Später Prozess um überrollten Arbeiter

Später Prozess um überrollten Arbeiter
Lainzer Tunnel: Bauwart büßte Unterschenkel ein, angeklagte Bauleiter sprechen von "erstaunlich niedriger" Unfallrate

Neun Jahre, nachdem ein Arbeiter im Lainzer Tunnel von einem tonnenschweren Muldenkipper überrollt worden war, musste er sich anhören: Er selbst sei dafür verantwortlich, ihm sei ein Fehler unterlaufen, er habe die Arbeitsanweisung 1211 missachtet, er hätte im Rangierbereich des Baufahrzeuges gar nichts verloren gehabt.

Wenn man am Dienstag im Wiener Landesgericht den angeklagten Bauleitern und ihren Verteidigern lauschte, wähnte man sich bei einer Preisverleihung: Der zehn Kilometer lange Lainzer Tunnel (der seit 2012 die West-, Süd- und Ostbahnstrecke verbindet), ein "Prestigeprojekt der ÖBB", sei durch einen von Ostasien bis Südamerika anerkannten "Vorzeigebetrieb" installiert worden, der eine "Vorzeigebaustelle" unterhalten habe, die "bestens gelaufen" sei. Die Angeklagten hätten ihr Handwerk verstanden, "hervorragend sorgfältig" gearbeitet, einer habe gar Seminare zur Bausicherheit gehalten. Von mangelnden Sicherheitsvorkehrungen könne keine Rede sein.

Dass es vor dem Unglück bereits vier ähnliche schwere Unfälle – darunter sogar einen tödlichen – gegeben hat, weil Arbeiter in den "toten Winkel" von Baufahrzeug-Lenkern gekommen waren, veranlasste Richter Stefan Erdei zur Feststellung: Die "Ausfallquote" entspräche "jener der amerikanischen Truppen im Irak". Die Angeklagten aber wischen das vom Tisch: Es seien dort über Jahre hinweg Tausende Arbeiter unterwegs gewesen, dafür sei die Unfallrate doch "erstaunlich niedrig".

Blindflug

Fest steht: Am 15. Juli 2008 überrollte ein Muldenkippenfahrer in einem Schacht den damals 28-jährigen Bauwart Michael O., der dort auf einem nicht extra abgetrennten Gehweg ging. Brüche des Beckens, des Oberschenkels, einer Gelenkspfanne waren die Folge, der rechte Unterschenkel musste amputiert werden. Der Fahrer wurde ein Jahr nach dem Unglück mit der Begründung freigesprochen, er habe Michael O. gar nicht sehen können. Er habe sich beim Hineinfahren alle Hindernisse gemerkt und sei im Blindflug retour wieder hinaus.

Inzwischen stellte sich heraus, dass der Fahrer Michael O. zumindest fünf Sekunden lang doch hätte sehen können. Richter Erdei will sich an dem zweifelhaften Freispruch daher keinesfalls orientieren. Was man aber nach neun Jahren (die Staatsanwältin gesteht "Versäumnisse der Anklagebehörde" zu) bis jetzt nicht genau weiß: Lag der Gehweg links oder rechts oder mehr mittig? Trug Michael O. eine Grubenlampe, um auf sich aufmerksam zu machen?

Und warum gab es keine Abgrenzung zwischen Fahrspur und Gehweg? Kein Platz, sagt ein Bauführer. Nach dem Unfall wurde eine Betonleitwand aufgestellt, "plötzlich war doch Platz" (Richter). Am Mittwoch kommt das von Anwalt Sebastian Lesigang vertretene Opfer als Zeuge.

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