Für die Schüler der 4. Klasse der Volksschule Hochsatzengasse in Penzing ist es der erste Besuch einer Synagoge. Die Mehrheit von ihnen sind Muslime, über das Judentum wissen sie (noch) nicht viel.
Persönlicher Kontakt gegen Vorurteile
Vorurteile abbauen oder sie gar nicht erst entstehen lassen, indem man den persönlichen Kontakt sucht – kann das funktionieren?
Ja, erwidert Katherine Gundolf. Seit zwei Jahren lädt Or Chadasch, eine liberale, jüdische Gemeinde, Schulklassen zum Besuch in ihre Synagoge im 2. Bezirk. Gundolf ist eine der Koordinatorinnen des Besuchsprogramms. 30 bis 40 Klassen hätten das Angebot bisher angenommen. „Mittels Fragebögen haben wir eruiert, dass die Schüler nach dem Besuch weniger Vorurteile hatten als davor“, erklärt sie.
Drei Teile
Der Besuch gliedert sich in drei Teile: In der Bibliothek erfahren die Schüler das Wichtigste über den jüdischen Glauben. Fragen sind erlaubt, ja sogar erwünscht – wer sich nicht traut, diese laut zu stellen, kann sie anonym auf einem Zettel notieren.
Im Anschluss führen die Moderatoren die Gäste in den Gebetsraum, zeigen eine Thorarolle und erklären die religiösen Gebräuche. Danach werden die anonymen Fragen vorgelesen und beantwortet.
Während des Besuchs stehen die Moderatoren Katherine Gundolf, Sandie Grün und Aaron (er möchte nur den Vornamen nennen, Anm.) Rede und Antwort. Sie erklären etwa, dass der Davidstern oder der siebenarmige Leuchter wichtige Symbole des Judentums sind. Für Aufsehen sorgt vor allem das Konzept des Sabbats – also einen Tag nichts zu tun. „So lange ohne iPad? Das würde ich nicht überleben“, sagt ein Bub.
Im Gebetsraum sind die Schüler vor allem von der Thorarolle fasziniert: Sie enthalte die fünf Bücher Mose, sei aus Leder und um die 50.000 Euro wert, erklärt Aaron. „Was, ernsthaft?“, ist ein Bub beeindruckt. Auch die Schrift macht neugierig: „Ist das falsch herum geschrieben?“, fragt ein Mädchen. „Nein, wir lesen von rechts nach links“, erklärt Aaron.
Und dann werden noch die anonymen Fragen vorgelesen: Ein paar drehen sich um Kleidervorschriften. „Was passiert, wenn ein Mann die Kippa nicht aufsetzt?“, heißt es etwa. „Das wäre respektlos. Man würde ja auch nicht im Badeanzug in die Moschee gehen“, erklärt Gundolf.
Kopftuch und Perücke
„Warum tragen manche Frauen ein Kopftuch?“, ist eine andere Frage. Im Judentum sei das unüblich, erwidert Sandie Grün. „Es gibt aber Frauen, die ihr Haar nicht zeigen wollen und eine Perücke oder einen kunstvollen Turban tragen.“
Am Ende sind alle Kinder gut gelaunt, sie lachen und plaudern – und das scheint nicht nur der Vorfreude auf das Mittagessen geschuldet. Es habe ihnen gefallen, bestätigen sie.
Ja, diesmal habe es gut funktioniert, sagt auch Gundolf. Bei älteren Jugendlichen gebe es aufgrund des aktuellen Nahostkonflikts oft mehr Vorurteile abzubauen. „Wir hatten sogar eine Klasse, die dreimal zu uns gekommen ist, so groß war der Redebedarf“, erzählt sie.
Je jünger die Kinder, desto offener seien sie meist noch. „Darum wollen wir sie auch auf Gemeinsamkeiten aufmerksam machen“, fügt Gundolf hinzu.
Etwa bei der Sprache: So ist das hebräische „Shalom“ eng mit dem arabischen Wort „Salam“ verwandt – übersetzt heißt beides übrigens „Frieden“.
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