Rote Vorzeigestadt: Wie gut ist Wiens Wohnbau-Politik tatsächlich?

Rote Vorzeigestadt: Wie gut ist Wiens Wohnbau-Politik tatsächlich?
Wien gilt international weiter als Vorzeigestadt beim Thema Wohnen, doch es gibt auch Kritik. Das Wiener Modell brauche ein "Update".

„Der von Progressiven gelobte kommunale soziale Wohnbau in Wien, verdrängt die Armen“ war vor wenigen Tagen in einem Artikel von The Economist zu lesen. Die harsche Kritik ist sehr ungewöhnlich, da sind sich Branchenkenner einig. Schließlich ist Wiens Wohnbaupolitik sonst sehr verwöhnt, was internationale Medienberichterstattung betrifft. Immer wieder wird sie als Vorzeigebeispiel herangezogen und schaffte es schon mehrmals in renommierte Medien wie die New York Times. Und das liegt nicht nur (aber auch) an der ausgefeilten Marketingstrategie der Stadt rund ums Wohnen.

Denn die Errungenschaften des roten Wiens sind nicht von der Hand zu weisen. Erst diese Woche wurde eine Studie der Beratungsfirma Deloitte veröffentlicht, die zum Schluss kommt, dass im Europa-Vergleich das Mieten in Wien am leistbarsten ist.

Während man in London oder Paris im Untersuchungszeitraum mit einem Quadratmeterpreis von mehr als 30 Euro rechnen musste, waren es laut Studie in Wien durchschnittlich nur 10,50 Euro. Auch Linz wäre mit 11 Euro teurer, ebenso Graz mit 11,60 pro Quadratmeter.

„Kein Zufall“

Das sei kein Zufall, erklärte Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) erfreut auf den Sozialen Medien, sondern das „Ergebnis sozialdemokratischer Politik.“

Die vergleichsweise günstigen Mieten sieht man bei Deloitte ebenfalls in der „tiefen Verankerung des kommunalen Wohnbaus“ begründet, aber auch in „dem für Wien typischen Altbaubestand mit regulierten Richtwertmieten.“ Wermutstropfen: „Bei Neuvermietungen liegen die Mieten allerdings deutlich über diesem Durchschnittswert“, sagt Gabriele Etzl von Deloitte.

Rote Vorzeigestadt: Wie gut ist Wiens Wohnbau-Politik tatsächlich?

Anfang August erschien in The Economist ein ungewöhnlich kritischer Artikel über Wiens Wohnbaupolitik.

Das ist aber nicht der Grund für die Kritik des Economist. Dort wird übrigens auch eingeräumt, dass das Wiener Modell in den 1920ern „bahnbrechend“ gewesen sei, aber – und das ist der Knackpunkt– sei es trotzdem kein „Allheilmittel“ und benötige ein „Update“. Das Medium prangert an, dass rund 80 Prozent der Wiener Bevölkerung Anspruch auf Sozialwohnungen hätten, dementsprechend hoch seien die Einkommensgrenzen: 57.600 Euro nach Steuern für eine Person und über 100.000 Euro für ein Paar mit zwei Kindern. 

So erhalte die gesamte Mittelschicht Zugang zu gefördertem Wohnraum, gleichzeitig seien die Eintrittsbarrieren aber so groß, dass die Ärmsten nicht profitieren – Voraussetzungen wären etwa Eigenmittel oder auch, dass man zwei Jahre lang einen Hauptwohnsitz in Wien vorweisen müsse. Damit hätten erst kürzlich nach Wien gekommene, eher arme Menschen keinen Anspruch darauf.

Änderungsvorschläge

Auch Hans Jörg Ulreich, Bauträgersprecher der Wirtschaftskammer Österreich (WKO) übt Kritik. Sein Vorschlag: Die Einkommensgrenzen dramatisch reduzieren und die Grundvoraussetzungen bei der Vergabe von Gemeindewohnungen anpassen. So würde etwa der Punkt mit dem Hauptwohnsitz wichtige Fachkräfte wie ausländische Pflegerinnen von günstigen Wohnungen ausschließen, die hier zwar arbeiten, oftmals aber nicht durchgehend gemeldet sind.

Ein zusätzliches Problem: Wenn große Teile der Mittelschicht für Gemeindebau und Co als Mieter infrage kämen, gingen diese dem privaten Sektor als Kunden verloren.

„Nicht nur für Bedürftige“

Im Büro von Wohnbaustadträtin Kathrin Gaál (SPÖ) beurteilt man die Lage freilich komplett anders. So hätte der Economist einige Spezifika Wiens vermischt. Wegen der Ungenauigkeiten sei „die nachweisliche soziale Treffsicherheit des Wiener Wohnbaumodells falsch dargestellt“.

Die klassischen Gemeindebauten seien etwa bewusst nicht ausschließlich Wohnungen für Bedürftige, denn „im Gegensatz zu anderen Städten steht er für gesellschaftliche Vielfalt.“ Die ganz „klaren Vergaberichtlinien“, wie eben auch jene mit dem vorangegangen Hauptwohnsitz in Wien, würden für alle gelten. Einen Eigenmittelanteil gebe es in diesem Segment gar nicht, auch seien keinerlei Anzahlungen zu entrichten. „Zurückgelassen“ werde in Wien also niemand.

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