Wiener Koalitionspoker: Vier Sieger – drei Möglichkeiten
So richtig verbergen kann man die Genugtuung bei der Wiener SPÖ nicht: „Wie ich ihn kenne, freut sich der Bürgermeister angesichts dieser Ausgangslage schon sehr auf die Koalitionsverhandlungen“, sagt ein roter Funktionär am Tag nach der Wahl zum KURIER. Sie könnte für Wahlsieger Michael Ludwig tatsächlich kaum günstiger sein: Mit ÖVP, Grünen und Neos stehen ihm gleich drei potenzielle Regierungspartner zur Verfügung, nur das rechnerisch ebenfalls mögliche Bündnis mit der FPÖ kommt politisch nicht infrage.
Alle drei Varianten würden eine größere Mandatsmehrheit für die Regierung als die aktuelle Konstellation bringen. Während sich Ludwig nach außen hin zu seinen Präferenzen noch bedeckt hält, zeichnet sich schon ab, welche Option die realistischsten Chancen hat (siehe unten).
Straffer Zeitplan bis November
Schon etwas konkreter ist zum jetzigen Zeitpunkt der Fahrplan zur neuen Wiener Stadtregierung, der kraft ihrer Mandatsstärke vor allem von der SPÖ bestimmt wird. Am kommenden Freitag bespricht und analysiert der Landesparteivorstand das Wahlergebnis. Die Woche darauf startet Ludwig Gespräche mit den anderen Parteichefs. Es folgt eine weitere Sitzung des SPÖ-Vorstands, bei dem Ludwig über die Ergebnisse dieser Sondierungen berichtet.
Um den Nationalfeiertag (26. Oktober) herum entscheidet dann die SPÖ, mit welcher Partei Koalitionsverhandlungen aufgenommen werden.
Sie werden anders, als man das bei Nationalratswahlen kennt, eher zügig vonstatten gehen. Auf Bundesebene, wo die Regierung vom Bundespräsidenten angelobt wird, steht sehr viel mehr Zeit für die Koalitionsverhandlungen zur Verfügung – was in der Vergangenheit oft auch weidlich ausgenutzt wurde. In Wien hingegen wird die Stadtregierung in der konstituierenden Sitzung des neuen Gemeinderats von den Mandataren gewählt. Bis zu diesem Zeitpunkt müssen die Verhandlungen abgeschlossen sein. Die Gemeinderatssitzung wird voraussichtlich am 24. November über die Bühne gehen.
Rot-Grün: Klar in der Favoritenrolle
Pro. Für viele innerhalb der SPÖ ist eine Fortsetzung der Koalition mit den Grünen die wahrscheinlichste Variante. Auch wenn jetzt schon feststeht: Dank ihrer Zugewinne wird die Öko-Partei einen zweiten Stadtratsposten beanspruchen können.
Rot-Grün ist mit einer Zustimmungsrate von 36 Prozent auch in der Bevölkerung mit großem Abstand die beliebteste. Das zeigt eine aktuelle Sora/ORF-Befragung.
Die Vorteile liegen auf der Hand. Rot und Grün kennen einander nach zehn Jahren gemeinsamer Regierungsarbeit sehr gut. Man hat ohne größere Friktionen sehr viele Projekte erfolgreich umgesetzt.
Wenn es rein um die inhaltlichen Schnittmengen geht, von denen Ludwig in Hinblick auf die anstehenden Verhandlungen immer wieder spricht, sind die Grünen ohnehin Partner der ersten Wahl: „Bis auf das Thema Verkehr haben wir in allen wichtigen Bereichen sehr gut kooperiert: Seien es Wirtschaft, Bildung, Daseinsvorsorge oder Klimaschutz“, sagt ein SPÖ-Funktionär, der namentlich nicht genannt werden möchte.
Contra. Dass eine Neuauflage von Rot-Grün scheitern könnte, liegt aus der Sicht mancher Roten an einer Person: Birgit Hebein: „Wenn sie sich in den Verhandlungen so verhält wie zuletzt im Wahlkampf, dann wird es schwierig“, sagt der Funktionär. Er meint damit das unkoordinierte Vorpreschen der Vizebürgermeisterin bei Projekten wie der „autofreien Innenstadt“. „Vassilakou war da schon wesentlich mehr um Ausgleich bemüht“, betont der Genosse und hofft, dass es den Grünen gelingt, ihre Frontfrau zu einem etwas besonneneren Auftreten zu bewegen.
