Stoß vor U-Bahn: Ein Jahr bedingt

Stoß vor U-Bahn: Ein Jahr bedingt
Mildes Urteil gegen 51-jährigen Elektriker, Freispruch für seine Frau. Im Gerichtssaal kam es zu Tumulten.

Der Wiener, der vor dem Einfahren des nächsten U-Bahnzuges eine Kenianerin auf die Geleise gestoßen hatte, wurde nicht – wie zu erwarten gewesen wäre – wegen Mordversuchs angeklagt. Das ließ die Lunte unter den Prozesszuschauern aus der farbigen Community schon glühen. Als der Angeklagte dann aber auch noch vom Vorwurf befreit wurde, die Frau mit Verletzungsabsicht gerempelt zu haben, explodierte die aufgestaute Ladung. „We need Justice! We are not animal!“ brüllten einige im Publikum, sprangen von ihren Sitzen auf und enthüllten Transparente. Der mit einem Jahr auf Bewährung davon gekommene Angeklagte und seine freigesprochene Ehefrau mussten mit polizeilichem Geleitschutz aus dem Grauen Haus gelotst werden.

Stoß vor U-Bahn: Ein Jahr bedingt
Bald nach Beginn der Verhandlung hatte es erste Unmutsäußerungen gegeben. Richterin Gerda Krausam verschaffte sich mit dem Brüller „Ruhe“ kurzfristig Gehör, forderte aber viel zu spät Hilfe an. Eine halbe Stunde nach ihrem Notruf wird zurück gerufen, dann trudeln auch langsam Justizwache und Polizei ein. Da war schon ein Zuschauer mit dem Ruf „Mörder“ auf den Angeklagten zu gestürmt und von einem Begleiter gerade noch zurück gehalten worden.

Drei Minuten

5. Jänner dieses Jahres, Station Taborstraße. Zwei farbige Schwestern warteten auf den Zug, eine von ihnen telefonierte mit dem Handy. Natalia S., 37, regte sich darüber auf: „Geht’s vielleicht leiser?!“ Angeblich schrie sie aber auch: „Negerin, geh in Busch Bananen essen!“ Die Schwestern sollen zurückgeschimpft haben, die Worte „Hure“, „Schwein“ und „Schweinefresser“ sollen gefallen sein. Josef S., 51, Elektriker, hielt einerseits seine Frau zurück, andererseits schlug er der 36-jährigen Farbigen mit der Faust gegen die Stirn und stieß sie schließlich auf die Geleise der U-Bahn. Zeugen wollen gesehen haben, wie er davor auf die Anzeigetafel geschaut und dann zu seiner Frau gesagt hat: „In drei Minuten ist alles vorbei, dann lauf.“

Stoß vor U-Bahn: Ein Jahr bedingt

Tatsächlich wäre der Zug in drei Minuten da gewesen, hätte nicht ein wartender Fahrgast geistesgegenwärtig den Notstopp ausgelöst.

Während andere Leute der Frau von den Geleisen herauf halfen, rührte die Ehefrau des Remplers keinen Finger. „Die Negerin simuliert nur“, sagte sie. Die Anklage „unterlassene Hilfeleistung“ wurde allerdings verworfen.

Josef S. (Verteidigung Roland Friis) bestreitet, Rassist zu sein und belegt das damit, mit einer Peruanerin verheiratet gewesen zu sein und „wunderschöne“ halbperuanische Kinder zu haben.

Stoß vor U-Bahn: Ein Jahr bedingt
tumult im gerichtssaal
Die farbige Frau habe ihn angespuckt, er sei „leicht verärgert“ gewesen und habe ihr „im Reflex einen Stoß versetzt“. Er sei erschrocken, als sie über die Kante flog und in Panik davon gelaufen. „Ich wollte nur, dass sie ein bissl weg ist, dass ich Luft holen kann.“
Stoß vor U-Bahn: Ein Jahr bedingt
Auf dem Video aus der Überwachungskamera sieht man laut Staatsanwältin Dagmar Pulker allerdings, dass er „Anlauf genommen“ und die Frau „mit Schwung gestoßen“ hat. „Voller Wucht“, sagt eine unbeteiligte Zeugin. Für die Richterin war „das Ziel, absichtlich eine schwere Körperverletzung herbeizuführen“, trotzdem „nicht nachweisbar“. Die Situation sei „aufgeschaukelt“ und der Angeklagte „im Stress“ gewesen, außerdem hatte er gleich 1000 Euro Schmerzensgeld für das Opfer – Fersenbeinbruch, Angstzustände – mitgebracht. Daher nur ein Jahr bedingte Haft.

