Ob bei „Balkan Burek“ in Hernals oder beim „Royal Balkan Grill“ in Rudolfsheim – auf den gut gefüllten Grilllokalen steht „Balkan“ nicht nur in großen Lettern drauf, es ist auch ganz viel Balkan drin.
Wenn das heiße Fett der Ćevapčići auf die glühende Holzkohle tropft und das charakteristische Zischen ertönt, wird man unweigerlich an den letzten Adria-Urlaub erinnert.
Das genaue Hinhören holt einen rasch nach Wien zurück. Denn das, was die Kunden – viele mit Wurzeln in Ex-Jugoslawien – hier beschäftigt, sind Ängste und Sorgen, die den autochthonen Wienern nicht fremd sind. „Zuwanderung und sinkende Sicherheit“ geben Kellnerin Ana K. zu denken. Dachspengler Luka C. beklagt die gesunkene Auftragslage nach Corona. Miroslav P. stößt sich an den „Auswüchsen“ der LGBTQ-freundlichen Politik in der Stadt.
Die drei sind Teil der BKS-Community (bosnisch, kroatisch, serbisch) – der größten Migrantengruppe in der Bundeshauptstadt, gefolgt von Türken, Deutschen, Polen und Syrern. Jede siebente in Wien lebende Person hat Wurzeln in Ex-Jugoslawien. Staatskanzler Metternich soll im 19. Jahrhundert gesagt haben: „Der Balkan beginnt am Rennweg.“
Größte Migrantengruppe
Die „Jugos“, die ab den 1960er-Jahren als Gastarbeiter und später im Zuge der Jugoslawienkriege als Flüchtlinge nach Wien strömten, findet man längst nicht mehr nur am Bau. Sie gelten als Paradebeispiel gelungener Integration und haben in allen Gesellschaftssphären Fuß gefasst.
Schon allein aufgrund ihrer Anzahl sind Menschen mit Wurzeln im ehemaligen Jugoslawien für die Stadtpolitik ein veritabler Faktor geworden: Im Gegensatz zu anderen Gruppen (etwa den Syrern) haben viele aus der Community die Staatsbürgerschaft und wollen als Wähler umgarnt werden. (Dass rund 35 Prozent aller Wiener über 16 Jahren nicht an der Gemeinderatswahl teilnehmen dürfen, ist ein anderes Thema.)
In einem vom Thema Migration bestimmten Wahlkampf gegen die BKS-Community Stimmung zu machen, ist selbst für migrationskritische Parteien nicht ungefährlich. Einer der Ersten, der das einst erkannte, war Heinz-Christian Strache – damals FPÖ-Chef –, der schon 2008 eine Brojanica am Handgelenk trug: ein Armband, das einen Rosenkranz symbolisiert, mit dem Kreuz der serbischen Orthodoxie als Verschluss. Dass sich das Buhlen um diese Stimmen lohnt, zeigte nicht zuletzt eine OGM-Berechnung nach der Wahl 2020 (s. Grafik rechts).
"Role Models" in Balkan-Community gesucht
Viel besser noch – so die Annahme – lässt sich eine Community mit „Role Models“ erreichen, also Politikern, die Migrationshintergrund haben. Bis heute sind sie rar gesät.
Eine, die „aus der Reihe tanzt“, ist Selma Arapović. Fünf Jahre lang war die Neos-Politikerin und gebürtige Bosnierin Abgeordnete zum Gemeinderat. Im März wurde sie im Zuge der Rochaden innerhalb der Partei zur Chefin der Rathaus-Fraktion gekürt, und erbte (gemeinsam mit Bettina Emmerling) die Spitzenkandidatur von Christoph Wiederkehr.
„Ich war eigentlich immer an Politik interessiert“, erinnert sich Arapović, die 1992 im Zuge der Kriegswirren in ihrer bosnischen Heimat mit der Familie nach Österreich flüchtete. „Sobald ich Verantwortung übernehmen konnte, habe ich mich engagiert. Es war mir wichtig, meine Umgebung mitzugestalten.“ Die Parteipolitik habe sie sich lange nicht vorstellen können. „Ich habe es mir nicht zugetraut“, sagt sie.