Rot-Pink: Der Charme des Neuen
Pro. Ist es echte Zuneigung oder bloßes Verhandlungskalkül? Mit ausgesucht freundlichen Worten bedachte Michael Ludwig in der Endphase des Wahlkampfs und am Wahlabend die Neos: „Ich habe in den vergangenen Wochen und Monaten beobachtet, dass es mit den Neos vor allem in gesellschaftspolitischen Fragen Übereinstimmungen gibt“, betonte er am Sonntag. Diese gebe es aber auch in Bereichen wie Bildung, Klimaschutz und Verkehr, analysiert ein Roter. Ludwig und Neos-Frontmann Christoph Wiederkehr würden aber auch menschlich sehr gut miteinander auskommen: „Beide sind sehr ruhig und sachbezogen.“
Imagemäßig hätte das Bündnis den Reiz des Neuen. Ludwig könnte mit der Bildung von Rot-Pink für sich verbuchen, ähnlich mutig und innovationsfreudig zu sein, wie es sein Vorgänger Michael Häupl mit dem rot-grünen Bündnis 2010 war.
Als kleinster der drei Kandidaten wären die Neos zudem wohl ein relativ billiger Koalitionspartner für die SPÖ.
Contra. Ob die Roten mit einer Partei regieren können, die in vielen Bereichen klassisch wirtschaftsliberale Positionen vertritt, steht auf einem anderen Blatt. Fraglich ist auch, ob Ludwig in so schwierigen Zeiten mit einer Partei ohne Regierungserfahrung koalieren möchte. Hinzu kommt: Selbst Parteikollegen schreiben Ludwig grundsätzlich keine allzu große Innovationsfreude zu.
In der Bevölkerung kann man sich mit dieser Variante jedenfalls noch nicht besonders anfreunden: Nur neun Prozent wünschen sich laut der aktuellen Sora-Umfrage eine SPÖ-Neos-Koalition.
Rot-Türkis: Noch viele offene Gräben
Pro. In sehr schwierigen Zeiten spricht vieles für eine Koalition mit großer Mehrheit, mit Mitgliedern, die das Regierungshandwerk einigermaßen verstehen und die Wirtschaftskompetenz mitbringen. Das spricht vom Papier her für die ÖVP, die in Prozentpunkten mit Abstand die größte Wahlgewinnerin am Sonntag war. Zusammen mit der SPÖ könnte sich eine Zweidrittelmehrheit ergeben.
Es könnte sich herausstellen, dass der zuletzt stramm rechte Kurs der ÖVP und das ewige Hinhacken auf Wien eher Wahlkampf-Geplänkel und somit kein ernstes Hindernis für ein Bündnis wäre.
Hinzu kommt, dass Ludwig nachgesagt wird, in seinem Inneren ein Großkoalitionär der alten Schule zu sein. Für die ÖVP, so glaubt man zumindest in der SPÖ, ergäbe sich für Kanzler Sebastian Kurz die elegante Möglichkeit, Gernot Blümel vom Finanzministerium abzuziehen, wo dieser bisher keine allzu gute Figur gemacht hat.
Contra. Dennoch ist laut roten Insidern die erste SPÖ-ÖVP-Koalition seit mehr als 20 Jahren aktuell die wohl unwahrscheinlichste Variante. Ludwigs Zuneigung zur ÖVP beschränkt sich auf den alten „schwarzen“ Flügel rund um den Wiener Wirtschaftskammer-Präsidenten Walter Ruck. „Allerdings hat nicht er, sondern die türkisen Kurz-Anhänger in der Wiener ÖVP das Sagen“, gibt man in der SPÖ zu bedenken.
Hinzu kommen beträchtliche inhaltliche Differenzen, vor allem in wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen, etwa bei der Höhe der Mindestsicherung. Und ein tief verankertes Misstrauen der SPÖ, wonach es den Türkisen um Kurz primär darum gehe, den Roten Schaden zuzufügen.
Kommentare