Schutzzone am Keplerplatz: Der Drogen-Hotspot hat sich verlagert
Spaziert man dieser Tage am Keplerplatz vorbei, versetzt einen der große Christbaum mit den roten und goldenen Kugeln vor der Johanneskirche sogleich in Weihnachtsstimmung. Nichts deutet daraufhin, dass dieser Platz noch vor wenigen Wochen Hotspot für Wiens Drogenszene in Favoriten war.
Seit 22. Oktober ist die Schutzzone am Keplerplatz in Kraft. Die Polizei veranlasste diese Maßnahme, um der zunehmenden Kriminalität vor Ort Herr zu werden. Seither gab es dort 200 Festnahmen und mehrere hundert Anzeigen sowie Sicherstellungen. „Man kann derzeit von einer merkbaren Verbesserung der Situation am Keplerplatz sprechen, sowohl was das Lagebild als auch das Straßenbild betrifft“, sagt Polizeisprecher Daniel Fürst auf KURIER-Anfrage.
Dealer in den Seitenstraßen
Problem also gelöst? Ein Blick auf die andere Straßenseite beantwortet die Frage. Eine Gruppe von etwa fünfzehn Personen hat sich unter dem Vordach der Erste Bank versammelt, die sich genau gegenüber vom Keplerplatz befindet. Ein junger Mann wirft eine Bierflasche auf den Boden und beginnt zu schreien. Es dauert nur wenige Minuten, bis fünf Polizisten vor Ort sind. Sie versuchen mit ihm zu sprechen.
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Als der junge Mann die Beamten ignoriert und mit der Faust beginnt, auf die Glasscheibe der Bank einzuschlagen, fixieren ihn drei Polizisten, bis er sich beruhigt hat.
Auf die Frage, ob sich die Situation am Keplerplatz allgemein beruhigt habe, antwortet eine Polizistin vor Ort: "Durch die Schutzzone ist die Lage rund um die Kirche definitiv viel besser, das Problem hat sich aber vielmehr verlagert. Die Gruppen treffen sich jetzt in den umliegenden Seitenstraßen."
Winter vertreibt "Besucher"
Dass die Drogendealer nicht einfach verschwunden sind, sondern sich alternative Plätze suchen, bestätigt auch Polit-Aktivist Johann Posch. Der 68-Jährige wohnt in der Nähe und dreht täglich seine Runden durch Favoriten. Ein Fixpunkt auf seiner Route: der Keplerplatz.
"Wäre man schon im vergangenen Frühjahr auf die Idee gekommen, dort eine Schutzzone einzurichten, könnte man jetzt ein besseres Urteil fällen, inwieweit diese Maßnahme wirkt. Momentan sieht man die üblichen Verdächtigen eher in den Seitenstraßen, etwa auf der Gudrunstraße", berichtet der Wiener. Außerdem würden die niedrigen Temperaturen die "Keplerplatz-Besucher" ohnehin vertreiben.
Keine Dauerlösung
Fragt man bei direkten Anrainern nach, ist der Tenor fast immer derselbe. "Ich bin hier aufgewachsen. Es ist so schade, dass der Keplerplatz so verkommt. Am Tag ist die Lage eh meistens okay, nur am Abend eskaliert es schon hin und wieder", sagt Anrainer Helmuth Boschinger. "Durch die Schutzzone hat sich die Situation zwar schon verbessert, weil immer Polizisten da sind. Aber das ist ja keine Dauerlösung", stimmt seine Freundin Stephanie Hiess zu.
Schutzzone für sechs Monate
Die Schutzzone am Keplerplatz ist auf sechs Monate befristet. Laut Gesetz ist "die Verordnung in jedem Fall von der Behörde aufzuheben, sobald eine Gefährdung nicht mehr zu befürchten ist". Sie kann aber auch verlängert beziehungsweise erneut erlassen werden. Ob die Schutzzone konkret am Keplerplatz über die sechs Monate hinaus gelten wird, ist derzeit noch nicht klar.
Einer, der sich für strengere Maßnahmen am Keplerplatz eingesetzt hat, ist Wolfgang Baumann, stellvertretender Bezirksvorsteher der ÖVP in Favoriten. Er forderte neben anderen Bezirkspolitikern eine Videoüberwachung - ähnlich wie am Reumannplatz - sowie eine Notrufsäule am Keplerplatz.
Ob man diese Maßnahmen nach Auslaufen der Schutzzone erneut einfordern werde, könne derzeit noch nicht abgeschätzt werden. "Wir müssen bis zum Frühjahr abwarten, inwieweit sich die Situation am Keplerplatz langfristig verbessert hat. Was wir aber fordern, ist eine Aufstockung der Sozialarbeiter vor Ort", betont Baumann.
12 Sozialarbeiter
Die Schutzzone ist eine rein polizeiliche Maßnahme, es wurden deshalb auch nicht mehr Mitarbeiter der mobilen sozialen Arbeit dafür eingesetzt. Derzeit sind - wie auch schon zuvor - 12 Sozialarbeiter zwischen Hauptbahnhof und Reumannplatz im Einsatz, die dort täglich in Zweierteams ihre Runden drehen.
"Aktuell stellen wir eine Entspannung der Situation am Keplerplatz fest. Hier wissen wir jedoch auch, dass das Wetter – sprich die kalte Jahreszeit – dafür sorgt, dass allgemein weniger Menschen im öffentlichen Raum verweilen. Die Wirkung der Maßnahmen vor Ort können erst im Frühjahr durch objektive Zahlen der Polizei festgestellt werden", sagt dazu Ewald Lochner, Koordinator für Psychiatrie, Sucht- und Drogenfragen der Stadt Wien.
Dauerhafte Lösung
Erst im Frühjahr konkrete Maßnahmen anzudenken, ist für Nationalratsabgeordneten Nico Marchetti (ÖVP) zu spät. Marchetti trat im Sommer neben Baumann und Posch für polizeiliche Sicherheitsmaßnahmen am Keplerplatz ein. Er sieht vor allen die Stadt und konkret die Bezirkspolitik in der Verantwortung.
"Es kann nicht sein, dass es hinter jedem Busch ein Polizist stehen muss, um die prekäre Situation vor Ort in den Griff zu bekommen. Die Situation am Keplerplatz ist viel mehr Ausdruck der gescheiterten Integrationspolitik der Stadt. Es braucht hier wirklich nachhaltige Lösungen, damit sich das Problem nicht wieder woanders hin verlagert", so Marchetti.
Forderung nach 500 Polizisten
Die SPÖ fordert konkret mehr Polizisten für den zehnten Bezirk. „Auf 221.000 Einwohner in Favoriten kommen nur 319 Polizisten. Wir fordern eine Aufstockung um 181 Planstellen“, sagt Harald Schuster, Sprecher von Bezirksvorsteher Marcus Franz.
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