Die Architektur und das Henne-Ei-Problem
Gut. Aus wissenschaftlicher Sicht ist die Frage, ob zuerst die Henne oder das Ei da, war seit Darwin und seiner Evolutionstheorie geklärt. Und, nein, wir werden hier nicht tiefer in die biologische Sichtweise dazu eintauchen – hier können Sie das aber gerne nachlesen. Tatsache aber ist, dass es den Architekten von ZJJZ Atelier mit ihrem neuesten Projekt The Seeds gelingt, die Henne-Ei-Problematik in die Architektur zu übersetzen.
The Seeds sind einfach so passiert. Angeblich.
Das machen sie mit einem recht einfachen Kommunikations-Trick: Bei der Eröffnung der vier ausgesprochen eleganten Wohnkabinen in der südostchinesischen Provinz Jiangxi erklärten sie, dass die Form auch für sie eine Überraschung sei. Keineswegs habe man bei der Planung daran gedacht, den zum Tree Wow Hotel gehörenden Tiny-Houses die Form von Samen oder Schoten zu geben. „Das ist einfach passiert“, meinen die Architekten. „Anstatt imitierende Formen zu schaffen, konzentrierten wir uns auf die Entwicklung des Raumerlebnisses“, erklärt ZJJZ Atelier.
Kurz Halt. Weil: Die Auftraggeber haben halt schon vor der Planungsphase ausdrücklich ins Briefing geschrieben, dass die vier Luxus-Einheiten „jedenfalls von der Natur inspiriert sein sollen.“ Alles Zufall, oder wie? ZJJZ Atelier wollen das freilich differenzierter dargestellt wissen. Sinngemäß so: Dadurch, dass man sich darauf konzentrierte, den Menschen im Raum besondere Sichtebenen in die umgebende Natur zu ermöglichen, sei schlussendlich daraus logisch abgeleitet diese Form entstanden. Man habe sich zuerst gewundert und dann gefreut, heißt es. Aus architektonischer Sicht sind The Seeds also von sich selbst heraus so gewachsen, dass sie nun wie Samen aussehen.
Aluminium sorgt für Special Effect
Vermutlich ist dieses – nennen wir es Idee-Samen-Problem – nicht final zu entwirren. Schon gar nicht durch Charles Darwin. Aber es schafft freilich in der Erzählung über diese vier bewohnbaren Schoten eine überraschende Spannung. Eine, die sich bei genauerer Betrachtung zudem weiter –Achtung, billiger Wortwitz – fortpflanzt. Die ellipsenförmigen Ferienhütten sind nicht bloß mit Kiefernschindeln verkleidet, sondern zusätzlich mit Fliesen aus blitzeblankem Aluminium. Vor allem der Bauch der auf kleinen Stelzen ruhenden Seeds ist auf diese Weise fast zur Gänze verspiegelt.
Die Idee dahinter ist offensichtlich: So wird die Umgebung der idyllischen Wohnoasen von ihnen selbst gespiegelt. Somit verändern die Objekte ihr Aussehen im Laufe der Jahreszeiten, wenn sich die Farbe der Landschaft ändert. Und natürlich mit den täglich wechselnden Wetterbedingungen. Klingt auf Architektur-Chinesisch dann so: „Während die Kiefernschindeln den Strukturen eine warme, weiche Ästhetik verleihen, die sie mit der umgebenden Natur verschmelzen lässt, verankert die reflektierende Verkleidung jedes Haus in der Erde. So, wie die Wurzeln eine Pflanze im Boden verankern."
Runde Fenster eröffnen neue Blickwinkel
Soweit, so gut. Schauen wir uns nun aber jenes Innere an, dass (angeblich) das Äußere hat entstehen lassen. Jeder der vier Seeds ist über eine sanft ansteigende Außentreppe erreichbar. Im Inneren bieten die Hülsen den Gästen jeweils ein Schlafzimmer, ein Badezimmer, einen Lagerraum und einen Dachraum zum Entspannen.
In die Oberflächen jedes überdimensionalen Samenkorns sind runde Fenster eingelassen, die bestimmte Ausblicke in die Umgebung ermöglichen. Wir erinnern uns: Die Sichtebenen! Da sind sie also, in Form kleinerer Fenster an überraschenden Plätzen und in Bullaugen-Optik. "Die kreisförmige Öffnung an der Vorderseite der Struktur führt zum Beispiel auf die Terrasse. Ein rundes Fenster an der Seite des Gebäudes blickt auf den lichten Wald, und ein größeres Fenster im Dachgeschoss gibt den Blick auf den Himmel und die Äste der hohen Bäume frei“, so die Planer. So habe man von Anfang an eben die Natur integrieren wollen. Nicht anders.
Nicht-lineare Oberflächen als Stilmittel
Egal. Im Inneren sind The Seeds mit Holzbrettern verkleidet, die den fließenden Formen der „Außenhüllen folgen. Die verschiedenen Farbtöne des Holzes akzentuieren die geschwungenen Kurven der nicht-linearen Oberflächen“, heißt es in der offiziellen Beschreibung. Der Hauptraum jeder Schote enthält ein Bett, eine Badewanne und einen Loungesessel mit Blick auf die Terrasse. Geschwungene Öffnungen in der Wand hinter dem Bett ermöglichen den Zugang zu Badezimmer und Stauraum.
Eine elegante Treppe neben dem Eingang führt schließlich hinauf zu einer Lounge im Dachgeschoss, die den darunter liegenden Wohnraum überblickt. Ein weiteres sogenanntes Oculus-Fenster durchflutet diesen Raum mit Tageslicht und bietet auch vom niedrigen Sofa aus einen Blick nach draußen. Der perfekte Ort um über philosophische Themen wie das Henne-Ei-Problem zu sinnieren. Das wurde übrigens erstmals von Aristoteles aufgeworfen. In diesem Sinne: Viel Spaß beim Nachdenken.
Text: Johannes Stühlinger Bilder: Tian Fangfang
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