Fotografen schmunzeln seit Langem über seine Lieblingsgeste: Wenn Michael Ludwig ins Bild gerückt wird, winkelt er gerne die Arme ab, streckt die Daumen in die Höhe und richtet die Zeigefinger direkt auf den Betrachter. Der Bürgermeister, wie ein Cowboy bereit zum Schuss.
Zuletzt gesehen: Bei der Verkündung des roten Stadträte-Teams. Was bei den offiziellen Gruppenfotos auch ins Auge fällt: Die zwei mächtigsten Frauen der Koalition durften sich links und rechts hinter dem Bürgermeister positionieren – die neue Finanzstadträtin Barbara Novak und die (langgediente) Verkehrsstadträtin Ulli Sima.
Spannender Kompetenztausch
Was beide eint, ist nicht nur ihr Einfluss. Zwischen den Mega-Ressorts, die die beiden übernehmen, kam es zu einem spannenden Kompetenzaustausch.
Die Entscheidung traf Ludwig. Übereinstimmenden Erzählungen zufolge wurden die Stadträte erst am Vortag ihrer medialen Präsentation einzeln von ihm darüber informiert, ob und in welcher Funktion sie Teil der Regierung sein dürfen.
Vielfältige Ressorts
Novak übernimmt das vielfältige Finanzressort von Peter Hanke und ist damit auch für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus verantwortlich. In Novaks Lebenslauf, den ihr Büro am Mittwoch versandte, waren als Zuständigkeit zudem (fälschlicherweise) die Wiener Stadtwerke niedergeschrieben. Ein Lapsus, der wohl dem kurzfristigen Kompetenz-Tetris des Parteichefs geschuldet ist. Die Stadtwerke ressortieren zwar bisher bei Hanke, wanderten nun aber zu Sima.
Der Schritt ist nachvollziehbarer: Sima war schon bis 2020 für den Riesen-Konzern politisch verantwortlich. Die Betriebe der Stadtwerke haben zudem Problempotenzial, da braucht es Erfahrung. Die Causa Wien Energie ist noch in allgemein guter Erinnerung, die Wiener Linien stehen rund um die Komplikationen beim U-Bahn-Ausbau in der Kritik. Dass nun der gesamte Verkehr inklusive Öffis bei Sima gebündelt ist, ist zudem sinnvoll.
Novak wird auch so alle Hände voll zu tun haben. Nicht nur mit den Einsparungen im Budget, sondern mit der Wien Holding, die in ihren Einflussbereich fällt. Die Holding ist für so gut wie alle Problem-Bauten der Stadt mitverantwortlich – die Stadthalle (marod), die Event-Arena in Neu Marx (verzögert und teurer), den Fernbusterminal (nach Rechtsstreit verzögert).
Was von der neuen Stadträtin erwartet wird
Wie immer wieder zu hören ist, wird von der neuen Stadträtin erwartet, hier "tief in die Materie einzutauchen". Vor allem Holding-Chef Kurt Gollowitzer soll offenbar bald zum Rapport. Zuletzt sorgte seine Doppelrolle beim Kauf des Austria-Stadions durch die Stadt für Naserümpfen. Gollowitzer ist auch Austria-Präsident. Dass es in der Chefetage der Holding rumort, bestätigt man in fast allen Parteien.
Novak hat zudem das Thema Digitalisierung übernommen, das bisher bei Sima lag. Auch das ist logisch. Novak gilt als Expertin. Für die damalige Staatssekretärin Sonja Steßl war Novak als Fachreferentin für Digitalisierung beschäftigt. Im Gemeinderat war sie 18 Jahre lang Digitalisierungssprecherin.
Pakt wurde abgesegnet
Bestätigt ist seit dem Wochenende auch die dritte mächtige Frau in der Stadtregierung, die Teil der Kompetenzrochaden ist. Bei der Neos-Mitgliederversammlung wurden der Koalitionspakt und mit ihm Vizebürgermeisterin Bettina Emmerling abgesegnet. So groß wie erhofft ist die Euphorie der Mitglieder nicht. Die Zustimmung lag zwar bei 81,9 Prozent. Das heißt aber auch: Rund jeder Fünfte hat gegen die Koalition gestimmt.
Emmerling ist ab sofort nicht nur für Bildung und Integration zuständig – sondern auch für die Wiener Märkte, die bisher bei Sima lagen. (Dafür nicht mehr für die Bäder, die zu Klimastadtrat Jürgen Czernohorszky wandern.)
Bettina Emmerling geht mit Zustimmung von 81,9 % in die Koalition - weniger als erhofft
Die Märkte sind seit jeher pinkes Kernthema. Bei den Verhandlungen mussten die Neos offenbar für das Ressort kämpfen. "Angeboten hat es uns die SPÖ nicht gerade", heißt es aus Verhandlerkreisen. Die Märkte eignen sich gut, sich wieder stärker als Wirtschaftspartei zu positionieren. Mit Sima wird man aber weiter zusammenarbeiten müssen. Sie ist als Zuständige für die Stadtplanung bei Großprojekten mit am Tisch.
