Die Schulen sind zu, die Kinder haben Sommerferien. Die Debatte um das Bildungssystem reißt allerdings nicht ab und wird hitziger geführt denn je. Nachdem, wie berichtet, Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP) und Wiens Vizebürgermeister und Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr (Neos) vergangene Woche aneinander gekracht sind, geht die Fehde diese Woche weiter.
Der Minister hatte sich entrüstet gezeigt, nachdem Wiederkehr mehr Geld vom Bund gefordert hatte, um die Herausforderungen, die der Familiennachzug mit sich bringt, lösen zu können. Nun bekommt Polaschek Schützenhilfe von den Wiener Türkisen, konkret von Parteichef Karl Mahrer und Bildungssprecher Harald Zierfuß.
„Der Vizebürgermeister sollte vor seiner eigenen Haustür kehren, bevor er Forderungen an andere stellt“, erklären beide- und haben eine Bilanz zu Wiederkehrs Wirken erstellt. Das Fazit: Probleme gebe es nicht nur wegen des Familiennachzugs. Für Kindergärten und Schulen in Wien laufe es generell immer schlechter und Wiederkehr schiebe die Verantwortung ab, heißt es zum KURIER.
Bei den Neos beurteilt man die Lage naturgemäß anders und geht mit den Kritikpunkten der ÖVP hart ins Gericht. Die Streitpunkte im Detail:
Deutschförderung
ÖVP: "Ein Drittel der Wiener Erstklässler versteht zum Schuleintritt den Lehrer nicht. 80% davon waren mindestens zwei Jahre im Kindergarten. Es ist vollkommen klar, dass es mehr Deutschförderkräfte in den Kindergärten braucht. Trotz großer Ankündigungen hat sich unter Wiederkehr nichts verändert."
Neos: "Die Anzahl der Sprachförderkräfte wird kontinuierlich ausgebaut. Über 370 Sprachförderkräfte unterstützen aktuell Kinder mit Sprachförderbedarf in privaten und städtischen elementaren Bildungseinrichtungen. Damit ist der Personalstand so hoch wie nie zuvor. Bis Ende 2025 werden 500 Sprachförderkräfte an Wiener Kindergärten eingesetzt sein."
ÖVP: "Bis zu 20 Lehrer - also eine ganze Schule - gehen am Tag. Da geforderten Maßnahmen zur Attraktivierung werden ignoriert, zig Klassen werden zu Schulbeginn ohne Lehrer dastehen."
Neos: "Für die Lehrerausbildung ist der Bund zuständig, und diese wurde in den letzten Jahren nicht ausreichend umgesetzt. Selbstverständlich gibt es Fluktuationen durch Wohnortwechsel, aber vor allem durch Karenzierungen aufgrund von Schwangerschaften. Wir arbeiten bis zum letzten Ferientag daran, für jede Klasse die beste Besetzung zu finden." Für die meisten Schulen hätte man bereits ausreichend Pädagoginnen und Pädagogen zuweisen können. Es wird allerdings eingeräumt, dass man für den Volksschulbereich noch die nächsten Wochen benötigen werde, "um für einige Klassen Lösungen zu entwickeln."
Sozialarbeiter an Schulen
ÖVP: "In der Vergangenheit haben die Neos selbst einen Schulsozialarbeiter pro Schule gefordert. Statt den dafür nötigen 448 Planstellen, gibt es nur 82."
Neos:"Aufgrund der großen sozialen Herausforderungen, die nicht zuletzt der Zuzug mit sich bringt, hat sich Wien zu einer Aufstockung der Schulsozialarbeiter ab dem Schuljahr 2024/25 um weitere zehn entschlossen. Dieser letzte Ausbauschritt erfolgt ausschließlich auf Kosten des Landes, da im Zuge der Finanzausgleichs keine Anhebung des Finanzierungsdeckels durchgesetzt werden konnte. Wien ist bei der Finanzierung der Schulsozialarbeit mittlerweile komplett alleingelassen."
Ehe und Familie sind verfassungsrechtlich geschützt. Dieser Schutz gilt auch für Migrantinnen und Migranten. Konkret bedeutet das, dass enge Familien-Mitglieder eines bereits in Österreich lebenden Asylberechtigten zu diesem ziehen dürfen, z.B. Ehepartner und eigene minderjährige ledige Kinder.
Allein im März 2024 gab es rund 900 Einreiseanträge von Familienmitgliedern, die meisten aus Syrien. Etwa die Hälfte davon waren Kinder. Das stellt insbesondere die Schulen vor eine große Herausforderung, die ohnehin unter Personalmangel, erhöhten Belastungen und schlechten Sprachkenntnissen vieler Schüler leiden.
Viele der Kinder, die über den Familiennachzug nach Wien kommen, werden darum vor dem Start in den regulären Unterricht in sogenannten Orientierungsklassen unterrichtet. Das Angebot richtet sich an Kinder mit Fluchterfahrung, die zum Teil noch nie in eine Schule besucht haben.
Religionsunterricht abschaffen
ÖVP: "Die Antwort auf Radikalisierung und Extremismus an den Wiener Schulen soll laut Wiederkehr sein, den Religionsunterricht zu ersetzen. Gerade ein fundierter und gut kontrollierter Religionsunterricht würde aber die Tendenzen bekämpfen können."
Neos: "Fakt ist, dass wir in einer auch religiös immer diverseren Gesellschaft leben und dass gerade in Wien viele Jugendliche Wertehaltungen an den Tag legen, die mit unserer liberalen Demokratie nicht kompatibel sind (u.a. Gleichberechtigung von Mann und Frau, Ablehnung von Homosexualität). Wir versuchen dieses Problem mit einem verpflichtenden Demokratieunterricht ab der Volksschule (ergänzend zum Religionsunterricht) zu lösen, der von allen Kindern jedweder Konfession besucht werden muss."
Willkommenkultur
ÖVP: "Noch 2020 demonstrierte Wiederkehr selbst mit 100 leeren Stühlen vor dem Innenministerium mit den Worten „Wir haben Platz“. Jetzt, wo hunderte Kinder aufgrund seiner Politik kommen, sieht er plötzlich das Problem und schiebt die Verantwortung ab."
Neos: "Dieses Statement der ÖVP ist an Zynismus kaum zu überbieten. Zum damaligen Sachverhalt: Inmitten der Corona-Pandemie war das griechische Flüchtlingslager Moria massiv überbelegt. Bei mehreren Bränden im Lager war das Leben von tausenden Menschen bedroht. Christoph Wiederkehr machte sich daher für rasche humanitäre Nothilfe für zumindest 100 Kinder aus dem Flüchtlingslager in dieser katastrophalen Lage stark. Dieser Umstand wird nun angeführt, um vom migrationspolitischen Totalversagen der Bundesregierung abzulenken."
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