SPÖ und Neos bleiben vage
Ein Blick zurück zeigt, dass zwischen der Dauer von Verhandlungen und dem Gehalt des Ergebnisses nicht zwangsläufig eine Korrelation besteht. So ließen sich etwa Rot und Grün 2010 schon nach 36 Tagen „den Spritzwein bringen“, um ihre Zusammenarbeit zu begießen – und prägten in der ersten derartigen Koalition die Stadt bedeutend. Tatsächlich haben auch die rot-pinken Koalitionspartner 191 sorgsam mit Buchstaben befüllte A4-Seiten abgeliefert. Wahr ist aber zugleich, dass sich vieles darin liest, als sei man mitten im Brainstorming-Prozess stecken geblieben.
In der Liste an Absichtserklärungen findet sich Skurriles (etwa die „Nette Toilette“, die den Klo-Besuch ohne Konsumzwang in der Gastro ermöglichen soll; oder die Stadtseilbahn, ein pinkes Spaßprojekt). Problematischer ist, dass SPÖ und Neos dort, wo sie den Finger in die Wunde legen könnten, spürbar vage bleiben.
Die "Aufschwungskoalition" in Wien
Beispiele gefällig? Die ideologisch umstrittene und teure Wiener Mindestsicherung hat man pflichtschuldig ins Programm aufgenommen – wie die versprochene Reform aussehen kann, ist aber offen. Auch einen „Integrationskodex“ will man erarbeiten – was bei Verstößen passiert, bleibt im Dunklen. Die Parkometerabgabe wird flexibilisiert – auf die Auflösung dessen, was das bedeutet, werden Autofahrer warten müssen. Von Politpartnern, die seit fünf Jahren miteinander arbeiten, hätte man sich Konkreteres gewünscht. Wieder andere Punkte finden sich gar nicht im 191-Seiten-Papier.
Das Thema Sicherheit wird in Halbsätzen abgehandelt, nach dem Lobau-Tunnel sucht man vergebens. (Der Hinweis, dass beides in Bundeskompetenz liege, wirkt nicht schuldbefreiend. Gleiches gilt etwa für die Stilllegung der Gasnetzinfrastruktur oder die Residenzpflicht – und doch haben sie es ins rot-pinke Abkommen geschafft.)
Also alles schlecht, wie die Opposition reflexartig bemängelt? Bei Weitem nicht. Michael Ludwig und Bettina Emmerling lassen sich schlichtweg viele Möglichkeiten offen. In unsteten Zeiten, die politisch nicht nur Vorausplanung und Visionen, sondern vielmehr schnelle Reaktionsfähigkeit erfordern, muss nicht alles in Fünf-Jahres-Plänen in Stein gemeißelt sein.
Ludwig, dem das Image des Zauderers anhaftet, kann ab sofort beweisen, dass er sein Rahmenprogramm mit Taten und Ergebnissen zu echtem Leben erwecken kann. Dass sich SPÖ und Neos den Namen „Aufschwungskoalition“ gegeben haben, bietet einen Anknüpfungspunkt, an welchen harten (Wirtschafts-)Daten man die Stadtregierung messen wird können.
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