Rechenstunde
Um zu verstehen, wie Straches Abschneiden die künftigen Koalitionsmöglichkeiten beeinflusst, ist ein Blick auf die Modalitäten der Mandatsverteilung in Wien erforderlich: Die Mehrheit der Mandate wird im ersten Ermittlungsverfahren über die 18 Wahlkreise vergeben. „Um ein Grundmandat zu gewinnen, sind rund 20 Prozent der Stimmen in einem der Wahlkreise erforderlich“, sagt Politologe Peter Filzmaier. Für Straches Liste sei dies de facto irrelevant, weil nicht davon auszugehen sei, dass sie in einem der Wahlkreise so viele Stimmen erzielen werde.
Das Team HC kommt wohl erst im zweiten Verfahren zum Zug, bei dem die sogenannten Restmandate auf alle Parteien aufgeteilt werden, die Wien-weit einen Stimmenanteil von mindestens fünf Prozent erreicht haben. Wer diese Hürde überspringt, bekommt automatisch mehrere Mandate – zulasten der anderen Parteien.
Ein Einzug des Teams HC hat also am ehesten negative Auswirkungen auf Koalitionsvarianten, die sich rechnerisch ohnehin nur knapp ausgegangen wären. Womit wir wieder bei der zuletzt viel diskutierten Dirndl-Koalition aus ÖVP, Grünen und Neos wären. Sie kommt laut Umfragen aktuell auf rund 47 Prozent.
Auf alle anderen realistischen Regierungsvarianten hat Straches Einzug oder Scheitern laut Filzmaier hingegen so gut wie keinen Einfluss. Entweder ist der erwartbare Mandatsüberhang ohnehin groß genug (etwa bei SPÖ/ÖVP oder SPÖ/Grünen) oder sie sind zu weit von der Mehrheit entfernt – etwa SPÖ/Neos oder gar eine SPÖ-Alleinregierung.
Dennoch wird politisch im Moment auch über die beiden letztgenannten Varianten spekuliert. Das hat taktische Gründe: Während die Sozialdemokraten vor der Dirndl-Koalition warnen, um ihre eigenen Wähler zu mobilisieren, argumentieren andere in die Gegenrichtung: Die SPÖ liegt derzeit gefestigt bei rund 38 Prozent. Wenn ihr in den kommenden Wochen noch ein Coup gelinge, der zusätzliche Prozentpunkte bringt, könne Ludwig nach der alleinigen Macht greifen oder sich die Neos als „billigen“ Partner holen, heißt es.
Das neue Wiener Wahlrecht macht das rechnerisch schwierig. Für eine Mandatsmehrheit braucht man mindestens 48 Prozent.
Klar ist: Selbst falls sich eine Dirndl- oder eine rot-pinke Koalition ausgehen, sind sie aufgrund der großen inhaltlichen Gegensätze unwahrscheinlich. Sie könnten in den Verhandlungen nach dem Wahltag aber als wirksames Druckmittel verwendet werden. Je mehr Optionen die jeweiligen Parteichefs haben, desto mehr Posten und Einfluss können sie fordern.
Corona und die SPÖ
Ein wichtiger Faktor könnten laut Filzmaier mögliche Mobilisierungsprobleme im Zuge der Corona-Krise sein: Erwartet wird eine niedrige Wahlbeteiligung. Laut einer aktuellen OGM-Umfrage für den KURIER wollen nur 68 Prozent sicher ihre Stimme abgeben.
Das macht besonders der SPÖ Kopfzerbrechen. Sie spricht eher ältere Bevölkerungsschichten an – Risikogruppen also, die bei einem starken Pandemiegeschehen am Wahltag eher daheim bleiben sollten. Gleichzeitig ist diese Gruppe nicht allzu sehr mit der Briefwahl vertraut.
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