Es kommt nicht auf die Größe an

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Für ein Budapester Ehepaar ist ein Wechselrichter der größte Luxus. Viel mehr hat in dem selbstgebauten schwimmenden Zweitwohnsitz auf dem Theiss-See aber halt auch nicht Platz.

Eigentlich haben Réka Neszmélyi und Balázs Máté alles. Eine schöne und geräumige Wohnung in Budapest. Einen großen Flatscreen im Wohnzimmer. Regendusche. Wohnküche. Auto. Und so weiter. Allein, das war ihnen irgendwie nicht genug. Oder, besser gesagt, es war ihnen zuviel des Guten. Also beschlossen sie kurzerhand, in Zukunft regelmäßig Urlaub vom Luxusleben zu machen. Im vielleicht schnuckeligsten Hausboot der Welt.

Neues Ziel: Theiss-See

Das ist sozusagen die Kurzfassung einer in seiner Gänze wahrlich romantischen Geschichte, die bis heute andauert. Und begonnen hat sie tatsächlich beim gemeinsamen Traum von Réka und Balázs, näher an der Natur zu leben. "Die Idee entstand aus unserer Liebe zur Region rund um den Theiss-See. Wir wollten diese Gegend außerdem besser kennenlernen und bewusster erleben", sagt Réka rückblickend.

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Dazu muss man sagen, der Theiss-See ist mit einer Gesamtfläche von 127 Quadratkilometern Ungarns größter künstlicher See. Er wurde 1973 ausgehoben, um das viel zu oft überschwemmende Hochwasser der Theiss in den Griff zu bekommen. An seinen Ufern und auf den vielen kleinen Inseln hat sich in den vergangenen Jahrzehnten allerdings eine lebendige Vielfalt entwickelt, von der viele natürliche Seen bloß träumen können. Sogar ein Vogelreservat hat sich an einem Teil des Sees etabliert, das man nur mit eigener Lizenz betreten darf.

Volle Fahrt Richtung pure Natur

Eben die dort so bunte Flora und Fauna wollte das junge Ehepaar also genauer unter die Lupe nehmen. Und das nicht etwa vom Ufer aus, sondern aus der Wasserperspektive. Jetzt kann man natürlich sagen: Hausboot kaufen, Problem gelöst. Aber so einfach ist die Angelegenheit am Theiss-See halt nicht. Grund: Das Wasser ist hier durchschnittlich 1,3 Meter tief. An vielen Stellen gar noch viel seichter. An ein Standardschinakel war somit einfach nicht zu denken.

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Also wandten sich die zwei Naturliebhaber an den Architekten Tamás Bene. Auftrag an ihn: Gemeinsam mit ihnen ein Hausboot zu bauen, auf dem sie wohnen können und das in den knietiefen Gewässern nicht auf Grund läuft. „Wir stellten uns damals ein Sommerhaus vor, das zwar nicht am Boden fixiert aber trotzdem an eben diesem See mit seiner besonderen Umgebung verortet ist“, erzählt das Paar. Also war recht schnell klar: Das Boot sollte in seiner Optik eine charmante Hommage an die vorherrschenden Elemente, denen man am Theiss-See begegnet, sein.

Schiffchen wie die Fischer

„Eine wichtige Inspiration für das Gesamterscheinungsbild waren die lokalen Fischerboote“, berichtet Tamás Bene von seinen ersten Designüberlegungen. „Diese Boote haben keinen bestimmten Designer. Jeder Besitzer entwirft und entwickelt sein Boot nach seinen eigenen Vorstellungen und Bedürfnissen. Darauf habe ich dann versucht, Bezug zu nehmen. Und zwar, indem ich nur kleine, unauffällige Zitate in das Styling des Bootes integrierte, die an die anderen Boote in der Gegend erinnern." Ein Unterfangen, das jedenfalls geglückt ist.