3. Mai 2010: Zwei Männer, die sich am 4. April 2009 an der U-Bahn-Station Karlsplatz in Wien wechselseitig auf die Gleise gestoßen hatten, werden am Straflandesgericht wegen absichtlicher schwerer Körperverletzung zu 14 Monaten unbedingter sowie 15 Monaten bedingter (fünf davon unbedingt) Haft verurteilt. Die drogen- bzw. alkoholabhängigen Männer waren wegen einer Frau in Streit geraten.

29. Juni 2009: Ein 46-jähriger Mann, der am 27. Oktober 2008 am Wiener Karlsplatz einen 52-jährigen Bekannten vor eine einfahrende U-Bahn gestoßen hat, wird am Straflandesgericht zur Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher verurteilt. Der an einer schizoaffektiven Störung leidende Täter hatte bis 31. August 2008 ganz normal Dienst in einem Wiener Postamt versehen.

21. Jänner 2009: Der sogenannte U-Bahn-Schubser von München wird wegen gefährlicher Körperverletzung zu zwei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt. Der 70-Jährige hatte im Juni 2008 eine 13-Jährige gegen einen einfahrenden U-Bahn-Zug gestoßen. Die Schülerin wurde auf den Bahnsteig zurückgeschleudert und erlitt Prellungen sowie Schürfwunden.

11. Juni 2008: Ein 29-jähriger Wiener, der am 17. September 2007 in der U1-Station Reumannplatz drei Fahrgäste auf die Gleise gestoßen hat, muss für 18 Jahre hinter Gitter. Der Mann wird im Sinn der Anklage nach mehrstündiger Beratung wegen dreifachen Mordversuchs schuldig gesprochen. Die einfahrende U-Bahn-Garnitur konnte rechtzeitig gestoppt werden.

3. November 2006: In New York (USA) wird ein 37-jähriger Mann zu 23 Jahren Gefängnis verurteilt, weil er eine Frau vor die U-Bahn gestoßen hat.

13. Juli 2006: Ein 21-Jähriger wird am Wiener Straflandesgericht zu 16 Monaten bedingter Haft verurteilt, weil er im Dezember 2005 einen Mann vor die U-Bahn gestoßen hat, worauf diesem der linke Oberschenkel abgetrennt wurde. Der Verurteilte gibt an, vom späteren Opfer verbal und körperlich attackiert worden zu sein, worauf er ihm einen kräftigen Stoß versetzte.

30. Juli 2003: Weil er einen jungen Mann grundlos vor eine U-Bahn gestoßen hat, wird in Berlin ein 33-Jähriger zu 13 Jahren Haft verurteilt. Dem Opfer mussten beide Beine unterhalb der Knie amputiert werden. Der "Schubser" war zum Tatzeitpunkt betrunken.

Das größte österreichische Gericht ist ein gefährlicher Ort. Nicht weil dort Räuber und Mörder ein- und ausgehen. Die werden von Justizwachebeamten in Schach gehalten. Aber wer behält die Zuschauer im Auge? Wer geht dazwischen, wenn aufgebrachte Fangemeinden der Angeklagten und Opfer mit dem Urteil nicht einverstanden sind?

Die Security an der Pforte ist damit beschäftigt, den Besuchern Nagelzwicker und andere gefährliche Gegenstände abzunehmen. Die Justizwache ist nur für Häftlinge zuständig. Wachzimmer gibt es im Grauen Haus keines (mehr). Bis die Polizei endlich kommt, dauert es Stunden. Die natürliche Autorität der Richter wirkt heute nicht mehr. Und Prozessvorbereitung ist hier meist ein Fremdwort. Denn dass ein Strafprozess mit rassistischem Hintergrund das Potenzial für eine Eskalation aufweist, hätte die beteiligten Personen nicht überraschen dürfen.

Aber die Richterin war schon darüber verwundert, dass sich überhaupt jemand für die Verhandlung interessiert.

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