Die Zukunft wohnt im „Rainbow Tree“
Ist von spektakulärer, nachhaltiger Architektur die Rede, kommt man an Vincent Callebaut nicht vorbei. Kein Wunder. Die Entwürfe des in Paris ansässigen Belgiers sind stets visionär. Auf den ersten Blick wirken sie oft wie pure Science Fiction. Bei näherer Betrachtung handelt es sich allerdings um Projekte voller Ideen und Lösungen, die Umweltzerstörung und Verlust der Lebensqualität Einhalt gebieten könnten. So, wie der 115 Meter hohe Holz-Turm „Rainbow Tree“, den Callebaut für die Hauptstadt der philippinischen Insel Cebu designt hat.
Das Ziel des renommierten Öko-Architekten: Ein prachtvolles Wohngebäude mit doppelter Umwelt-Zertifizierung (LEED und BERDE), das Kultur- und Natur-Erbe würdigt. Mit 32 Stockwerken, 300 Wohnungen, Co-Working-Büroflächen, Restaurant, Swimming-Pool, Fitness-Center und „Sky Farm“. Rundum begrünt mit über 30.000 Pflanzen, Sträuchern und tropischen Bäumen. Ein organischer Turm, der die Prinzipien passiven Bioklimas und fortschrittlicher erneuerbarer Energien integriert. Benannt nach dem farbenfrohen Eukalyptus Deglupta – dem „Rainbow Tree“.
Buntes Pflanzenkleid
Der Stamm des außergewöhnlichen Eukalyptus-Baums schält sich permanent und ändert dabei ständig seine Farben. Beim Neubau soll eine Palette einheimischer Gewächse für ähnliche Effekte sorgen: Die Pflanzen, die den Wohnturm „kleiden“, werden gezielt gewählt. Und zwar so, dass sie eine regenbogenfarbene Spirale ums Gebäude bilden. Damit bringt der „Rainbow Tree“ frisches Bunt ins Stadtleben. Und dies ist längst nicht das einzige schöne Plus, mit dem das Projekt aufwartet.
Entstehen soll der Wohnturm inmitten des 50 Hektar großen Cebu Business Parks, wo bisher Beton- und Stahlbauten dominieren. Der „Rainbow Tree“ hingegen soll aus Massivholz errichtet werden. Callebaut hat ihn als gestaffelten geometrischen Stapel aus 1.200 Modulen konzipiert. Die Einzelteile haben jeweils vier Meter Seitenlänge und sind zwischen drei und fünf Meter hoch. Sie werden präzise vorgefertigt und standardisiert.
Historisches Vorbild
Inspiration für die Massivholzmodule holte sich der Architekt bei den so genannten „Bahay Kubo“. Die auch als „Nipa Huts“ bekannten Häuser aus Holz, Bambus und Palmblättern waren vor Ankunft der Spanier typisch für die Philippinen. Auf Stelzen gesetzt, verfügen sie über große, offene Innenräume, kluge Belüftung und ans tropische Klima angepasste Terrassen. Architektonische Grundlagen, die Vincent Callebauts Design des „Rainbow Tree“ übernimmt.
Die CLT-Struktur besteht aus einem zentralen Kern und einer Fassade, die wie ein Exoskelett angelegt ist. Dieses Außentragwerk macht tragende Wände, Zwischenstützen und Ummantelungen im Mittelteil unnötig. Die Innenräume sind dadurch offen, flexibel und ermöglichen allzeit individuelle Gestaltung.
„Äste“ für den „Rainbow Tree“
Eine Besonderheit sind auch die Holzbalkone des „Rainbow Tree“: Sie sind korbförmig und mit strukturellen Konsolen in die Fassade gesetzt. So, dass die Pflanzgefäße wie Äste eines Baums zum „Stamm“ des Turms hin nach unten sinken können. Zudem sind die Balkone zwischen den Etagen so gestaffelt, dass Palmen und Laubbäume auf die doppelte Höhe wachsen können.
Das Hochhaus ist mit Zedernholz verkleidet. Die verwendeten Bretter werden nach der alten japanischen Methode „Shou-Sugi-Ban“ behandelt. Dieses schwarz-silbrige „Yakisugi“-Holz wird durch tiefes Brennen der Oberfläche gewonnen. Dadurch soll es widerstandsfähiger gegen Feuer, Schädlinge und Pilzbefall werden.
Alter Trick fürs neue Haus
Zudem verleiht diese Technik dem Material heterogene Struktur, ohne seine Tragfähigkeit zu verändern. Von der Außen- zur Innenseite der Fassade liegen vier hitzebeständige Schichten: Kohle, Teer, pyrolysiertes Holz und Vollholz.
Die Yakisugi-Technik strebt hohe Umweltqualität an – ohne synthetische Chemikalien oder Einsatz zusätzlicher Energiequellen. Dieser Aspekt passt ebenso ideal zu Callebauts „Rainbow Tree“-Vorhaben wie die natürlich verwitternden Holzfassaden. Denn der Architekt will zeitgenössisches Design schaffen, das lokale Traditionen und Ideale einbezieht.Er integriert die indigenen, kolonialen und modernen Stile, die in Cebu City vorherrschen.
Smarter Klimaschutz
Callebauts Büro zufolge werden die 30.000 Gewächse, Sträucher und Bäume, die auf dem Turm gepflanzt werden, jährlich 150 Tonnen CO2 „einfangen“ und durch natürliche Photosynthese in Sauerstoff umwandeln. Dank seiner biobasierten Baumaterialien sei der „Rainbow Tree“ an sich schon sehr umweltfreundlich. Und er wird, so der Architekt, auch während des gesamten Bestehens klimaschonend bleiben.
