Berufsunfähigkeit: ARBEITSWERTsicherung schützt vor Einkommensverlust
Michael Miskarik: Die Arbeitslosenzahlen sind seit Beginn der Pandemie enorm gestiegen. Hinzu kommen unzählige Betroffene in Kurzarbeit und eine nur langsam anlaufende Wirtschaft. Was bedeutet das für Menschen mit gesundheitlichen Problemen?
Jürgen E. Holzinger: Das Humankapital – also die eigene Arbeitskraft – ist für die meisten Menschen die wichtigste Einkommensquelle. Dementsprechend umfangreich sind die Auswirkungen, wenn die physischen oder psychischen Fähigkeiten zur Ausübung einer Erwerbsarbeit verloren gehen. Was vielen nicht bewusst ist: Mit einer Berufsunfähigkeit bzw. Invalidität ist in Österreich ein dauerhafter Einkommensverlust für die gesamte Restlebenszeit verbunden, obwohl alle Erwerbstätigen in der öffentlichen Pensionsversicherung gegen Berufsunfähigkeit pflichtversichert sind und damit ein Sicherheitsnetz vorhanden sein sollte. Dieses Sicherheitsnetz greift jedoch nur, wenn gewisse Voraussetzungen, wie beispielsweise Mindestbeitragszeiten, erfüllt sind.
Ein dauerhafter Einkommensverlust kann zu nachhaltigen finanziellen Problemen führen. Wer ist hier besonders hart betroffen?
Der größte Einkommensverlust entsteht, wenn die Berufsunfähigkeit am Anfang der Erwerbstätigkeit eintritt – also gerade in jener Zeit, wo bei vielen Betroffenen ein Eigenheim oder auch die Gründung einer Familie am Lebensplan stehen. Mit steigendem Lebensalter nimmt der Einkommensverlust durch eine Berufsunfähigkeit langsam ab, jedoch ist zu diesem späteren Zeitpunkt das Risiko groß, bereits erwirtschaftetes Vermögen zu verlieren und im schlimmsten Fall auf Dauer im Sozialsystem hängen zu bleiben. Laut Sozialministerium betrug die durchschnittliche Invaliditätspension 2020 – für Männer und Frauen – rund 1.140 Euro im Monat. Vor allem Frauen sind häufig armutsgefährdet und bekommen bei alleiniger Betrachtung nur rund 890 Euro im Monat. Parallel dazu steigen bei einer Berufsunfähigkeit oder Invalidität meist auch die Lebenserhaltungskosten durch Medikamente bzw. Therapien massiv an. Der Weg in die Armut ist damit häufig vorprogrammiert.
In „BU – das staatliche System“ können Interessierte die wichtigsten Themen rund um die Berufsunfähigkeit in Österreich nachlesen. Das Fachbuch kann unter akademie@chronischkrank.at um 39,90 Euro inkl. Versand bestellt werden.
In Österreich sind nur rund 4 % der Erwerbstätigen mit einer Berufsunfähigkeitsversicherung abgesichert und die durchschnittliche Versicherungssumme liegt deutlich unter dem erwarteten Einkommensverlust. Die Verbreitung dieses Versicherungstyps ist in den USA und in Deutschland mit etwa einem Drittel der Beschäftigten wesentlich höher. Woran liegt das?
Für die geringe Verbreitung in Österreich gibt es unterschiedliche Gründe: Einerseits wird das Risiko, berufsunfähig zu werden, falsch wahrgenommen und andererseits sind die Erwartungen an die staatliche Absicherung zu hoch. Hinzu kommt mangelndes Wissen über Versicherungsmöglichkeiten. In Österreich werden jährlich rund 55.000 Anträge auf BU-/Invaliditätspension gestellt, doch die große Mehrheit wird abgelehnt. Die Zahl an Ablehnungen steigt beinahe jedes Jahr, wie dies auch eine Grafik des Sozialministeriums zeigt. Die Betroffenen sind vielfach dem System ausgeliefert und durch die gesundheitlichen Einschränkungen fehlt vielen die Kraft, sich dagegen zu wehren.
Sehen Sie hier den Staat in der Pflicht? Oder wer trägt dafür die sozialpolitische Verantwortung?
Es braucht beim Thema Berufsunfähigkeit und dem dazugehörigen Reha-Prozess dringend eine tragfähige Reform. Die im Jahr 2014 in Kraft getretenen Änderungen haben nicht den gewünschten Erfolg gebracht. Vor allem im Bereich der Psyche braucht es mehr Maßnahmen. Mehr als 60 Prozent der Betroffenen sind auf Grund psychischer Probleme mit dem Thema Berufsunfähigkeit/Invalidität konfrontiert. Das Sozialministerium will den Fokus auf Prävention, Rehabilitation und die Stärkung der Gesundheitskompetenz legen. Schwerpunkte, um das effektive Pensionsantrittsalter zu erhöhen, sollen betriebliches Gesundheitsmanagement, Früherkennung sowie der Ausbau der ambulanten Reha sein. Als Verein ChronischKrank Österreich werden wir uns auch weiterhin sowohl für Betroffene als auch für eine umfassende Reform einsetzen.
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