Wiener Jugend: Politik kümmert sich zu sehr um Privilegierte

Wiener Jugend: Politik kümmert sich zu sehr um Privilegierte
Aktuelle Wertestudie ergibt kaum Unterschiede nach Migrationshintergrund, aber große nach Bildungsstand.

Über 90 Prozent der 16- bis 29-Jährigen in Wien sind mit dem Leben in der Hauptstadt sehr oder eher zufrieden. Das ergab eine aktuelle, repräsentative Studie des Instituts für Jugendkulturforschung. Frauen sind jedoch unzufriedener als Männer; zugleich sagen zwei Drittel der 800 Befragten, Frauen würden in unserer Gesellschaft massiv benachteiligt.

Noch deutlicher unterscheidet sich die Zufriedenheit nach Bildungshintergrund. Ist über die Hälfte jener mit höherer Bildung mit dem Leben in Wien sehr zufrieden, sinkt dieser Wert unter jenen mit mittlerer und niedriger Bildung auf knapp über ein Drittel. "Wir sehen also, dass in Wien eher Politik für die Privilegierten gemacht wird“, folgert Studienautor Bernhard Heinzlmaier. Zwei Drittel sind auch der Meinung, in Österreich würden die Armen immer ärmer und die Reichen immer reicher.

Integration funktioniert

Analysiert man die Ergebnisse nach Befragten mit und ohne Migrationshintergrund, gibt es hingegen kaum gravierende Differenzen. Für Heinzlmaier ein "sehr überraschendes“ Ergebnis – das zeige, "dass die Integration in Wien sehr gut klappt“.

Dass knapp zwei Drittel finden, das Management der Corona-Krise habe gezeigt, dass Experten und nicht die Regierung für das Land entscheiden sollten, sollte der Politik hingegen zu denken geben.

44 Prozent fürchten auch, dass die Politik Corona dazu missbraucht, Bürgerrechte einzuschränken. Bei der Aufschlüsselung nach Bildungsstand zeigt sich hier zusätzlich ein Paradigmenwechsel: Standen früher eher die höher Gebildeten der Staatsmacht skeptisch gegenüber, sind es heute vor allem die niedrigeren Bildungsschichten.

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Auch das sei ein Indiz dafür, dass diese das Gefühl haben, der Staat agiere vor allem im Interesse des oberen Gesellschaftsdrittels, sagt Heinzlmaier.

Corona-Ängste

In erster Linie sind die Sorgen und Ängste der jungen Wienerinnen und Wiener jedoch materieller Natur: 48 Prozent fürchten sich davor, später keinen Job zu bekommen; 46 Prozent davor, arbeitslos zu werden. Gleichzeitig wünschen sich in etwa drei Viertel der Befragten einen Mindestlohn von 1.700 Euro brutto und eine Arbeitszeitverkürzung auf 35 Stunden pro Woche.

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"Das Sicherheitsbedürfnis der Menschen ist durch Corona drastisch gestiegen", fasst Heinzlmaier zusammen. Selbst die 16- bis 29-Jährigen "wollen keine Abenteuer, sind weniger spontan und vermeiden Risiko".

Bürgermeister profitiert

Dementsprechend wünschen sich die Jungen auch von der Politik stabile Verhältnisse. Das zeigt sich einerseits in der überwältigenden Zustimmung zur Aussage, "In der Politik wird zuviel gestritten, Politiker sollten besser etwas für das Land tun" - drei Viertel sind dieser Meinung.

Das zeigt sich aber auch an den sensationellen Werten der Bürgermeisterpartei: Mehr als 45 Prozent der 16- bis 29-Jährigen wollen am Sonntag ihr Kreuz bei der SPÖ machen. Mit Respektabstand folgen die Grünen (19 Prozent), auf Platz drei landet die ÖVP (12 Prozent). Die Neos landen bei 8,5 Prozent, weder die FPÖ noch das Team Strache würden den Einzug in den Gemeinderat schaffen.

Es ist aber nicht nur die SPÖ, die bei den jungen Wienerinnen und Wienern punkten kann wie schon lange nicht mehr. Auch Michael Ludwig darf sich über beeindruckende Zahlen freuen. Satte 62 Prozent haben eher eine gute Meinung vom Stadtchef; ein Wert, an den kein anderer Spitzenkandidat heranreicht.

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Dessen ungeachtet können sich zwei Drittel der Befragten mit keiner Partei mehr identifizieren und wählen, wenn sie denn wählen, das für sie geringste Übel.

Antisemitismus gleichmäßig verteilt

Ebenfalls bedenklich: Ein Viertel stimmt der Aussage zu, "Man sollte darauf achten, keine Produkte aus Israel zu kaufen". Dieser Wert unterscheidet sich nicht zwischen jenen mit höherer und niedrigerer Bildung - und er unterscheidet sich auch nicht zwischen jenen mit und jenen ohne Migrationshintergrund. Heinzlmaier ortet hier eine gleichmäßige Aufteilung zwischen "christlichem, muslimischem, linkem und rechtem Antisemitismus".

Interessanterweise hätten gleichzeitig nur fünf Prozent der 16- bis 29-Jährigen lieber keine Juden als Nachbarn. Drogenabhängige, Rechtsextreme und "Leute, die oft betrunken sind" wollen hingegen jeweils über 60 Prozent der Befragten nicht in der Nachbarschaft.

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Immer stärker diskriminiert werden psychisch kranke Menschen; immerhin vier von zehn jungen Wienerinnen und Wienern wollen sie nicht in der Nebenwohnung wissen.

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