„Wir leben in einer Zeit, in der wir radikale Lösungen zur Reduktion des globalen CO2-Fußabrucks finden müssen“, betont Callebaut. Durch die Holzbauweise lässt sich hier schon in der Bauphase viel erreichen. Wichtiger nächster Schritt ist der Einsatz passiver Systeme, erneuerbarer Energien und nachhaltiger Materialien. Schließlich muss auch der Betrieb des Gebäudes umweltfreundlich sein. Und diesbezüglich hat das spannende Projekt tatsächlich viel zu bieten.
Mit Schilf, Hanf & Zellulose
Der Turm profitiert von doppelter Isolierung – innen und außen – und natürlichen Materialien wie Schilfrohr, Hanf und Zellulose-Füllstoffen. Darüber hinaus hilft sein grünes „Kleid“, die Sonneneinstrahlung zu kontrollieren. Und die Verdunstungsaktivität der Pflanzen wird genutzt, um die gefühlte Temperatur auf den Balkonen um zwei bis fünf Grad zu kühlen.
Für natürliche Belüftung der Wohnung garantieren Windkamine. Sie durchziehen die gesamte Höhe des zentralen Kerns. Die Schornsteine saugen die Außenluft aus dem Stadtwald im Erdgeschoss ab. Diese durchschnittlich 29 Grad warme Luft strömt unter den erdbebensicheren Fundamenten hindurch. Dort liegt die thermische Trägheit des Erdreichs ganzjährig konstant bei 18 Grad. Natürlich erfrischt und auf 22 Grad gekühlt wird die Luft dann wie in einem Termitenhügel in die Wohnungen gedrückt.
Sky Farm „mit Fisch“
Zusätzlich zu den Gemüsekübeln, die auf den Balkonen des „Rainbow Tree“ prangen, sieht der Plan auf den letzten drei Etagen eine innovative Sky Farm vor: Eine Aquaponik-Anlage – also eine landwirtschaftlich genützte Zone, die Fischzucht und Pflanzenanbau auf nachhaltige Art kombiniert.
Die Sky Farm soll 25.000 Kilo Obst, Gemüse und Algen und 2.500 Kilo Fisch pro Jahr produzieren. Fast zwei Kilo Lebensmittel pro Woche für jede Familie, die im Turm wohnt, sollen dort gedeihen. Gewonnen werden diese bei gleichzeitiger Wassereinsparung von 90 Prozent. Ganz ohne chemische Düngemittel, Pestizide oder gentechnisch veränderte Organismen.
Geniales Mini-Ökosystem
Die Exkremente der Fische nähren die Pflanzen mit Nitraten. Durch diese Absorption wird das Wasser gefiltert und kehrt gereinigt in den Fischteich zurück. Dort kann der Kreislauf des Mini-Ökosystems dann nahtlos von Neuem beginnen.
Ein „lebender Markt" soll den Bewohnern die Möglichkeit bieten, landwirtschaftliche Produkte nicht nur zu kaufen, sondern auch vor Ort in gemütlicher Atmosphäre zu genießen.
Strom vom Dach
Die urbane Farm setzt Callebauts Design unter ein Solardach. Der dort produzierte Strom wird in Wasserstoff-Brennstoffzellen gespeichert. Warmwasser wird in einem Kreislauf zu den Bädern und Küchen der Wohnungen geleitet.
Obendrein erzeugen 16 axiale Windturbinen mit Magnetschwebetechnik an Ort und Stelle Strom – ohne jegliche Lärmbelästigung. Und das ganzjährig natürlich beleuchtete Gewächshaus bekommt verbrauchsarme LED-Lichtergänzung. Diese bildet das Lichtspektrum der Sonne nach, um ideale Bedingungen für die Photosynthese zu schaffen.
Prototyp „Rainbow Tree“
Für Callebaut ist der „Rainbow Tree“ ein Prototyp eines vollständig biobasierten vertikalen Waldes, der die Säulen der ökologischen Stadt der Zukunft berücksichtigt: Energieautarkie (Heizung, Kühlung und Elektrizität), Gebäudebegrünung und urbane Landwirtschaft. Sanfte Mobilität mit Fokus auf Fußgänger, Fahrradverkehr und elektrische Co-Mobilität. Und soziale Innovation durch gemeinschaftlich genützte Räume und Dienstleistungen.
Weil Prognosen davon ausgehen, dass bis 2050 schon 80 Prozent der Weltbevölkerung in Städten leben werden, drängt der Architekt: „Es gilt, so nah wie möglich am Verbraucher zu produzieren, ein Minimum an Ressourcen zu verbrauchen, Abfälle und Treibhausgasemissionen zu reduzieren“. Und zwar nicht erst „Morgen“, sondern „Jetzt“. Spektakuläre Entwürfe wie sein „Paris 2050“ sollen demonstrieren, was auf dem Weg dazu noch futuristisch scheint, tatsächlich aber bereits machbar wäre.
Noch bleibt es für viele Ideen des engagierten Meisters, der sich gern als „Archibiotect“ bezeichnet, beim Entwurf. Doch Projekte wie sein Wohnturm „Tao Zhu Yin Yuan“ in Taipeh oder sein beeindruckendes Konzept für Aix-les-Bains beweisen, dass Callebauts Pläne durchaus umsetzbar sind.
Realistische Vision
Was die Zukunft des „Rainbow Tree“-Vorhabens betrifft, stehen Angaben zum weiteren Prozedere bislang aus. Sicher ist indes: Wird der Wohnturm realisiert, bekommt die Liste der umweltfreundlichsten Gebäude der Welt einen neuen Platz-eins-Anwärter. Und ein weiteres Beispiel dafür, dass vieles, was eben noch unmöglich schien, erstaunlich sinnvoll und auch machbar ist.
Text: Elisabeth Schneyder Bilder: Vincent Callebaut Architectures
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