Studie: Wie lebenswert Wien für die Wiener ist
Das Prozedere kennt man ja schon: Wird eine der internationalen Studien zur Lebensqualität in den diversen Städten veröffentlicht, passiert in Wien Folgendes: Die Stadtregierung schmückt sich mit Eigenlob – denn richtig schlecht ist so eine Studie für Wien noch nicht ausgefallen. Und die Opposition salbt sich in Kritik, weil diese Rankings ja nicht die Meinung der Wienerinnen und Wiener abbilden würden.
Ganz von der Hand zu weisen war diese Kritik nie. Denn die beiden bekanntesten Rankings zur Lebensqualität – die „Quality of Living“-Rangliste des international tätigen Beratungsunternehmens Mercer und der „Global Liveability Index“ der britischen Economist-Gruppe – beziehen sich in ihren Ergebnissen auf sogenannte Expats, also Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter international tätiger Unternehmen, die zum Arbeiten ins Ausland entsendet wurden.
Transparenz ist wichtig, vor allem dann, wenn in einer Studie die Ergebnisse einer anderen als Ausgangspunkt für eine eigene Erhebung genommen werden. Für ihre Befragung hat Sabrina Dorn ausschließlich online auf Facebook in Wien lebende Personen befragt. Influencer haben ihren Fragebogen geteilt. 1.226 Personen beantworteten Dorns Fragebogen in der Zeit zwischen 25. Juni 2022 (0 Uhr) und 4. Juli 2022 (23.59 Uhr).
Dorn stellte 9 Fragen für 9 Kategorien, die sie von den fünf Kategorien des Economist abwandelte (siehe Grafik). Im Hinblick auf die zahlenmäßige Verteilung der Bevölkerung auf die Bezirke ist Dorns Studie repräsentativ. An der Umfrage nahmen Frauen, Männer sowie elf Personen mit Geschlechtsidentität „divers“ teil. In der Stichprobe waren Akademiker und Akademikerinnen sowie Personen zwischen 40 und 64 Jahren überrepräsentiert.
Dorn studierte Betriebs- und Volkswirtschaftslehre an der Uni Innsbruck sowie Statistik an der ETH Zürich. Dort erlangte sie 2015 ein Doktorat in Ökonomie. 2019 kandidierte Dorn für die Neos, verpasste aber den Einzug in den Nationalrat. Im Wien-Wahlkampf 2020 stand sie der Migrantenpartei SÖZ beratend zur Seite. 2021 machte sich Dorn mit ihrem Unternehmen Knowledge Consult selbstständig. Ihr Antrag auf Mitgliedschaft beim Verband der Marktforscher Österreichs (VMÖ) ist in Bearbeitung, jener beim Verband der Markt- und Meinungsforscher (VDMI), dessen Mitglieder sich bestimmten Qualitätsansprüchen verschreiben, folgt.
Dorn ist derzeit Mitglied im sozialdemokratischen Wirtschaftsverband in der Wirtschaftskammer.
Mercer befragt diese Expats, der Economist errechnet die Lebensqualität auf Basis bestimmter Kennzahlen (etwa der World Development Indicators, der statistische Datenbank der Weltbank, Anm.), um potenziellen Expats eine Basisinformation über eine bestimmte Stadt zu geben.
Einheimische bisher nicht gefragt
Weder der eine noch der andere Weg zur Erfassung der Lebensqualität lässt aber eine seriöse Aussage darüber zu, wie hoch die Lebensqualität in Wien wirklich ist. Denn dazu müssten Wienerinnen und Wiener in die Untersuchung aufgenommen werden.
Diese Diskrepanz nahm die Ökonomin und Markt- und Meinungsforscherin Sabrina Dorn nun zum Anlass, um ausgehend von der Berechnung des Economist eine Umfrage unter Wienerinnen und Wienern zu starten. Zwischen 25. Juni und 4. Juli erfragte Dorn mittels Online-Umfrage auf Facebook, wie die in Wien lebende Bevölkerung die Lebensqualität in der Stadt einschätzt. 1.226 Personen nahmen teil und bewerteten Freizeit- und Bildungsangebot, Wohnraum, Öffis und das subjektive Sicherheitsgefühl.
Hoch, aber nicht so hoch
Zentrales Ergebnis von Dorns Studie: Auf einer Skala von 1 bis 6 (wobei 1 der schlechteste und 6 der beste Wert ist) erreicht die von Wienerinnen und Wienern empfundene Lebensqualität in der Stadt einen Wert von 3,98. Das ist überdurchschnittlich hoch, aber nicht so hoch wie die Lebensqualität in Wien vom Economist bewertet wird.
Denn abgesehen von der Kategorie Kultur und Umwelt, die der Economist mit 96,3 von möglichen 100 Punkten jüngst bewertete, erreichte Wien in allen Kategorien die volle Punktezahl.
In Dorns Studie wird nicht nur das Freizeitangebot an sich abgefragt, sondern auch dessen Leistbarkeit. Mit einem Wert von 4,01 auf der Skala von 1 bis 6 bewerteten die Wienerinnen und Wiener dieses am besten. Danach folgen die Zufriedenheit mit dem Öffi- und Straßenverkehrsnetz (3,99) und das subjektive Sicherheitsgefühl (3,98). Dieses Ergebnis hat Dorn am meisten überrascht. „Denn es entspricht am wenigsten dem, was in der Politik oft erzählt wird.“ Die Wienerinnen und Wiener fühlen sich in ihrer Stadt sicher.
Schlecht, aber nicht so schlecht
Interessante Ergebnisse lieferten auch zwei Einzelfragen: So bewerteten die Befragten das Bildungsangebot in Wien mit 3,94 und die Leistbarkeit von Essen und Trinken mit 3,79. Am schlechtesten bewertete die Wiener Bevölkerung die Wahrnehmung von Korruption (3.64) und die Leistbarkeit von Wohnraum (3.69).
Spannend ist, dass Wienerinnen und Wiener, die einen höheren akademischen Abschluss haben, auch die Lebensqualität höher einschätzen: Menschen ohne akademischen Abschluss bewerteten die Lebensqualität in Wien um 6,57 Prozent geringer als jene mit Uni-Abschluss.
Noch drastischer ist dieses Ergebnis bei Wienerinnen und Wienern ohne Matura. Sie bewerten die Lebensqualität in der Stadt um 14,95 Prozent geringer als Uni-Absolventen.
Und: Setzt man den höheren Bildungsgrad auch mit einem höheren Einkommen gleich (das ist in der Markt- und Meinungsforschung über eine sogenannte Proxy-Variable durchaus üblich), dann lässt sich sogar sagen: Je höher das Einkommen, desto besser die Bewertung der Lebensqualität.
Frauen mehr als Männer
Einen deutlichen Unterschied gibt es auch zwischen den Geschlechtern: Denn Frauen empfinden das Leben um durchschnittlich 5,12 Prozent besser als Männer. Warum das so ist, hat Dorn nicht erhoben.
Die Daten ihrer Befragung will Sabrina Dorn übrigens der Wiener Stadtpolitik zur Verfügung stellen. Dann können sich Stadtregierung und Opposition auch ein neues Prozedere überlegen. Denn für ausschließlich Eigenlob sind die Ergebnisse zu schwach, das Argument der Opposition hat spätestens nach dieser Erhebung aber auch (ein wenig) ausgedient.
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