Wie Tiktok zur neuen Plattform für radikale Prediger wird
Der Verputz bröckelt, die Kellerfenster sind notdürftig geflickt, die Haustür lässt sich nicht schließen. Das heruntergekommene Haus in der Hasnerstraße in Wien-Ottakring bietet wenig Grund, um stehen zu bleiben.
Doch die Geschichte des Hauses hat es in sich. Im Erdgeschoß predigte schon Austro-Dschihadist Mohammed Mahmoud. Auch „Bubi-Bomber“ Lorenz K. ging hier ein und aus. Genauso wie der Wien-Attentäter Kujtim F.
Cobra stürmte Moschee
Wenige Tage nach dem Terroranschlag wurde die Melit-Ibrahim-Moschee geschlossen. Die Cobra stürmte die Räumlichkeiten.
Seither sind hier keine bärtigen Männer mehr zu sehen. Doch welche Rolle die illegale Moschee spielte, wird im Zuge der Terror-Prozesse spürbar. Erst am vergangenen Montag berichtete ein Angeklagter im Wiener Landesgericht für Strafsachen darüber, dass er hier Kujtim F. kennenlernte.
Die Szene ist zwar aus den Augen der Bewohner verschwunden, aufgelöst hat sie sich aber nicht. Die Besucher der Moschee in der Hasnerstraße sollen dem Vernehmen nach eine neue Bleibe in einem anderen Wiener Bezirk suchen.
Die radikalen Gebetsräume gibt es noch immer. Etwa in der Josefstadt oder Favoriten. Doch der Großteil der Szene hat sich seit dem Terroranschlag neu geordnet. „Sie organisieren sich online, über persönliche Kontakte oder, speziell die Jungen, immer mehr über Social Media“, sagt Moussa Al-Hassan Diaw, Leiter des Vereins Derad.
Ins Netz verlagert
Radikal predigende Imame haben ihr „Geschäft“ ebenso ins Netz verlagert. Ihre Predigten halten sie auf Instagram oder Tiktok. „Dort haben sie ihre Anhängerschaft. Da bilden sich unabhängige, schwer zu kontrollierende Gruppen“, warnt Diaw.
Doch es sind nicht nur Imame. Auch 15-Jährige fühlen sich dazu berufen, ihre Ideologie auf Tiktok zu verbreiten. Manche, sagt Diaw, haben zehn Anhänger, andere 50.
Auch rund um den Praterstern dürften sich entsprechende Gruppierungen junger Männer mit einem radikalen Weltbild bilden.
Ex-Häftlinge als Gefahr
Unter dem Radar der Öffentlichkeit befinden sich aber auch ehemalige Häftlinge. Solche, die bereits nach dem Terrorparagrafen verurteilt wurden. Einen entsprechenden Fall in Wien schätzt Diaw als besonders heikel ein. Konkret geht es um einen Tschetschenen, der mit seiner Frau zum IS reisen wollte. „Hier gibt es ein äußerst aufgeladenes Gedankengut. Öffentlich hinterlässt der Mann keine Spuren. Doch in Gesprächen mit Klienten taucht er immer wieder auf.“ Noch in der Justizanstalt habe er versucht, sein Gedankengut unter die Leute zu bringen. Obwohl eine Abschiebung möglich wäre, werde der Mann in Österreich geduldet.
Aktuell werde von Gewalt gegen „Ungläubige“ nur gesprochen. „Aber wer die Bereitschaft zur Gewalt verbalisiert, der ist auch bereit, sie umzusetzen“, warnt Diaw. „Alles andere ist Sozialromantik, die an der Realität vorbeigeht.“
Räume vermietet
Ein Blick zurück zur Hasnerstraße: Die Räume wurden in der Zwischenzeit neu vermietet. Angeblich für Lagerzwecke. Das bezweifeln Bewohner und Anrainer. „Vor allem abends und am Wochenende kommen viele junge Männer hierher“, schildert ein Bewohner. „Sie rauchen Shisha. So viel, dass ich es in meiner Wohnung riechen kann“, ärgert er sich.
Die Fenster sind mit Bildern von türkischen und österreichischen Fußballern beklebt. An der Tür hängt ein Schild: „Nur für Mitglieder“. Die Tür ist mit einem Zahlenschloss zu öffnen. „Einmal konnte ich hineinschauen. Da sind Spielautomaten drin gestanden“, erzählt eine Frau. „Geheuer sind mir die neuen Leute auch nicht.“
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