Wir stellten uns damals ein Sommerhaus vor, das zwar nicht am Boden fixiert aber trotzdem an eben diesem See mit seiner besonderen Umgebung verortet ist.

von Réka Neszmélyi und Balázs Máté

Wesentlich komplexer gestaltete sich allerdings die Inneneinrichtung des Hausbootes. Denn: Um nicht bei jeder Sandbank zu kentern, gleichzeitig aber wendig zu bleiben, musste der Kahn richtig klein ausfallen. Und da reden wir bitte von sechs Quadratmetern Fläche auf denen alles, was man so zum Leben braucht, untergebracht werden sollte.

Nur nicht aus der Balance kommen

„Bei der Suche nach einem Platz für alle Utensilien mussten wir außerdem noch bedenken, dass das Boot gut ausbalanciert bleibt“, so der Architekt. Wenn auf der einen Seite ein Kästchen untergebracht wurde, musste auf der anderen Seite ein ebenso schweres Stück platziert werden. Daraus ergab sich schließlich ein bewusst symmetrisch gestalteter Innenraum.

Puzzlespiel für Erwachsene

Dieses winzige schwimmende Zimmer gliederte das Trio nach einigen gemeinsamen Überlegungen schließlich in zwei flexible Bereiche. Eine Küche und einen Ess-Schlafbereich. „Die Bänke an den beiden Seiten des Esstisches verbergen geräumige Container", sagt Bene. Ein Gasherd wurde eingepasst, eine Trockentoilette ebenso. "Weitere Stauräume sind im Bug des Boots von innen zugänglich integriert.“

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Das Trinkwasser wird aus einer 20-Liter-Flasche mit einer fußbetriebenen Pumpe zum Wasserhahn befördert, so dass kein Strom benötigt wird.

von Réka Neszmélyi und Balázs Máté

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Die größtes Überraschung: Selbst für Gäste hat das Paar Platz! „Trotz der relativ geringen Größe fühlt sich der Innenraum sehr geräumig an. Vier Personen können bequem zusammen zu Abend essen", bestätigt Réka. Im Sommer können übrigens zusätzlich zum integrierten Doppelbett im Inneren die beiden Bänke auf dem hinteren Deck als zwei zusätzliche Einzelbetten genutzt werden. Auf dem hinteren Deck und über dem vorderen Fenster lassen sich leicht Moskitonetze anbringen, die etwaige Nachtgäste beim Schlafen schützen.

Der Strom kommt von der Sonne

Während das Boot von einem kleinen 9,9-PS-Verbrennungsmotor angetrieben wird, versorgen zwei Solarzellen auf dem Dach die Scheinwerfer, die Innenbeleuchtung und einen kleinen Kühlschrank mit Strom. Überschüssige Energie wird außerdem in einem Akku gespeichert, um den maximal möglichen Luxus gelegentlich auskosten zu können. Das Betreiben eines Laptops. Dafür haben sie extra einen besonders kleinen Wechselrichter eingebaut, der aus dem solaren Gleichstrom eben Wechselstrom für den Betrieb des „Bordcomputers“ macht.

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Um für diesen Spaß möglichst viel Strom sparen zu können, verzichteten die passionierten Flussfahrer gar auf eine praktikable Wasserpumpe. „Das Trinkwasser wird aus einer 20-Liter-Flasche mit einer fußbetriebenen Pumpe zum Wasserhahn befördert, so dass kein Strom benötigt wird", erzählen die stolzen Bewohner. Mit einer Flaschenfüllung können sie sich gut drei Tage lang versorgen.

Weltreise? Bald!

Das haben sie bereits ausprobiert: Drei bis vier Tage dauern die meisten ihrer Trips in die seichten Welten des Theiss-Sees. „Das Boot gibt uns die Möglichkeit, fast überall Zeit zu verbringen, zu essen, zu trinken, zu schlafen und zu erwachen. Das ist ein unbeschreiblich schönes Lebensgefühl“, sagen Réka Neszmélyi und Balázs Máté.

Eben deshalb wollen sie kommenden Sommer gar mehrwöchige Schiffsreisen in ihrer Sechs-Quadratmeter-Nussschale unternehmen. Und vielleicht gar irgendwann endgültig auf den wohnlichen Luxus im heimatlichen Budapest verzichten. Also statt raus aufs Land ganz hinaus auf den See ziehen.

Text: Johannes Stühlinger Bilder: Bene Tamás

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