Bauen statt rauchen
Vorsicht: Hanf könnte Ihr Bewusstsein erweitern. In dem Fall das Bewusstsein darüber, wie angenehm und wohltuend es sein kann, in Gebäuden zu wohnen oder zu arbeiten, die mit dem Baustoff Hanfstein errichtet wurden.
Ökologisch Bauen mit Hanf
Botaniker wissen es zweifellos: Die Hanfpflanze wächst fünfzig Mal schneller als Holz. Somit kann auf der Fläche von einem Hektar innerhalb von fünf Monaten die für ein Einfamilienhaus benötigte Biomasse heranwachsen, rechnen Experten vor. Zudem wächst die Pflanze auf einer Höhe bis 1.900 Metern. Sie regeneriere den Boden und brauche weder Dünger noch Pestizide.
Und die Pflanze verhilft so manchem Bauträger und Architekten zu anerkannten Auszeichnungen: So haben die „Case di Luce” den Green Building Construction Award 2016 gewonnen. Die mehrstöckigen Wohn- und Geschäftsgebäude mit nahezu Null-Energie-Effizienzklasse wurden im Rahmen eines nachhaltigen Stadterneuerungsprojekts in Bisceglie (Puglia) errichtet.
Preisgekrönte Case di Luce aus Hanf
Dabei ging es darum, einen städtischen, verlassenen Industriestandorte mit erheblichen Umweltproblemen mit nachhaltigen und energieautarken Stadtmodellen neu und sinnvoll zu beleben. Die Case di Luce befinden sich in einer Öko-Parkanlage.
Und sie waren 2016 das erste nachhaltige mehrstöckige Wohnbauprojekt in Europa, das mit Hanfziegeln nach dem innovativen Bausystem Muratura Vegetale® und Natural Beton® der ausführenden Gesellschaften Pedone Working Group und Equilibrium Srl hochgezogen wurde.
Baustoff der Zukunft?
In Europa gibt es bereits etliche Hersteller von Hanfbausteinen, unter anderem das deutsche Unternehmen Naturbauhaus, die Südtiroler Schönthaler OHG, die belgische Isohemp SA oder die erwähnte italienische Pedone Working Srl. Die Komponenten der Hanfsteine sind immer Hanf, Kalk, Mineralien und Wasser.
Die Symbiose des ältesten Baumaterials der Menschheit, nämlich Kalk, mit der ältesten Kulturpflanze ergibt für die Hersteller den „Baustoff der Zukunft”. Die zwei Materialien werden in einem Kaltluftverfahren zu einem Ziegel gepresst.
Entlastung der Umwelt
„Die Baubranche ist einer der Hauptakteure in der Klimaproblematik. Sie generiert 50 Prozent der Abfälle und 40 Prozent der CO²-Emissionen. Das ist für die nächsten Generationen so nicht tragbar”, meint Fachmann Werner Schönthaler. „Wir sind der tiefen Überzeugung, dass wir in der Baubranche ökologische, langlebige und gesunde Produkte brauchen”. Bauen mit Hanf erfüllt für ihn diese Lücke. Hanfkalkstein bindet den Angaben zufolge mehr CO² als es abgibt und entlastet damit aktiv die Umwelt.
Die Schönthaler OHG hat im Schweizer Ferienort Flims eine „Hanfbar” gebaut, das „Café Lieto”. Daneben errichtet das Unternehmen aktuell in der Schweiz ein Neubau-Mehrfamilienhaus in Zürich, in Deutschland (Berlin) ein Mehrfamilien Gästehaus und in Luxemburg gleich vier Mehrfamilienhäuser mit Hanfziegeln.
Ausgeliefert wird hauptsächlich in Europa, aber es sei auch schon Mal ein Container nach China gegangen, berichtet Schönthaler. „Letztes Jahr haben wir rund 50 Sattelzüge auf die Reise geschickt, heuer wird sich diese Anzahl in etwa verdoppeln”.