Einigkeit von Rot und Pink
Am Wochenende signalisierten Rot und Pink gleich Einigkeit. Sima und der Neos-Märktesprecher Markus Ornig freuten sich über einen Rekord. 32,8 Millionen Marktbesucher habe man in den vergangenen zwölf Monaten verzeichnet; eine Steigerung von 19,5 Prozent.
Dass die Ressort-Kombination aus Bildung, Integration und Märkten eigentümlich anmutet, quittiert man bei den Neos mit einem Konter: "Die ÖVP hat Märkte und Integration negativ miteinander verknüpft", sagt ein Funktionär in Erinnerung an das Brunnenmarkt-Video des damaligen ÖVP-Chefs Karl Mahrer. "Wir Neos zeigen, dass es positive Zusammenhänge gibt."
Ein wahres "Leuchtturmprojekt" sehen SPÖ und Neos in der Neugestaltung der Ringstraße. Die Neos legen so viel Wert auf das Thema, dass Emmerling es bei der Vorstellung des Regierungspaktes selbst präsentieren durfte, obwohl es in SPÖ-Kompetenz liegt.
Mehr für Fußgänger und Radler
Bekannt ist, dass es zu einer Fußgänger- und Radfahrer-freundlichen Umgestaltung der Nebenfahrbahnen kommen soll. Vielleicht traut sich die Koalition aber mehr. Erst 2024 gab es eine rot-pinke Debatte: Sima kündigte damals im Standard an, die Radweg-Infrastruktur am Ring zu verbessern. Emmerling legte nach: "Zu sagen, alle Fahrspuren müssen erhalten werden, ist nicht zeitgemäß." Auch das Parken in Nebenfahrbahnen wollte sie abschaffen.
Wann das Konzept präsentiert wird? Sima kündigte vor einem Jahr eine zeitnahe Umsetzung nach der Wahl an. Aus pinken Kreisen war zuletzt zu hören, dass damit nicht vor nächstem Jahr zu rechnen sei.
Zwei weitere relevante Personalentscheidungen bei den Neos im Zuge der Regierungsbildung: Julia Deutsch, Klubchefin in Neubau und einstige Junos-Generalsekretärin, wird Bundesrätin. Marko Knöbl, stellvertretender Kommunikationschef im Rathausklub, übernimmt die Medienarbeit für Emmerling.
Die ÖVP und die Pride
Internes Murren gibt es unterdessen bei der ÖVP: Gemeinderätin Caroline Hungerländer publizierte auf Instagram ein Video, in dem sie sich gegen den Pride Month aussprach. An ihrer Seite: Der ÖVP-Politiker Jan Ledochowski, der sich in der Partei um die streng christliche Community kümmern soll.
Die Kernbotschaft: Der "teure" Pride Month, Drag-Queen-Lesungen für Kinder und queere Museumsführungen und seien kein Zeichen für eine offene Gesellschaft, sondern "ein neuer Dogmatismus"; in Wien herrsche eine "Ideologie der Minderheit". Und: Österreichs Problem sei "nicht die fehlende Diversität", sondern "fehlende Kinder".
Das bringt zustimmende Kommentare – aber auch Kritik: "Wieso muss man Pride gegen Familie ausspielen?", ärgert sich etwa Marcel Flitter, ÖVP-Funktionär und Bezirks-Spitzenkandidat in Mariahilf in einer Antwort auf das Video. Andere kritisieren – in Zeiten, in denen etwa in Ungarn die Pride verboten wurde – die "pauschale Herabwürdigung ganzer Gesellschaftsgruppen".
Zusätzlicher Umsatz
Hingewiesen wird zudem darauf, dass den von Hungerländer kritisierten Ausgaben der öffentlichen Hand in Höhe von zwei Millionen Euro kräftige Mehreinnahmen für Wien gegenüberstünden: Die Wirtschaftskammer rechnet damit, dass in den nächsten Wochen durch die Pride bis zu 20 Millionen Euro an zusätzlichem Umsatz generiert werden.
In der Landes-ÖVP, die sich in einer inhaltlichen Neuaufstellung befindet, hält man auf KURIER-Anfrage fest, dass "jeder Mensch Respekt und Schutz vor Diskriminierung verdient – unabhängig von seiner Lebensweise". Die Wiener ÖVP stehe "für Vielfalt", sagt der neue Landesgeschäftsführer Lorenz Mayer, "aber auch für Ausgewogenheit". Es müsse erlaubt sein, "auf Missverhältnisse in der städtischen Förderpolitik hinzuweisen".
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