Wiens ÖVP-Chef Mahrer: "Das ist kein Kuschelkurs mit der SPÖ"
Was haben ein Pressetermin zum Thema Gewaltschutz am Reumannplatz, eine Finanzspritze für den strauchelnden Neustifter Kirtag und der Beschluss zur Gründung einer Europäische Schule gemeinsam? Alles davon wurde von der SPÖ mit der ÖVP gemeinsam verkündet. In den vergangenen Wochen merkte man eine deutliche Annäherung zwischen den beiden Parteien.
Es ist freilich nicht das erste Mal, dass die Stadt-Türkisen es mit einer Zusammenarbeit versuchen. Christine Marek, frühere ÖVP-Landesparteiobfrau, erklärte vor der Wien-Wahl 2010, dass sie gerne schwarze Copilotin im roten Jumbo-Jet sein wolle. Das Fazit: Die Wiener Volkspartei stürzte auf 13,99 Prozent ab.
Der jetzige Parteichef Karl Mahrer erklärt im KURIER-Interview, warum er trotzdem seinen derzeitigen Kurs hält.
KURIER: Ist Michael Ludwig der beste Bürgermeister für Wien?
Karl Mahrer: Ich habe mit ihm ein gutes Gesprächs-Verhältnis, Aber zwischen SPÖ und ÖVP gibt es große Unterschiede bei den Vorstellungen von Politik und der Zukunft in dieser Stadt. Trotz dieser Unterschiede initiieren wir als ÖVP gemeinsame Projekte im Glauben an eine konstruktive Zusammenarbeit in Wien.
Wollen Sie auch schwarzer Copilot im roten Jumbo-Jet sein?
Nein. Es ist ganz wesentlich, dass man als Opposition und Stadtregierung auf Augenhöhe miteinander spricht.
Trotzdem sind Sie am Anfang, besonders bei Integrationsfragen, einen harten Kurs gefahren. Jetzt wirkt es so, als hätte es einen Richtungswechsel hin zu einem Kuschelkurs mit der SPÖ gegeben?
Beides stimmt nicht. Diese Stadt ist wunderschön, aber es gibt auch Probleme und auf diese Probleme muss man hinweisen. Nach diesem Prinzip – hinschauen statt wegschauen – sind wir vorgegangen. Der wichtigste Punkt ist, nachdem man das Problem erkannt hat, dieses auch zu lösen. „Zug zum Tor“ interpretieren wir bei der Wiener Volkspartei als „Zug zur Lösung“. Diese Lösungen sind zweifellos kein Kuschelkurs, sondern sind der Beitrag zu einer konstruktiven Politik in Wien.
Das bedingt zwangsläufig eine Zusammenarbeit mit der SPÖ. Arbeitet man auf eine Koalition hin?
Jetzt ist nicht die Zeit für Koalitionsbildungen. Jetzt ist die Zeit für Problemlösungen. Die brauchen wir bei der Integration, im Bildungs- und im Gesundheitsbereich.
Welche Lösungen strebt man an?
Wir haben zum Beispiel das Ziel, die Spitalsambulanzen deutlich zu entlasten. Menschen müssen oft wochen- und monatelang auf Operationen warten. Da war unser Vorschlag, die aus der Coronazeit bekannte Gesundheits-Hotline 1450 als Drehscheibe zu nutzen, um Patientinnen und Patienten den richtigen Weg zu weisen. Das wurde nun nach unserer Initiative gemeinsam mit dem roten Gesundheitsstadtrat Peter Hacker auf den Weg gebracht.
Wiens-FPÖ-Chef Dominik Nepp hat Sie schon mehrfach als seinen besten Mann bezeichnet, da Sie dieselben Inhalte aufgreifen, Sie das in seinen Augen aber unbeholfener machen.
Er bezeichnet mich wahrscheinlich deshalb als seinen besten Mann, weil in der FPÖ sämtliche Kompetenz fehlt. Die FPÖ benennt die Probleme zwar auch, aber sie bringt keine konkreten Lösungen.
Sie haben Herbert Kickl schon als Sicherheitsrisiko bezeichnet. Warum?
Das wird deutlich, wenn wir sehen, was er in seinen 17 Monaten als Minister im Innenministerium angerichtet hat, unter anderem die Zerstörung des österreichischen Geheimdienstes. Die jüngsten medialen Berichte zeigen, dass er möglicherweise auch die Tür zum russischen Geheimdienst geöffnet hat. Darüber hinaus darf ich erinnern, dass Herbert Kickl auch aufgefordert hat, Karl Nehammer, Karoline Edtstadler und Alexander Schallenberg auf Fahndungslisten zu setzen. Er hat damit erstmals in der Zweiten Republik zur politischen Verfolgung aufgerufen. Ich halte das für unerträglich.
