Das Ziel ist klar: Im Jahr 2040 will, soll und, ja, muss Österreich klimaneutral sein, also netto keine Treibhausgas-Emissionen mehr ausstoßen. Wien als mit Abstand größter heimischer Ballungsraum hat sich dasselbe Ziel gesetzt – und muss, um es zu erreichen, vor allem drei große Hebel betätigen: im Verkehr, in der Energieversorgung und im Gebäudebereich.
Der Verkehr ist dabei an sich die leichteste Übung, liegen die Tools und Technologien doch auf dem Tisch: von der Stadt der kurzen Wege über den Ausbau der Öffis und der Infrastruktur für aktive Mobilität (Gehen, Radfahren) bis hin zur Deattraktivierung des Kfz-Verkehrs mittels Verkehrsberuhigung, Citymaut, Parkraumbewirtschaftung und so weiter.
Von Erdgas abhängig
Schwieriger ist hingegen der Energie- und Gebäudebereich, heizt Wien doch nach wie vor vorwiegend mit Erdgas. Nicht nur sind mehr als 500.000 Haushalte direkt davon abhängig, um im Winter nicht zu frieren; auch die Fernwärme, die noch einmal rund 440.000 Haushalte versorgt, wird großteils in Gaskraftwerken wie in Simmering erzeugt, die mittels Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen Strom und Wärme gleichzeitig erzeugen.
Was also tun?
Wärme aus der Ferne
Im Rathaus setzt man voll auf die Fernwärme und hat sich zum Ziel gesetzt, die Abdeckung bis 2040 von 40 auf 56 Prozent zu erhöhen, sprich das aktuell rund 1.300 Kilometer lange Netz deutlich auszubauen und viele neue Kundinnen und Kunden zu gewinnen. Das bringt jedoch nichts, wenn die Fernwärme weiterhin aus fossilen Brennstoffen erzeugt wird, und darum liegt der zweite Fokus auf der Dekarbonisierung.
Wien Energie setzt dabei auf drei Säulen, erzählt die zuständige Geschäftsbereichsleiterin Linda Kirchberger. Die erste Säule heißt: Tiefengeothermie, also die Nutzung der natürlichen Erdwärme.
Rund drei Kilometer unter der Stadt schlummert mit dem „Aderklaaer Konglomerat“ ein 100 Grad heißes Thermalwasser-Vorkommen, dank dessen man im Endausbau bis zu 125.000 Haushalte mit umweltfreundlicher Wärme versorgen will – das entspricht rund 20 Prozent des bis dahin erwarteten Fernwärme-Bedarfs.
„Erdwärme ist 24 Stunden verfügbar, sie ist unerschöpflich, hat an der Oberfläche einen sehr geringen Fußabdruck und man muss nicht warten, bis die Sonne scheint“, zählt Kirchberger die Vorteile auf. Bis 2026 entsteht in Aspern die erste Anlage mit einer Leistung von 20 Megawatt (MW), die bis zu 20.000 Haushalte versorgen soll (siehe Grafik unten), bis 2030 sollen drei weitere stehen und 120 MW erzeugt werden.
Abwärme nutzen
Die zweite Säule auf dem Weg zur grünen Fernwärme ist Nutzung von Abwärme. So entsteht aktuell auf dem Gelände der EBS-Hauptkläranlage in Simmering eine der leistungsstärksten Großwärmepumpen Europas. Sie soll bis Ende des Jahres Wärme für 56.000, bis 2027 sogar für 112.000 Haushalte erzeugen.
Insgesamt sollen künftig 55 Prozent des Fernwärme-Bedarfs mit Tiefengeothermie und Großwärmepumpen gedeckt werden, skizziert Kirchberger den Plan. Einen weiteren, signifikanten Teil sollen dezentrale Wärmepumpen im industriellen Bereich beitragen. „Wo gibt es Rechenzentren oder Kältezentralen, die Abwärme produzieren? Es geht darum, uns deren ungenutzte Wärme nutzbar zu machen.“
Weil Fernwärme aber nur im dicht bebauten Gebiet sinnvoll ist, wird es gleichzeitig viele dezentrale Lösungen geben müssen. Und das heißt vor allem: Wärmepumpen und Anergienetze, also die sogenannte „kalte Fernwärme“.
Ohne intensive thermische Sanierung des Bestands wird man die Ziele freilich trotz allem nicht erreichen, hier ist noch viel mehr Tempo nötig. Bei der derzeitigen Sanierungsquote von einem Prozent würde es 100 Jahre dauern, bis alle Gebäude modernisiert sind. Hier wird es auch mehr Mittel als die vergleichsweise überschaubaren 60 Millionen Euro pro Jahr brauchen.
Wiener Wasserstoff
Trotz aller Alternativen werden auch 2040 in Wien noch Gaskraftwerke laufen und mehr als zehn Prozent des Wärmebedarfs decken – nur sollen diese dann mit grünen Gasen wie Wasserstoff betrieben werden.
Im besten Fall Made in Vienna: Darum soll im Sommer die erste städtische Wasserstoff-Elektrolyseanlage in Betrieb gehen und mittels Ökostrom täglich 1.300 Kilogramm des begehrten Gases herstellen – genug für 60 Busse oder Lkw. Auch eine zweite Wasserstoff-Tankstelle ist im Entstehen.
Hier bauen die Wiener Stadtwerke eine ganze Wertschöpfungskette auf: Produktion, Verteilung, Speicherung und Nutzung. An Modellen für Industriekunden wird bereits gearbeitet. Das Ziel: zur zentralen Wasserstoff-Drehscheibe zu werden. „Da liegt extrem großes Synergie-Potenzial“, sagt Kirchberger, die den Geschäftsbereich aufbaut.
Kraft der Sonne
Bleibt noch die Stromerzeugung. Auch hier hat sich Rot-Pink klare Ziele gesetzt: Die Stromerzeugung durch Photovoltaik (PV) im Stadtgebiet soll von 70 Megawatt 2020 bis 2025 auf 250 MW, bis 2030 auf 800 MW gesteigert werden. In der Donaustadt wird auch mit Agrar-PV in Doppelnutzung experimentiert. Auf 12,5 Hektar wird Gemüse angebaut und Sonnenstrom für 4.900 Haushalte erzeugt.
Insgesamt soll die Erneuerbaren-Erzeugung in der Stadt (gegenüber 2005) bis 2030 verdoppelt, der Anteil erneuerbarer Energie von 9,4 Prozent 2020 auf 30 Prozent 2030 gesteigert werden. Um das zu erreichen, investiert die Wien Energie bis 2027 1,3 Milliarden Euro in die Energie- und Wärmewende.
Gut investiertes Geld, denn anders lassen sich die Erderhitzung und deren dramatische Folgen nicht in den Griff bekommen. Und nebenbei käme uns das auch noch weitaus teurer zu stehen.
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