: Antony Gibbon Designs
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