Wiens zweitkleinster Bezirk: Dicht besiedelt wie Schanghai und doch ein Dorf
"Unser Bezirk ist praktisch so dicht verbaut wie Schanghai", scherzt Markus Rumelhart, Vorsteher des 6. Wiener Gemeindebezirks Mariahilf. Menschen aus 123 Nationen leben hier Tür an Tür. Und es wird noch dichter, noch internationaler: Zwar ist Mariahilf flächenmäßig der zweitkleinste Bezirk, dennoch wird die Einwohnerzahl in den kommenden 20 Jahren um 20 Prozent steigen.
Dies bringt freilich Herausforderungen mit sich: "Trotz der dichten Bebauung hat das Leben noch dörflichen Charakter", schildert Rumelhart. "Man kennt seinen Fleischhauer und seinen Trafikanten." Dieses Lebensgefühl möchte man erhalten: Möglichst viele Grünflächen sollen bleiben, ebenso wolle man Grätzelinitiativen wie Straßenfeste und Gemeinschaftsgärten fördern.
Die soziale wie kulturelle Durchmischung funktioniere derzeit gut, schildert Rumelhart: "Die Menschen wohnen dicht an dicht, dadurch lernen sie einander kennen. So werden Vorurteile rasch abgebaut." Nachsatz: "So gesehen hat der Platzmangel etwas Gutes." Problematisch seien freilich die hohen Wohnungspreise, räumt Rumelhart ein. Zumindest ein neuer Gemeindebau sei derzeit in Planung – inklusive Kindergarten und WGs für Senioren.
Einst grau und verstaubt
So attraktiv wie heute war der Bezirk übrigens nicht immer: "Im Gegenteil. Früher war er grau und verstaubt ", erzählt der Bezirkschef. Der Ausbau der U-Bahn und der Mariahilfer Straße und nicht zuletzt der Naschmarkt machten Mariahilf zum beliebten Wohnbezirk.
Stichwort Naschmarkt: Er ist einer der internationalsten Flecken in Mariahilf, 72 Ethnien sind dort vertreten. Zeinab Rashwan etwa kam vor 15 Jahren aus Ägypten nach Österreich. Sie betreibt einen Stand mit allerlei Schmuck und Bekleidung. Die Zusammenarbeit der Geschäftsleute funktioniere: "Wir kommen gut aus", sagt sie und lacht herzlich.
Das bestätigt auch Eleonora Galibov ein paar Stände weiter: "Hier am Naschmarkt funktioniert das Zusammenleben besser, als die Politiker behaupten." Sie zeigt nach links: "Ich komme aus Israel, mein Nachbar ist Araber. Wir haben keine Probleme miteinander."
Auch die Religion spiele bei der Arbeit keine Rolle, berichtet Urije Bekirovski. Sie kam vor 30 Jahren aus Mazedonien nach Wien. Sie selbst sei Muslimin: "Das ist hier aber egal. Was zählt, sind Fleiß und Menschlichkeit", erzählt sie, während sie Kartoffelpuffer mit Knoblauchsauce bestreicht.
Was Integration betrifft, haben einige der Standler übrigens bereits eine typisch wienerische Eigenschaft angenommen – das Raunzen. Die Geschäfte laufen einfach nicht mehr so gut wie früher, hört man am Markt immer wieder.
Wirt Gabriel Abramov etwa zieht ein Fotoalbum unter seiner Theke hervor: "Schauen S’, früher war der Markt viel schöner", erzählt er und blättert eifrig im Album. "Damals hatte jeder Stand sein Sortiment: Äpfel, Birnen, Orangen, Bananen."
Und heute? "Heute haben alle das gleiche: Falafel, Oliven und Wasabi-Nüsse." Damals gab es viele Stammkunden, heute fast nur noch Touristen. "Wie es jetzt ist, kann man es eigentlich vergessen", poltert er. "Schreiben S’ das – oder machen S’ eine ordentliche Zensur", scherzt er und lacht laut.
Lesen Sie hier noch Teil eins, Teil zwei , Teil drei und Teil vier der KURIER-Serie "Die Zukunft Wiens".
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