„ić“ alleine reicht nicht
Dass sie es sich mittlerweile zutraut und als Mustereinwanderin gilt, dafür hat die kroatischstämmige Servicemitarbeiterin Ana K. eine Erklärung: Der Grund für gelungene Integration liege im Eltern- bzw. Großelternhaus: „Sie wurden als Gastarbeiter quasi eingeladen. Und haben uns eingetrichtert, dass man sich anpasst und Deutsch lernt.“ Mehrmals wechselt die Kellnerin im Gespräch zwischen perfektem Deutsch und der Muttersprache ihrer Eltern.
„Vielleicht wird es den Migranten heute zu leicht gemacht. Jeder hat das Recht auf Schutz, aber als die jugoslawischen Flüchtlinge in den 90ern vor dem Krieg nach Wien flohen, sind sie hier auch nicht mit Messern auf der Straße herumgerannt“, gibt sie zu bedenken. Entsprechend wolle sie Arapović nicht am „ić“ im Nachnamen messen, sondern an ihrer Politik. Dass Politiker mit BKS-Hintergrund in der Community einen Vorteil haben, zweifelt sie an. Letztlich gehe es um Inhalte und ob diese Menschen helfen.
Die erste Politikerin mit BKS-Hintergrund, die es auf die große politische Bühne geschafft hat, war Alma Zadić – als Justizministerin in der jüngst abgelösten türkis-grünen Bundesregierung. Bei der Wien-Wahl treten (wenn auch nicht an so prominenter Stelle wie Arapović) bei allen Parteien Kandidaten mit Migrationshintergrund an: Zu den bekannteren Gesichtern zählt Hans Arsenović von den Grünen, der in der Wirtschaftskammer seit Jahren eine tragende Rolle spielt.
Auf erfolgreiche Migrationsgeschichten setzen aber auch jene Parteien, die bei der Zuwanderung als Hardliner gelten und im Wahlkampf mit ihrer Migrationspolitik stark polarisieren. Für die ÖVP tritt Jungpolitiker Edim Murić an, die FPÖ schickt den serbischstämmigen Ilija Tufegdžić in den Wahlkampf. Als besonders stark in der serbischen Community gilt übrigens die SPÖ. Wenig überraschend hat auch die Bürgermeisterpartei einen Kandidaten mit serbischen Wurzeln am Stimmzettel: Marko Miloradović. Eher bekannt als für seine Wurzeln ist dieser allerdings für seine Funktion als Geschäftsführer des „Wiener Arbeitnehmer*innen Förderungsfonds “ (WAFF).
"Ex-Yu-Community" in Wien
Dass nicht mehr Menschen aus der „Ex-Yu-Community“ politisch aktiv mitgestalten, hat Arapović zufolge mehrere Ursachen: „Zum einen ist das Image der Politik in den Augen der Menschen aus diesen Gebieten noch schlechter als sonst wo. Zudem haben wir generell eine schlechte Erfahrung mit der Demokratie gemacht. Anfang der 1990er hat uns die Demokratie in den Krieg geführt.“
Viele von ihnen seien heute „trotz aller Umstände und Herausforderungen“ gut situiert und würden sich „wunderbar in der Wirtschaft einbringen“, aber: „Die Politik verlangt einem sehr, sehr viel ab. Diese Kraft ist oft nicht vorhanden.“
Ein Paradebeispiel dafür ist der 33-jährige Vorarbeiter Luka C., der vor zwölf Jahren nach Österreich gekommen ist: „Ich bin von früh bis spät auf der Baustelle. Für Politik ist da keine Zeit.“
Unpolitisch ist er deshalb nicht. Im Café „SRFJ“ im 15. Wiener Gemeindebezirk, in dem die Kellnerinnen gekleidet sind wie Titos Pioniere und Hits der 1980er aus den Lautsprechern dröhnen, erklärt er in fließendem Deutsch die Kriegsgeschichte seines bosnisch-kroatischen Geburtsorts.
Auf einer Jugoslawienkarte an der Wand deutet er auf seine Heimatregion. Sein Begleiter verbessert ihn auf „Jugo“. In typischer Lautstärke lässt die Antwort nicht lange auf sich warten. Für jene, die des Serbokroatischen nicht mächtig sind, klingt sie hart. Doch dann lachen die Männer herzhaft – und widmen sich wieder ihrem Rotwein. Unabhängig von ihrer geografischen Meinungsverschiedenheit sind sie sich nämlich in einer Sache einig: „Es gibt die, die sich etwas aufbauen wollen. Und jene, die das System ausnützen.“ Die beiden zählen sich zu ersterer Gruppe.
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