Wiederkehr: „Ich bedauere die Schlammschlacht nach Verhandlungsende“
Wiens Neos-Vizebürgermeister hat auf Bundesebene die Bildungsthemen mitverhandelt. Seit Verhandlungsende denkt er jeden Tag darüber nach, was er besser hätte machen können.
Christoph Wiederkehr (Neos) ist als Wiener Vizebürgermeister für die Themen Bildung und Integration zuständig. Seit 2020 ist er in der Regierung mit der SPÖ. Gegenseitig wird immer die gute Zusammenarbeit betont. Im KURIER-Gespräch erklärt er, was der Unterschied zum Verhältnis im Bund ist.
KURIER: ÖVP, SPÖ und Neos hatten das Ziel, Kickl als Kanzler zu verhindern. Das ist gescheitert. Sind Sie enttäuscht?
Christoph Wiederkehr: Es ist enttäuschend, dass es nicht gelungen ist, zu dritt eine Reformkoalition zu bilden. Für mich war aber immer klar, dass das Ziel, Kickl zu verhindern, alleine zu wenig ist, um gut gemeinsam zu regieren.
Die FPÖ ist nun stärker denn je. Wie pessimistisch blicken Sie in die Zukunft?
Nur gute Politik kann Rechtspopulisten verhindern. Der kleinste gemeinsame Nenner hätte dazu nichts beigetragen, und der war in Verhandlungen noch nicht mal absehbar. Jetzt geht es darum, eine starke Opposition darzustellen. Das sind wir als liberale, als proeuropäische Kraft, die darauf achtet, dass keine roten Linien überschritten werden, etwa bei Medienfreiheit oder Sicherheit.
Wird die sogenannte politische Mitte die Kurve kratzen und aufhören, sich nur untereinander zu streiten?
Sowohl die Sozialdemokratie als auch die ÖVP sind in einer Krise, beide Parteien haben intern so viele unterschiedliche Bewegungen und Strömungen, dass es in den Verhandlungen kaum möglich war, gemeinsame Ziele festzulegen. Ich hoffe sehr, dass sich die zwei ehemaligen Großparteien dahingehend reformieren, dass sie für die Zukunft des Landes auch wieder Visionen entwickeln können und nicht vor allem Partikularinteressen abbilden müssen.
War es der richtige Weg, die Verhandlungen abzubrechen?
Ich habe mir jeden Tag seit Ende der Verhandlungen gedacht: Was hätte ich besser machen können? Ein Fehler war, dass man die Art der Verhandlung so zugelassen hat. Es gab 35 Untergruppen mit über 350 Verhandlern. Ein Verhandlungsumfeld, das vor allem für ÖVP und SPÖ deshalb wichtig war, damit ihre Bünde Länder, Interessensvertreter auch beteiligt sind. Und wir hätten früher darauf bestehen sollen, Budget und Ziele zu definieren.
Neos und SPÖ in Wien betonen immer die gute Zusammenarbeit. Wieso funktioniert es im Bund nicht?
Es gibt eine Vertrauensbasis der Parteispitzen, also von Michael Ludwig und mir, aber auch der Parteien miteinander. Es gibt eine gemeinsame Ambition. Und wir haben ein gemeinsames Ziel. Wir wollen Wien weiterentwickeln und haben uns hier sehr hohe Ziele gesetzt, zum Beispiel CO2-Neutralität bis 2040, die Belebung des Wirtschaftsstandortes oder die Verbesserung der Schulen. Ambition, Vertrauen, Ziel: Alle drei Komponenten waren bei den bundesweiten Verhandlungen leider nicht gegeben.
Werden die öffentlich ausgetragenen Streitereien auch das Verhältnis in Wien negativ beeinflussen?
Ich glaube nicht, weil wir in Wien sehr respektvoll miteinander arbeiten. Ich bedauere aber sehr, dass das Ende der Regierungsverhandlungen zu einer Schlammschlacht geworden ist. Alle müssen in die Selbstreflexion gehen, insbesondere das Führungsteam rund um Andreas Babler.
Ende Dezember waren Sie noch hoffnungsvoll, was die Verhandlungen im Bildungsbereich betraf.
Es waren sehr gute Sachen dabei, wie die Einführung eines Demokratieunterrichts, was insbesondere in einer Zeit von mehr kulturellen Konflikten ganz zentral wäre. Die Finanzierung war allerdings noch nicht sichergestellt. Die letzten Jahre wurde Bildung leider stiefmütterlich behandelt, ich habe keine sehr große Hoffnung, dass bei einer blau-schwarzen Koalition Bildung ein prominentes Thema sein wird.
Hätten Sie lieber einen blauen oder einen schwarzen Bildungsminister?
Das liegt nicht an mir, es mir zu wünschen. Was mir wichtig ist, ist ein Bildungsminister, der Visionen hat. Ich habe bei der ÖVP bei den Verhandlungen gesehen, dass es auch progressive Kräfte gibt, die an einer Veränderung interessiert sind.
In Wien sprechen viele Kinder nicht ausreichend Deutsch. Sind es schon zu viele?
Es ist eine Aufholjagd notwendig, aber auf jeden Fall möglich, wenn es österreichweit eine Kraftanstrengung gibt. Hier müssen Bund und Länder kooperieren, um die Deutschförderung in den Schulen zu verstärken und mehr einzufordern – wie den verpflichtenden Besuch einer Sommerschule.
Muss man nicht die Eltern mehr in die Pflicht nehmen?
Eltern müssen sich wieder mehr um die Kernaufgabe der Erziehung kümmern. Und die Schule um die Bildung, indem wir wie in Wien die Ganztagsschule massiv ausbauen. Was ich nicht akzeptieren kann, ist, wenn Eltern nicht kooperieren. Hier war mein Vorschlag, dass es Verwaltungsstrafen für Eltern geben kann, die Gespräche mit der Schule verweigern, wenn das eigene Kind suspendiert wird.
Ich bin allerdings überrascht, wie unsachlich von der Wiener ÖVP Bildungspolitik gemacht wird.
von Christoph Wiederkehr
Über die Kritik der Wiener ÖVP
Die Wiener ÖVP sieht die Versäumnisse bei Ihnen.
Das gehört zur Oppositionspolitik dazu. Ich bin allerdings überrascht, wie unsachlich von der Wiener ÖVP Bildungspolitik gemacht wird. Der Bildungsminister wurde in den letzten Jahren von der ÖVP gestellt und viele der Themen sind bundesstaatlich zu lösen. Ich würde mir erwarten, dass die Wiener Parteien kooperieren, um vom Bund mehr Sprachförderung zu bekommen.
Bleiben Sie nach der Wahl Vizebürgermeister?
Eine Mehrheit könnte sich wieder ausgehen, es wird aber knapp. Wer Stabilität der Regierung und Fortschritt will, der muss Neos wählen. Viele Reformen, die wir gestartet haben, zum Beispiel im Bereich der Einwanderungsbehörde, sind nicht auf eine Periode angedacht, sondern werden mehrere Jahre brauchen. Diese Reformen würde ich gerne zum Abschluss bringen.
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