Die Alge als neuer Mitarbeiter

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Geht es nach dem Londoner Urban-Design-Büro ecoLogicStudio, werden Algen als besonders smarte Kollegen nicht nur die Luft säubern und wertvolle Proteine liefern, sondern auch architektonische Grenzen verschieben.

Die Corona-Pandemie war nicht der Auslöser, verleiht der Entwicklung aber neue Dringlichkeit. Denn eigentlich arbeitet das Londoner ecoLogicStudio bereits seit zehn Jahren an einer grundsätzlichen Idee, die im Rahmen der Architektur-Biennale bis 11. November 2021 in Venedig präsentiert wird: Mit Hilfe von Algen sollen die Raumluft verbessert, Kohlenstoffe gebunden und neue Nahrungsmittelquellen erschlossen werden.

Architektur trifft Mikrobiologie

BIT.BIO.BOT heißt das Projekt, das Architektur und Mikrobiologie verbindet. „Es trägt dazu bei, einige Logiken zu hinterfragen, die uns in die aktuelle Gesundheitskrise geführt haben“, erklärt Prof. Dr. Claudia Pasquero, Mitbegründerin des ecoLogicStudios und Leiterin des Institute of Urban Design an der Universität Innsbruck.

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Aus den Algen werden lebende Fassaden, die wie Raumteiler architektonisch flexibel verwendbar sind.

Tatsächlich läge es an jedem Einzelnen, globale Probleme in Angriff zu nehmen – täglich und im ureigenen Umfeld. Also auch am Arbeitsplatz: „Wenn es uns gelingt, verschmutzte Luft und konterminiertes Wasser in nahrhafte Lebensmittel umzuwandeln, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass uns Viren-Systeme über eine verseuchte Atmosphäre und ungesunde Lebensmittel Schaden zufügen.“

Mit der Kraft der Sonne

Claudia Pasquero hat das ecoLogicStudio 2005 gemeinsam mit ihrem Partner Dr. Marco Poletto in London als Architektur- und Urban-Design-Büro mit Schwerpunkt Bio-Digital-Design gegründet. Das Ergebnis nach mehr als zehnjähriger Forschung sind nun „lebende Fassaden“ (engl. „Living Claddings“), die wie Raumteiler architektonisch flexibel verwendbar sind und das Raumklima verbessern sollen.

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Bio-Bombolas sind Gebinde aus dem 3D-Drucker, die bis zu zehn Liter Algenmasse fassen.
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Die Bio-Bombolas sind vertikale Gärten, jeder soll bis zu 100 Gramm an Proteinen pro Woche liefern.

BIT.BIO.BOT nutzt dabei die grundlegende Technik der Photosynthese. Grob vereinfacht funktioniert das so: Angetrieben von der Kraft der Sonne sorgt der Stoffwechsel von Blaualgen (Spirulina Platensis) mit Hilfe lichtabsorbierender Farbstoffe wie Chlorophyll auf natürlichem Weg für die Umwandlung von Kohlendioxid in energiereichere Kohlenhydrate.

Besser als Bäume

Das Herzstück des grünen Zukunftsprojekts besteht aus einem sogenannten PhotoSynthEtica-Vorhang. Die durch Schweißnähte erzeugten Muster erinnern an Ziegelwände, fördern aber vor allem die Interaktion der Algen selbst in einem speziellen Bio-Gel. Die ausgestellten Vorhänge sind drei Meter hoch, einen Meter breit und beinhalten rund sieben Liter an Mikroalgen-Kulturen.

Jeder der Vorhänge kann pro Tag einen Kilo Kohlendioxid binden. So viel, wie im Durchschnitt 20 Bäume.

von Prof. Dr. Claudia Pasquero

Was die Algen so heldenhaft macht? Sie sollen noch effektiver als Bäume in der Lage sein, Kohlendioxid aus der Luft zu filtern. Und damit auch den Kampf gegen den Klimawandel unterstützen. Jeder der Vorhänge kann pro Tag ein Kilogramm Kohlendioxid binden. So viel, wie im Durchschnitt 20 Bäume. Für zukünftige Büro-Projekte, sagt Professor Pasquero, werden noch größere PhotoSynthEtica-Module entwickelt, die dann 144 Liter Algen zu fleißigen Kollegen machen.

Vertikale Protein-Zucht

Ergänzt werden die PhotoSynthEtica-Vorhänge im Rahmen der Architektur-Biennale in Venedig von einer weiteren Eigenkonstruktion: Bio-Bombolas heißen jene Gebinde aus dem 3D-Drucker, die bis zu zehn Liter Algenmasse fassen. Die Bio-Bombolas sind im Prinzip vertikale Gärten für den Innenraum und sollen in Zukunft auch in Privathaushalten der einfachen Zucht von Algen dienen. Bis zu 100 Gramm an Proteinen soll jeder dieser vertikalen Gärten pro Woche liefern. Das ist exakt die Menge, die für eine vierköpfige Familie als Tagesration empfohlen wird.

Drittes Biennale-Highlight aus dem Hause ecoLogicStudio ist das „Convivum“. An einem zwei mal zwei Meter großen Glastisch befinden sich 36 einzigartige Kristallobjekte, die exklusiv vom österreichischen Kristallspezialisten Swarovski gefertigt wurden. In diesen „Gläsern“ schwimmen frisch geerntete Algen, die zum Verkosten bereitstehen. Das Besondere daran: Die Kristallobjekte stammen aus dem 3D-Drucker und sollen durch ihre Struktur die Entwicklung der Algenzellen in bestimmter Weise fördern.

Lebende Fassaden verschieben Grenzen

Insgesamt verspricht man sich mit BIT.BIO.BOT laut Presseaussendung neben einer Erweiterung der kulinarischen Landkarte noch andere weitreichende Erkenntnisse: „Die ,lebenden Fassaden‘ definieren die Grenzen zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Reichen neu – und auch zwischen Indoor- und Outdoor-Architektur.“

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2005 gründete Prof. Dr. Claudia Pasquero mit ihrem Partner Dr. Marco Poletto das ecoLogicStudio.

Neues Zuhause in Tirol

Nach Ende der Ausstellung in Venedig wird BIT.BIO.BOT nach Wattens in Tirol (Österreich) übersiedeln. Dort soll das Algenprojekt im Zuge der Initiative Destination Wattens nicht nur als Lehr-Garten dienen, sondern die Gesellschaft auch tatsächlich auf zukünftige Essgewohnheiten vorbereiten.

In einer noch praxisnäheren Anwendung sollen Algen schon bald in Lissabon für gute Luft sorgen: Die ecoLogicStudios arbeiten gerade mit Nestlé an einem neuen, zukunftsweisenden Bio-Bürogebäude mit pflanzlichen Kollegen, die gesunde Nahrungsmittel produzieren. Mahlzeit!

Text: Hannes Kropik Bilder: Marco Cappelletti

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