Das Wiener Einwanderungsamt, die unerreichbare Problembehörde
Im Mai hatte Markus Weber auf langen Autofahrten einen eigenwilligen Zeitvertreib: Der Wiener versuchte, eine Referentin der hiesigen Einwanderungsbehörde, der MA 35, ans Telefon zu bekommen. Sein Ziel: Für eine Freundin aus Bosnien eine Auskunft zur Verlängerung ihres Studentenvisums zu erhalten.
An die 30 Mal versuchte er es – und verbrachte bis zu 50 Minuten in der Warteschleife: „Das Beste, was dann passierte, war, dass ich zur Vermittlung gekommen bin“, sagt Weber, der eigentlich anders heißt, seinen Namen aus Angst vor Nachteilen für seine Freundin aber nicht öffentlich machen will.
Er ist nicht der Einzige mit einer derartigen Erfahrung: Dass die MA 35 nicht erreichbar sei, hört man immer wieder. Spätestens seit gestern, Montag ist auch klar, warum: Die Mitarbeiter ignorieren das Telefon offenbar bewusst.
Einwanderungsbehörde
Die Aufgaben der Abteilung beinhalten die Vollziehung des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes, des Wiener Ausländergrunderwerbsgesetzes und des Staatsbürgerschaftsrechts sowie die Mitwirkung im Personenstandsrecht.
Neuer Chef
Leiter der Behörde ist seit Juli 2020 Georg Hufgard-Leitner, zuvor Personalchef des Wiener Hafens. Sein Vorgänger, Werner Sedlak, wurde ausgerechnet Direktor des Stadtrechnungshofs.
140.000 Anträge
hat die MA 35 nach Angaben der Stadt Wien jährlich zu bewältigen. Dafür zuständig waren im Vorjahr 425 Mitarbeiter, bis zum Herbst soll diese Zahl auf knapp 500 steigen.
„Abgehoben wird so gut wie nie. Die Telefone läuten den ganzen Tag“, sagte ein anonymer Mitarbeiter dem Sender Ö3. „Wenn man einmal abhebt und eine Frage beantwortet, spricht sich das herum. Das führt dazu, dass Antragsteller den Eindruck bekommen, sie könnten eine Antwort bekommen. Am nächsten Tag ist das Amt dann voll.“ Was man – und das schwingt in der Erzählung mit – gar nicht wolle.
500 Beschwerden
Diese Äußerungen sind der jüngste Gipfel eines ganzen Berges von Aufregern, der sich in den vergangenen Jahren rund um die MA 35 angehäuft hat (siehe Artikel rechts). 2015 etwa hat sich die Behörde eine saftige Rüge vom Stadtrechnungshof eingefangen. „Die Einschau ergab eine Vielzahl von Verbesserungsmöglichkeiten“, hieß es in seinem Bericht. Die festgestellten Probleme reichten von Personalmangel über veraltete IT-Systeme bis hin zu überlangen Verfahrensdauern, speziell im Bereich Staatsbürgerschaft.
Die Missstände beschäftigen auch die Volksanwaltschaft: Dort häufen sich die Beschwerden. Waren es 2020 insgesamt 444, sind es aktuell bereits rund 500. „Das ist ziemlich explodiert“, sagt ein Sprecher des zuständigen Volksanwalts Walter Rosenkranz. Die meisten Klagen betreffen die lange Verfahrensdauer. Eine Beschwerde im vergangenen Jahr bezog sich gar auf ein Verfahren, das 2012 begann. Die Volksanwälte sprechen von einem „negativen Trend anhaltender Verfahrensverzögerungen“.
Wenig nachvollziehbar erscheint die Dauer, wenn man diese mit dem Antragsaufkommen und dem Personalstand in Beziehung setzt. Laut Daten der MA 35 ist die Verfahrensdauer von 2015 auf 2019 bei fast allen Typen von Anträgen gestiegen – bei den Studenten-Anträgen zum Beispiel um durchschnittlich vier Tage. Und das, obwohl im selben Zeitraum die Zahl der Anträge annähernd in allen Kategorien gesunken ist (bei den Studenten-Anträgen um etwas mehr als ein Fünftel auf 12.393) und die Zahl der Dienstposten (von 238 auf 412) aufgestockt wurde.
Reform gestartet
Für die Opposition ist das ein gefundenes Fressen: Die ÖVP hält das Thema mit Anfragen an den zuständigen Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr (Neos) am Köcheln. Verfassungssprecher Patrick Gasselich ortet in diesem Zusammenhang ein „Managementversagen der Wiener SPÖ“. Die Grünen wiederum haben eine neue Prüfung beim Stadtrechnungshof beauftragt.
Die Beschwerdehistorie der MA 35 reicht mittlerweile mehr als zehn Jahre zurück. Bereits 2010 stellte die Volksanwaltschaft „Verzögerungen“ fest und kritisierte, in einzelnen Verfahren seien über Monate „keine Ermittlungsschritte“ gesetzt worden.
2015 prüfte der Stadtrechnungshof das Gebaren der Abteilung und fand „eine Vielzahl von Verbesserungsmöglichkeiten“, um teils überlange Verfahren – besonders im Bereich Staatsbürgerschaft – zu beschleunigen.
Im Herbst 2020 häuften sich die Beschwerden vonseiten der Central European University (CEU). Studierende aus Drittstaaten hatten eingeschriebene Briefe bekommen, sie mögen Österreich innerhalb der nächsten 24 Stunden wieder verlassen, weil ihre Visaanträge nicht schnell genug bearbeitet wurden. Die Mitarbeiter seien unmotiviert und „extrem unfreundlich“, so die Klagen.
Der aktuellste Bericht ist jener der Volksanwaltschaft an den Wiener Landtag aus dem April 2021. Festgestellt wurden „anhaltende Verfahrensverzögerungen“; konkret wird in zahlreichen Fällen moniert, dass ohne feststellbaren Anlass monatelang „keine Verfahrensschritte“ seitens der Behörde gesetzt wurden.
Die Neos kennen dieses Spiel gut: Als sie in Opposition waren, gehörte Kritik an der MA 35 zu ihren Lieblingsthemen. Jetzt, als teil der Regierung, erklärt man die Zustände mit der Corona-Krise, die für die Behörde eine „große Herausforderung“ sei.
„Uns ist die Problematik bezüglich der eingeschränkten Erreichbarkeit sehr wohl bewusst“, heißt es aus dem Büro von Wiederkehr. Deshalb arbeite man „mit Hochdruck“ an einem telefonischen Servicecenter, das noch heuer in Betrieb gehen soll. Es ist Teil eines Reformpakets, zu dem auch 50 zusätzliche Mitarbeiter bis Herbst gehören. 25 davon seien bereits im Dienst.
Markus Weber ist übrigens bis heute nicht bei der MA 35 durchgekommen. Seine Freundin hat ihr Visum vergangene Woche erhalten – nach sieben Monaten Warten.
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