Die Wählerinnen und Wähler werden sehr genau unterscheiden, wer nur verbal zuschlägt und die Republik in Wirklichkeit zerstören will – und wer etwas verbessern will.
Aber trotzdem steigen die Umfragewerte der FPÖ. Was muss die ÖVP anders machen, damit das auch ankommt?
Umfragen müssen als Stimmungsbarometer natürlich ernst genommen werden. Auf der anderen Seite muss die Volkspartei das tun, was sie derzeit tut, nämlich auf allen Ebenen im Sinne der Österreicherinnen und Österreicher zu arbeiten. Die Wählerinnen und Wähler werden sehr genau unterscheiden, wer nur verbal zuschlägt und die Republik in Wirklichkeit zerstören will – und wer etwas verbessern will.
Bei den Wahlen in Salzburg und in Innsbruck hat die ÖVP kürzlich verloren. Warum tun sich die Türkisen gerade im urbanen Raum so schwer?
In Graz, Salzburg und in Innsbruck sind jeweils drei ganz spezifische Situationen. In Innsbruck war etwa eine der Ursachen das Auseinanderdriften einiger Parteien in 13 verschiedene Listen, die letztlich ihre politische Arbeit ausschließlich im Spalten gesehen haben. Das ist wiederum ein Lerneffekt, den wir auch nach Wien mitnehmen können. Nicht spalten, sondern zusammenführen – innerhalb und außerhalb der Partei.
Mit welchen Themen wollen Sie in Wien punkten?
Neben den Themen Bildung, Integration, Sicherheit und Gesundheit ist Eigentum eines der wesentlichsten Themen der Volkspartei. Das ist nicht nur irgendein Wert, sondern Eigentum ist die Voraussetzung für die Freiheit und die Selbstständigkeit der Menschen. Wir werden intensiv daran arbeiten, dass wir für junge Menschen wieder eine Perspektive für Eigentum schaffen können.
Werdegang: Karl Mahrer wurde nach dem Rücktritt von Gernot Blümel zum Landesparteiobmann der ÖVP Wien gewählt. Davor er unter anderem Vizepräsident der Landespolizeidirektion Wien.
Kontroversen: In den ersten Monaten als Parteichef fiel er mit einem harten Integrationskurs auf – und geriet mit diversen Videos in Kritik, auch innerhalb seiner eigenen Partei. Unter anderem mit einem vom Brunnenmarkt, wo Mahrer sich negativ über Unternehmer mit Migrationshintergrund äußerte. Er werde Sachverhalte, die komplex und sehr sensibel sind, nicht mehr in nur 35 Sekunden darstellen, erklärte er später im KURIER.
Wie realistisch ist das?
Es gibt keine einfachen oder kurzfristigen Lösungen. Ich wünsche mir im künftigen Regierungsprogramm noch viel mehr Anreize für viele junge Menschen. Auf Landesebene arbeiten wir bereits an einem sehr großen Ideen-Paket zum Thema Wohnen.
Kann man mit dem Thema Eigentum in Wien, der Hauptstadt des Gemeindebaus, überhaupt punkten?
In dieser Stadt hat alles Platz, ich will Sicherheit für beides, für Miete und Eigentum.
Die Europawahlen stehen an. Die ÖVP ist bereits in den Wahlkampf gestartet und bezeichnet sich selbst als Europapartei. Wie erklärt man Menschen, die skeptisch sind, warum es die EU braucht?
Der Beitritt zur Europäischen Union hat uns unendlich viele Vorteile in der wirtschaftlichen Entwicklung gebracht, bei der Schaffung von Arbeitsplätzen, in der Steigerung unseres Bruttoinlandsprodukts. Das waren ganz, ganz große Errungenschaften, die jedem Österreicher und jeder Österreicherin auch viel gebracht haben. Das heißt, wir stehen heute als Volkspartei noch immer und mit großer Festigkeit für Europa. Aber wir dürfen nicht ausblenden, dass in Europa auch manches schiefläuft.
Zum Beispiel?
Was in Brüssel entschieden wird oder von den Mitgliedsstaaten im Europäischen Parlament diskutiert wird, muss sehr kritisch dahingehend geprüft werden, ob wir uns nicht noch mehr in ein System der Überregulierung hineinregieren. Das muss gestoppt werden. Der zweite wesentliche Punkt, der in Europa schiefgelaufen ist, ist Asyl und Migration. Hier hat man seit der Flüchtlingskrise 2015 nicht ausreichend reagiert und sogar davor schon entscheidende Fehler gemacht. Inzwischen war und ist die Volkspartei Motor des Umdenkens beim Thema Asyl und Migration. Reinhold Lopatka ist ein idealer Spitzenkandidat, der als erfahrener Europapolitiker diese Themen kennt und ebenso die Notwendigkeit zur Veränderung.
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