Blitzernte im Wiener Backofen: Wie ein Top-Winzer mit der Hitze kämpft

Blitzernte im Wiener Backofen: Wie ein Top-Winzer mit der Hitze kämpft
Auch im Stammersdorfer Weingut des Wiener Top-Winzers Fritz Wieninger werden die Trauben heuer so zeitig wie nie zuvor gelesen. Es herrschen extreme Bedingungen.

Im Weingut des Herrn Wieninger zu Stammersdorf sind noch nicht die berühmten stürmischen, wohl aber die stressigen Tage angebrochen. „So eine Lese hatten wir noch nie. Puh, Stress!“

Mit einem kurzen Durchschnaufer wischt sich Fritz Wieninger die Schweißperlen von der Stirn. Im heurigen Jahrgang wird ganz besonders viel von seinem Schweiß und Blut stecken – und das ist mehr als eine Floskel. 

Denn bei Backofenhitze jenseits der 30 Grad kommt das Ernten der reifen Trauben einer sportlichen Höchstleistung gleich.

Blitzernte im Wiener Backofen: Wie ein Top-Winzer mit der Hitze kämpft

Extreme Bedingungen

Es ist die früheste Lese in Wien seit Menschengedenken – und sie startete unter extremen Bedingungen. Gehörten früher Haube, Handschuhe und warmer Tee zur Grundausrüstung von Erntehelfern, so sind es nun Kopfschutz, Sonnencreme und literweise Wasser. Warum dann die starken Männer aus Nordmazedonien alle auf lange Hosen setzen, ist leicht erklärt: „Die schützen uns vor Zecken und Wespen.“

Im Schatten eines Nussbaums halten sie gerade Siesta und laben sich an Semmeln, Aufstrichen und Salami. Drei Liter Wasser nimmt jeder von ihnen um sechs in der Früh mit in den Weinberg. Reicht der Vorrat nicht bis 15, 16, vielleicht sogar 17 Uhr, besorgt derjenige, der die Trauben mit dem Traktor zum Weingut führt, Nachschub.

Immerhin gibt es viele solcher Fahrten: Denn die Trauben sollten so rasch wie möglich in den Kühlraum verfrachtet werden, sonst verlieren sie bei der Hitze unweigerlich an Qualität.

Weinlese in Stammersdorf am Bisamberg.

Weinlese in Stammersdorf am Bisamberg.

Apropos Qualität: Von einer quantitativ unterdurchschnittlichen, aber qualitativ hochwertigen Ernte sprachen jüngst die heimischen Wein-Repräsentanten. Wieninger, der mit 85 Hektar in Stammersdorf, am Nussberg und in Neustift einer der größten Weinhauer Wiens ist, kann sich nicht beklagen: „Auch wenn es hier aussieht wie in Kalifornien – die Trauben sind gesund, alles wunderbar.“

Doch jetzt gelte es eben, aufs Tempo zu drücken, sonst würden die Trauben zu süß, die Weine zu stark: „13,5 bis 14 Prozent – das ist out, das will niemand mehr“, sagt der Top-Winzer. Es gehe um die richtige Säure, die Lebendigkeit, den Charakter. „Österreich war immer für sein kühleres Klima und dadurch für aromatische Weine bekannt. Mit der Klimaverschiebung muss man sich jetzt halt anpassen.“ Heißt konkret: Der Grüne Veltliner („Der stirbt sicher nicht aus!“) wird vielleicht auf einen Nordhang gesetzt – oder eben früher geerntet.

Ganz früh abgeerntet hat er schon einzelne Toplagen am Nussberg, nachdem dort Mitte August ein Hagelgewitter darübergefegt war. Die Trauben waren aufgeplatzt, aber noch komplett in Ordnung. „Glück gehabt“, meint Wieninger dazu. Es ist das Glück der Tüchtigen: Die Erntehelfer seien durch langjährige Partnerschaft rasch da gewesen, er selbst habe seinen August-Urlaub um zwei Wochen vorverlegt. „Andere waren da noch am Meer und haben dann den Hagel bejammert.“

Frühzeitig andere Wege ist Wieninger auch beim Bio-Anbau gegangen. Seit rund 15 Jahren ist er komplett „biodynamisch“ unterwegs und schützt etwa die Böden per Gründüngung mit Klee. Der Umstieg sei „ganz sicher“ auch ein Grund dafür, dass seine Weingärten besser durch das Extremwetter kämen. Und die Kritiker von einst, wie etwa Richard Zahel aus Mauer, seien längst auch Bio-Winzer.

Blitzernte im Wiener Backofen: Wie ein Top-Winzer mit der Hitze kämpft

Rotes Gold

Auch innerfamiliär muss Wieninger immer wieder Überzeugungsarbeit leisten: „Den Rosengartel ernte ich dir nicht. Die Trauben sind noch viel zu sauer!“, ließ seine Mutter unlängst wissen. Doch der Sohn bestand darauf. „Und er hat recht gehabt“, gesteht Barbara Wieninger nun.

Die rüstige 80-Jährige steht immer noch zwischen den Rebzeilen und treibt die Helfer an. „Bitte besser putzen!“, erklärt sie einem gerade. Das Lesen ist eine Fuzelei, weil jede leicht verdorrte Beere aussortiert werden sollte. Besonders beim Pinot noir der Lage „Rothen“, die im Stile Burgunds – in ganz engen Rebzeilen – angelegt ist. 155 Euro kostet die Flasche, und jede einzelne wird verkauft. Nach New York, Chicago, Tokio.

Von diesem roten Gold aus Stammersdorf dürfen die Arbeiter – mit 2.000 Euro brutto durchaus anständig entlohnt – nach dem harten Tagwerk zwar nicht probieren, aber andere Kostproben spendiert der Chef immer wieder. „Wir sind ein Team“, sagt Wieninger. „Alle können stolz sein auf unseren Wein.“ Süße Trauben, die heuer sauer verdient sind.

Kommentare