„Das Weihnachtsmonster auf der Seele": So hilft die Telefonseelsorge
Nicht für alle ist die Weihnachtszeit tatsächlich fröhlich. Viele erleben gerade die Zeit rund um die Feiertage als große seelische Belastung. Doch es gibt zahlreiche Hilfsangebote. Die Telefonseelsorge zum Beispiel ist unter der Nummer 142 rund um die Uhr kostenlos erreichbar.
Antonia Keßelring, Leiterin der Telefonseelsorge Wien, berichtet im Interview über ihre Erfahrungen.
KURIER: Welche Sorgen belasten die Menschen, die rund um die Feiertage anrufen?
Keßelring: Vor den Feiertagen vor allem die Sorge, wie das Weihnachtsfest wird. Die einen haben Angst, allein zu sein; die anderen davor, in einer Gesellschaft zu feiern, in der sie sich gar nicht wohl fühlen. Weihnachtstraditionen können sich eben auch wie Zwänge anfühlen. Verluste, die man im Lauf des Jahres erlitten hat, brechen über Weihnachten besonders auf. Sie tun zwar das ganze Jahr über weh – aber zu Weihnachten kann man sich vor diesem Schmerz nicht verstecken.
Und nach Weihnachten?
Da geht es, salopp gesagt, vor allem darum, die Scherben von Weihnachten aufzukehren. Denn oft gibt es extreme Familienkonflikte. Da kochen bei vielen die Emotionen hoch, die schon ganz lange gären. Zu Weihnachten kommt es auch zu Gewaltausbrüchen. Oft melden sich Betroffene über den Chat bei uns (siehe Infobox). Das ist oft einfacher, vor allem, wenn der Täter in der Nähe ist.
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An diese Stellen können Sie sich auch zu Weihnachten und an den Feiertagen im Krisenfall wenden:
Telefonseelsorge: 142, rund um die Uhr, Chatberatung 16 bis 23 Uhr, telefonseelsorge.at
Plaudernetz: 05 1776 100, von 10 bis 22 Uhr, plaudernetz.at, 4.100 freiwillige Plauderpartner
Ö3-Kummernummer: 116 123, 16 bis 24 Uhr
Rat auf Draht: 147, rund um die Uhr, Beratung für Kinder und Jugendliche, rataufdraht.at
Frauenhelpline gegen Gewalt: 0800 222 555, rund um die Uhr, frauenhelpline.at
Frauenhäuser Wien – Notruf: 05 77 22, rund um die Uhr, Schutz, Unterstützung und vorübergehende Wohnmöglichkeit für von Gewalt betroffene Frauen und ihre Kinder
Helpchat: Onlineberatung gegen Gewalt für Frauen und Mädchen, die in Österreich leben: haltdergewalt.at, 18 bis 22 Uhr
Stiller Notruf: unbemerkt Hilfe rufen in der DEC112-App (Digital Emergency Call), Infos unter dec112.at
Notruf für Gehörlose und Hörbehinderte: per SMS und Fax 0800 133 133 und mittels DEC112-App
Männerinfo: 0800 400 777, rund um die Uhr, maennerinfo.at
Sozialpsychiatrischer Notdienst: 01/31 330, rund um die Uhr, für Menschen in schweren psychischen Krisen
Telefonische Gesundheitsberatung: 1450
Feuerwehr: 122
Polizei: 133
Rettung: 144
Kältetelefon Wien: 01/480 45 53, rund um die Uhr
Am 24. Dezember, sind in Wien zwei Wärmestuben geöffnet:
Pfarre Herz Jesu Sühnekirche, Alszeile 7, 1170 Wien, 13 bis 17 Uhr, mit Verköstigung und Menschen, die ein offenes Ohr für die Sorgen und Nöte der Gäste haben
Jugendwärmestube im Wohnzimmer der Pfarrgemeinde St. Florian, Wiedner Hauptstraße 97, 1050 Wien, 10 bis 17 Uhr. Beim gemeinsamen Wuzeln, Spielen und Singen können Jugendliche das Weihnachtsfest mit anderen bei Speis und Trank und heißem Punsch verbringen
Festmahl für einsame und armutsbetroffene Menschen: Curhaus zu St. Stephan, Stephansplatz 3, 1010 Wien, um 17 Uhr, Anmeldung nicht notwendig
Weihnachtsfeier im Pfarrsaal St. Elisabeth: St.-Elisabeth-Platz 9, 1040 Wien, 19 bis 21 Uhr. Anmeldung: Pfarre@zurFrohenBotschaft.at
Wie helfen Sie den Anrufenden?
Es klingt immer so banal: Wir hören zu. Jemand ruft an, meistens mit einer Fülle von Emotionen. Wir bieten Raum dafür, helfen dabei, das Problem zu benennen, und fragen nach. Denn wenn die Sorge erst einmal fokussiert ist, so wie das schreckliche Weihnachtsmonster, das einem auf der Seele sitzt, dann ist es nicht mehr überlebensgroß und wird überschaubarer. Und dann kann man schauen, was der nächste Schritt ist, den der oder die Anrufende tun könnte. Da ist es uns immer ganz wichtig, dass wir unsere Anrufenden nicht einfach mit Ratschlägen für ein Leben zwangsbeglücken, das wir selber nicht leben müssen. Wir wollen „Hebamme“ sein, für den nächsten kleinen Schritt. Denn manchmal genügt eine Miniaktion, dass man das Gefühl hat, wieder ein bisschen Spielraum zu haben.
Was könnte das etwa sein?
Wenn jemand rund um Weihnachten besonders traurig ist, überlegen wir gemeinsam: „Was fällt Ihnen ein, das Ihnen die Situation jetzt ein bisschen schöner machen könnte?“ Manchmal kommt dann: „Ich könnte eine Kerze für meinen verstorbenen Partner anzünden und sie beim Abendessen brennen lassen.“ Oder man macht sich ein schönes Essen, das man sich sonst nicht gönnt. Es können ganz kleine Dinge sein.
Und die Menschen gehen mit Hoffnung aus dem Gespräch?
Natürlich können wir in 20 Minuten nicht ein ganzes Leben in Ordnung bringen. Aber wir hören immer wieder: „Danke, jetzt ist mir leichter; jetzt sehe ich klarer; irgendwie ist es jetzt nicht mehr so schlimm; jetzt habe ich das Gefühl, dass ich wieder weitermachen kann; das habe ich jetzt gebraucht, dass mir jemand zuhört.“ Ich habe das Gefühl, es gibt auf dieser Welt ein unendlich großes Bedürfnis nach Zuhören.
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Was möchten Sie denjenigen sagen, die Weihnachten als Belastung erleben, sich aber nicht trauen anzurufen?
Die möchte ich sehr ermuntern, es einfach einmal zu probieren. Ein Problem muss nicht eine gewisse Größe erreicht haben, die es rechtfertigt, bei uns anzurufen. Das, was jetzt wehtut, das ist es wert, dass Sie es zu uns bringen. Wir urteilen nicht, wir verurteilen nicht, wir werten niemanden ab. Und wenn es Ihnen zu schwerfällt, es auszusprechen, versuchen Sie, es uns zu schreiben. Entweder im Chat oder in der Mailberatung. Wir beantworten jede Mail innerhalb von 48 Stunden. Es dauert also ein bisschen, aber manchmal ist es schon eine kleine Erleichterung, die Sorgen aufzuschreiben und zu wissen, ein Mensch liest sie mit wachen Augen und einem offenen Herzen und wird darauf antworten.
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