Bauen ohne Dämmung
Durch sein schnelles Wachstum enthält der Industriehanf viel Silizium. Und die Verbindung des in den Hanfschäben enthaltenen Siliziums mit dem Magnesit des Kalks löst eine Carbonisierung, also Versteinerung, aus. Als Schäben werden die gebrochenen, holzähnlichen Teilchen bezeichnet, die bei der Erzeugung der Hanffasern im maschinellen Prozess der Entholzung der Stängel entstehen.
Das Endergebnis sind Ziegel, die hart wie Stein und äußerst beständig gegenüber äußeren Einflüssen werden. Die Hanfsteine gibt es in diversen Größen und Stärken. Nach etwa einem Monat Trocknungszeit können sie verbaut werden.
Die Verbindung mit dem Kalk macht das Material zudem brandsicher, insektenresistent und steril. Aufgrund der guten thermischen Eigenschaften brauche es keine zusätzliche Dämmungen, so Schönthaler.
Gute Kombination mit Holz
So könne man rasch bauen, zumal die Verarbeitung mit herkömmlicher Hand-, Kreis-, Band-, Säbel- oder Porenbetonsäge beziehungsweise Alligator oder normaler Fräse denkbar einfach ist. Auch die Langlebigkeit sei gewährleistet und die Wiederverwertbarkeit (Stichwort Cradle-to-cradle) gegeben.
Angesichts der in den vergangenen Jahren gehäuft auftretenden sommerlichen Hitzewellen, die das Wohnen und Arbeiten in Räumlichkeiten ohne Klimaanlage mitunter zur Qual werden lassen, kommt ein nicht uninteressanter Faktor beim Bauen mit Hanfsteinen hinzu: Die Hanfziegel dürften eine Art natürlicher Hitzeschutz sein.
Sommerlicher Hitzeschutz
Die ENEA (Agenzia nazionale per le nuove tecnologie, l'energia e lo sviluppo economico sostenibile), die italienische Umwelt- und Technologie-Agentur, untersuchte die Raumtemperatur von Hanfhäusern in Sizilien und im Veneto im Sommer: Auch ohne Klimaanlage pendelte sich die Innentemperatur auf rund 26° C ein.
Als weitere positiven Eigenschaften wird den leichten und diffusionsoffenen Hanfsteinen und -ziegeln eine hohe Schallabsorbtion und Schalldämmung zugeschrieben und die gute Bindung von Feuchtigkeit bescheinigt. Sie trügen so zu einer gesunden Raumluft bei, die positiven Einfluss auf die Gesundheit des Menschen habe.
Einsatz im Neubau und in der Sanierung
Die Anwendungsmöglichkeiten der Hanfsteine sind vielfältig: Von der Errichtung von Trenn- und Akustik-Wänden oder Außenwänden über die Neuerrichtung von Isolationsmauern oder als Vollwärmeschutz und als Innen- oder Unterfußbodendämmung bei existierenden Bauwerken bis hin zur Sanierungen von Altbauten.
Hanfsteine stind jedoch statisch nicht tragfähig, das bedeutet, die Statik wird mit einem Holz- oder Betonskelett gebaut. Die Hanfsteine selbst dienen als nichttragendes Ausfachungsmauerwerk. Da diese Ziegel einen hohen PH-Wert aufweisen, beugen sie Schimmel vor und eignen sich daher auch gut bei Renovierungen und für Maßnahmen zur energetischen Sanierung.
Ohne „Öko-Mief”
Dass die mit diesem Baustoff errichteten Objekte nicht klobig aussehen müssen oder ihnen ein „Öko-Mief” anhaftet, beweisen unter anderem die aufsehenerregenden Entwürfe und Realisationen des britischen Architekturdesigners Antony Gibbon, wie etwa das „The Twine” – ein Gebäude, das wie eine Welle aussieht.
Text: Linda Benkö Fotos: Pedone Working Srl, zvg, Schönthaler OHG, gettyimages / ArtistGNDphotography, Antony Gibbon
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