Warum chinesische Touristen in Österreich noch immer ausbleiben

Yue Mayr ist seit 2014 Fremdenführerin. Derzeit sind ihre Kunden vorwiegend Amerikaner.
Eigentlich wäre Chinesen das Reisen wieder erlaubt, noch kommen sie aber kaum. Dafür steht Wien bei Amerikanern hoch im Kurs.

Yue Mayr marschiert durch den Volksgarten Richtung Heldenplatz, das gelbe Fremdenführer-Fähnchen flattert im Wind. Früher folgten ihr Reisende aus China durch die Innenstadt: Mayr zeigte ihnen Hofburg, Oper und Albertina, erzählte über die Wiener Melange und den Tafelspitz.

Dann kam Covid – und mit ihm der Tourismus praktisch völlig zum Erliegen. Doch so abrupt das Ende war, so schnell kam auch der Aufschwung: 2022 begann zwar noch mit einem Lockdown, doch im Lauf des Jahres hob der Tourismus wieder richtig ab.

Gerade bei Amerikanern steht Wien wieder hoch im Kurs: Was die Nächtigungen betrifft, liegen die USA nach Deutschland und Österreich auf Platz drei. Chinesen aber bleiben nach wie vor aus – obwohl internationale Reisen wieder erlaubt sind.

Heirat und Mode als Urlaubsgrund

Yue Mayr, selbst in China geboren, steht über „We Chat“ mit vielen Chinesen in Kontakt. „We Chat“ ist das soziale Medium in China – sozusagen eine chinesische Melange aus Facebook, Twitter und WhatsApp, inklusive Bezahlfunktion. „Viele posten, wie sehr sie sich nach Wien sehnen“, erzählt sie.

Was Chinesen hier besonders schätzten? „Die schöne Kulisse“, erwidert sie, und deutet Richtung Rathaus und Parlament. Kaffeehäuser, klassische Musik, Wein und dazu die Architektur: Viele kamen vor Corona extra her, um zu heiraten. Oder auch zum Einkaufen. Chinesen, sagt Yue Mayr, lieben teure Modemarken.

Doch Kaffee hin und schöne Häuser her – noch bleiben die Gäste aus. „Wenn Chinesen derzeit nach Europa reisen, dann eher nach Ungarn oder in die Schweiz“, erzählt Mayr.

„In der Einschleifphase“

Auch Norbert Kettner, Direktor von Wien Tourismus, bestätigt, dass man sich in puncto China noch „in der Einschleifphase“ befinde. Ein Grund sei, dass China Gruppenreisen noch nicht in alle Länder freigegeben habe, in Europa derzeit nur in die Schweiz und nach Ungarn.

„Wien hat aber nicht ins Gruppenreise-Segment investiert, daher schmerzt uns das auch nicht“, fügt Kettner hinzu. In Wien habe man sich auf den wohlhabenden Einzelgast konzentriert. Und der war durchaus konsumfreudig: Vor Corona gaben Chinesen 1.035 Euro in Wien aus – pro Person und pro Einkauf. „Nun müssen wir abwarten, wie sich gesellschaftliche und wirtschaftliche Verwerfungen auf das Reiseverhalten auswirken“, fügt Kettner hinzu.

Zeitreise in die Monarchie

Während Yue Mayr durch den Volksgarten schreitet, begegnet ihr ein junges – vermeintlich – chinesisches Pärchen. Sie freuen sich, als Mayr sie auf Chinesisch begrüßt, stellen sich dann aber auf Englisch als Lily und Andrew vor: Eigentlich sind sie Kanadier, sie studiert hier, er ist zu Besuch.

„Toll ist, dass man in Österreich Natur und Kultur nebeneinander hat“, sagt Lily. Gerade waren sie Skifahren in Tirol, in Wien fühlen sie sich nun in die Zeit der Monarchie zurückversetzt.

Ein typisches Beispiel, erklärt Mayr: „Wenn man derzeit in Wien Chinesen sieht, sind es meist eigentlich Amerikaner oder Kanadier.“ Und da stürmische Zeiten mitunter Kursänderungen verlangen, hat auch sie umgesattelt: Sie zeigt nun vorwiegend Amerikanern die schönen Seiten Wiens. Immerhin hat sie sieben Jahre als Tour-Guide in New York gearbeitet und spricht fließend Englisch.

Denn die Amerikaner kommen wieder in großer Zahl. „Die USA sind unser stärkster Fernmarkt“, erklärt Kettner. Wie kann man sich den „typischen amerikanischen Gast“ vorstellen? Grundsätzlich muss er einen Reisepass besitzen (das ist in den USA nicht selbstverständlich).

Er sei kulturinteressiert und gebildet und komme aus urbanen Regionen wie New York und Chicago, skizziert Kettner. Nebst Kultur und Kulinarik nicht zu vergessen: Amerikaner schätzen Sicherheit, Sauberkeit und den funktionierenden öffentlichen Verkehr. „Was früher als ein bisschen spießig galt, spricht nun für uns“, scherzt Kettner.

„Die ewigen Schönheiten“

Meist ist Wien ein Stopp auf einer Europa-Tour: So profitiere die Stadt von ihrer relativen Nähe „zu den ewigen Schönheiten“ Paris und Rom. Und auch von ihrer Position als „östlichster Punkt Westeuropas oder westlichster Punkt Osteuropas“, so der Touristiker. Es gab aber auch schon Gäste, die lediglich für eine Opern-Aufführung nach Wien kamen.

James Thomas aus Connecticut etwa verbrachte mit seiner Schwester, seiner Frau und seinen vier Kindern die Weihnachtszeit in Wien. Im Zuge eines Zehn-Tages-Trips besuchten sie Budapest, Wien und Prag. Auf dem Programm standen alle Klassiker von Spanischer Hofreitschule über Hofburg bis Schönbrunn, und natürlich die Weihnachtsmärkte.

Warum chinesische Touristen in Österreich noch immer ausbleiben

Christmas in Vienna: James Thomas mit Familie auf der Mariahilfer Straße

Thomas war vor 27 Jahren schon einmal hier, zwei Veränderungen fielen ihm positiv auf: „Wien ist heller, freundlicher, sauberer.“ Das leicht drückend-depressive Flair sei verschwunden. Und die Stadt sei Fußgänger-freundlicher: Die Mariahilfer Straße, die ja mittlerweile eine Begegnungszone ist, habe ihnen gut gefallen.

Yue Mayr jedenfalls hält unbeirrt ihr gelbes Fähnchen in den Wind. „Viele meiner Gäste sagen mir, dass sie es genießen, endlich wieder reisen zu können. Sie wissen es jetzt mehr zu schätzen“, erzählt sie. Und bis auch die Chinesen zurückkehren, begleitet sie eben Amerikaner zu Melange und Tafelspitz.

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