Hier, in einer Klasse im Westen Wiens, der genaue Standort wird zum Schutz der Kinder nicht genannt, lernen sie, sich in einer Schule zurechtzufinden. Vokabel für den Alltag gehören dabei ebenso dazu wie die Grundregeln für das Klassenzimmer.
Vorabgespräche werden mit Eltern geführt
Maximal acht Wochen werden die 6- bis 15-Jährigen in Orientierungsklassen unterrichtet, bevor sie in Regelschulen, konkret in Deutschförderklassen, integriert werden, erklärt Ulrike Rötgens von der Bildungsdirektion Wien. Alle Kinder, die im Rahmen von Familienzusammenführungen (siehe Infokasten) nach Wien kommen, werden zunächst gemeinsam mit ihren Erziehungsberechtigten zu einem Orientierungsgespräch eingeladen.
Dort wird von arabischsprachigen, pädagogischen Expertinnen und Experten festgestellt, für welche Kinder eine Orientierungsklasse sinnvoll ist. Es sind für in Österreich aufgewachsene Kinder selbstverständliche Dinge, die einigen der Neuankömmlinge unbekannt sind, etwa das Hantieren mit Stiften oder Bastelmaterial. Ohne diese Kenntnisse ist die Regelschule eine riesige Herausforderung – für die Kinder selbst, das Lehrpersonal und die Klassenkameraden.
Monatlich kommen im Zuge von Familienzusammenführungen rund 350 Kinder von Asylberechtigten nach Wien, 90 Prozent davon aus Syrien. Das ist schon allein wegen der Menge eine Belastung für das Bildungssystem, da sind sich Lehrergewerkschaft und Politik einig. Die Orientierungsklassen sollen den Druck etwas mindern.
Ein wichtiger Aspekt sei, sagt Rötgens, dass auch die Eltern auf das neue Bildungssystem eingeschult werden. Auch für sie ist schließlich alles neu und ungewohnt. Welche Funktion hat ein Mitteilungsheft? Welche Jause gebe ich mit? Was gehört in ein Federpennal? All das wird in diesen Wochen vermittelt.
Überzeugungsarbeit ist notwendig
Einige syrische Eltern sind übrigens genauso wie einige österreichische: Dass das eigene Kind etwas nicht kann, wird nicht gerne zugegeben. In den Vorgesprächen muss man die Eltern also vorsichtig davon überzeugen, dass es das Beste für das Kind ist, in der Orientierungsklasse zu starten, erzählt das Expertenteam.
Bei den älteren Kindern, die 10- bis 15-Jährigen, ist beim Lokalaugenschein die Stimmung gut. Sie singen zwar nicht, sind aber trotzdem eifrig dabei. Auch sie lernen Bezeichnungen für Körperteile und die Namen der Monate. Im Anschluss soll eine Turnstunde stattfinden.
„Fußball“, sagen fast alle auf die Frage, was ihnen beim Sportunterricht am besten gefällt. Aber auch das Absolvieren eines Hindernisparcours ist hoch im Kurs.
Einzigartig
Das Konzept der Orientierungsklassen hat kein internationales Vorbild, es wurde in Wien entwickelt, sagt Wiens Vizebürgermeister und Bildungsstadtrat Christoph Wiederkehr (Neos). In Hamburg habe man sich bereits sehr interessiert daran gezeigt.
Hürden gibt es aber einige. Das österreichische Schulrecht sei sehr starr und klarerweise nicht für diese Situation geschaffen worden, sagt Wiederkehr. Eine Orientierungsphase sei nicht vorgesehen und man müsse sich somit an Vorgaben halten, die für den Regelschulbetrieb gelten. In der Praxis bedeutet das vor allem große bürokratische Hürden. Wiederkehr würde sich hier mehr Flexibilität wünschen. Unterstützung vom Bund fehle ihm ohnehin: „Wien muss alles alleine stemmen.“
Die Mühe merkt man dem äußerst engagierten Expertenteam nicht an. Die Arbeit sei ihnen wichtig. „Wir wollen jedes Kind mitnehmen“, sagt auch Bildungsdirektor Heinrich Himmer. „Jeder Tag, den sie hier verbringen können, hilft ihnen in der Zukunft.“ Das findet übrigens auch der Schulwart: „Wenn ich spazieren gehe und skeptische Anrainer treffe, sage ich immer: Diese Kinder sind unsere Pensionseinzahler von morgen.“
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