Wanderbaum als Meilenstein: „Eiles“-Platane geht es nach „Umzug“ prächtig
Von Christian Mayr
„Einen alten Baum versetzt man nicht.“ Diese Redensart hat keine Gültigkeit mehr – zumindest hat „Baumchirurg“ Manfred Saller mit der fast schon zur Berühmtheit gewordenen „Eiles“-Platane das Gegenteil bewiesen. „Schau dir das an! Der steht da wie ein Einser. Und überall hat er frische Triebe ausgebildet.“ Für Saller kommt der prächtige Zustand des fast 90 Jahre alten und 25 Meter hohen Baumes trotz der Hitze einem kleinen Wunder gleich.
Ich brauche den Baum hier in der Innenstadt und nicht auf der Donauinsel oder am Stadtrand.
Während andere in ihrem engen Betonkorsett heuer schon Farbe und Blätter lassen mussten, besticht die Platane mit vitalem, sattem Grün. Und das, obwohl sie vor mehr als drei Jahren aus- und einige Hundert Meter weiter wieder neu eingegraben wurde.
Ohne seinen Retter wäre der Sauerstoff- und Schattenspender freilich schon längst zu Brennholz verarbeitet worden. Denn die Platane vor dem Café Eiles an der Zweierlinie hätte – wie Dutzende andere Bäume – für den U2/U5-Bau gefällt werden sollen. Nach heftigen Protesten wurde im Februar 2021 versucht, in einer aufwendigen Umsiedlungsaktion diesen einen Baum zu erhalten.
Risikoreiches Experiment
Ein Experiment mit ungewissem Ausgang. Und durchaus verbunden mit hohem Risiko für den Ruf des international tätigen Baumexperten. „Da hätten schon einige gewartet drauf, dass ich den Baum verpfusche“, berichtet Saller beim KURIER-Lokalaugenschein am Schmerlingplatz, der neuen Heimat der Platane.
Umso mehr freut ihn, wenn sich jetzt statt Neider Experten melden: „Erst vor ein paar Tagen hat mich Forstdirektor Andreas Januskovecz angerufen und gemeint, er hätte nie gedacht, dass der Baum so schön wird.“
Auch wenn einst von einer PR-Show um einen einzigen Baum die Rede war, für Saller ging es um mehr als dieses Kunststück: „Die Message war, dass man in Wien auch alte Bäume versetzen kann und es keinen Grund gibt, sie umzuschneiden. Daher haben wir jetzt eigentlich einen Meilenstein hergesetzt.“
Der Stadt sind bei der ganzen Aktion bisher kaum Kosten entstanden: Der Transport (rund 50.000 Euro) wurde von den Wiener Linien via U-Bahn-Budget gedeckt; die Baumversetzung samt Pflege ging allein auf das Konto Sallers, der freilich durch die breite Berichterstattung einen enormen Werbewert lukrierte.
Billiger als Neupflanzung
Interessant ist nun aber die vorläufige Abrechnung: Saller spricht von bisherigen Kosten in Höhe von rund 400.000 Euro – das mag zwar viel klingen, relativiere sich aber. Denn ein so großer, alter Baum entspreche von der Wirkung für das Stadtklima her 1.500 Jungbäumen – die in Summe auf 700.000 Euro kämen.
Freilich nur in der Theorie: „Denn so viele Bäume kann ich in der Innenstadt gar nicht pflanzen. Aber ich brauche den Baum hier und nicht auf der Donauinsel oder am Stadtrand“, erklärt Saller. Die Bedeutung so großer Bäume als -Fresser und Bio-Klimaanlagen in hitzegeplagten Städten stehe außer Zweifel: „Der senkt die Umgebungstemperatur um vier bis fünf Grad und bindet drei bis fünf Tonnen Staub pro Jahr“, sagt Saller.
Die Platane
Einst stand sie vor dem Café Eiles an der Ecke Josefstädter Straße / Auerspergstraße
Ursprünglicher Plan
2021 sollte die Platane aufgrund des U-Bahn-Baus gefällt werden, da an ihrem Standort ein Zugang zum neuen U2/U5-Linienkreuz Rathaus entsteht
Proteste
Das löste Proteste aus: Eine Allianz aus der NGO Kuratorium Wald, dem Baumchirurgen Manfred Saller und Finanzstadtrat Peter Hanke (SPÖ) wendete das Blatt in letzter Minute
90 Jahre
dürfte der Baum alt sein. Er wiegt 60 Tonnen, entsprechend aufwendig war die Aktion
Neuer Standort
Anfang 2021 wurde der Baum schließlich auf den Schmerlingplatz übersiedelt
Daher müsse bei allen Großprojekten das Ziel sein, solche grünen Riesen rechtzeitig in die Planungen miteinzubeziehen, sie weg- und anschließend wieder an ihren ursprünglichen Standort hinzupflanzen.
Am Schmerlingplatz wurde heuer, im vierten Sommer, die zusätzliche Bewässerung gegen null reduziert, „damit wir sehen, wie er sich verhält“, so Saller. Anfangs wurden Nährstoffe aus Algenpräparaten zugefügt, um fehlende Wurzelmasse wieder herzustellen – und vor allem viel Wasser: an heißen Tagen bis zu 10.000 Liter.
Die vielen grünen Triebe, die ausgebildeten Früchte, die sich schälende Rinde sind jetzt ein deutliches Zeichen für Wachstum und Vitalität. „Wenn ich das sehe, habe ich eine Riesenfreude“, sagt der Baumchirurg. Jetzt gelte es, im Herbst erstmals auch die Baumkrone kosmetisch zu stutzen, die als Sturmsicherung dauerhaft notwendigen Seile nachzuziehen und das Umfeld entsprechend herzurichten. Denn derzeit ist der Baum durch einen unschönen Bauzaun gesichert.
Naturdenkmal?
Allerdings möchte Saller „seine“ Platane noch nicht in die Obhut des Stadtgartenamts übergeben: „Es arbeiten dort tolle Baumexperten, aber noch ist das Vertrauen nicht ganz da. Und falls etwas mit dem Baum ist, können wir einfach schneller reagieren“, erklärt er. In den nächsten Tagen gibt es dazu ein Gespräch mit Öffi-Stadtrat Peter Hanke, der die Umpflanzaktion einst eingefädelt hatte (während die MA 42 zu den Skeptikern zählte).
Saller hofft, dass am Ende der Wert des Projekts anerkannt und auch der Baum entsprechend gewürdigt wird. Vielleicht als Naturdenkmal mit Plakette? „Ja, das wäre schön.“ Ein Denkmal nämlich, das in die Zukunft weist.
Kommentare