Bildungsforscher: Warum klare Regeln in der Schule so wichtig sind

Roland Bernhard
Wie sieht erfolgreicher Unterricht in einer Schule in einem sozialen Brennpunkt aus?
Mit dieser Frage beschäftigt sich Roland Bernhard, der eigens dazu nach London übersiedelt ist, um sich dortige Bildungseinrichtungen anzuschauen. Im Interview berichtet er über seine wissenschaftlichen Erkenntnisse. Mittlerweile unterrichtet er an der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Wien/Krems.
KURIER: Wie wichtig sind klare Regeln für einen gelungenen Unterricht aus Sicht der Wissenschaft?
Roland Bernhard: Kinder lernen nachweisbar dort am besten, wo Lehrkräfte es schaffen, eine geordnete, aber wertschätzende Unterrichtsatmosphäre herzustellen. Dies ist besonders wichtig für Kinder aus benachteiligten Elternhäusern, weil ihr Lernfortschritt noch stärker von der Schule abhängig ist.
Das zeigte sich auch in London, wo ich hochgradig effektive Schulen in schwierigen Lagen erforscht habe, die eine Wende geschafft haben. Bei Schulen, in denen sich die Schülerleistungen ausgehend von einem sehr niedrigen Niveau extrem verbessert haben, war am Beginn eines Verbesserungsprozesses die Einführung von Strukturen und Regeln ein wichtiges Erfolgskriterium.
Welche Regeln sind das? Und wie schafft man es, diese durchzusetzen?
Viele Schulen, ob in England oder in Österreich, arbeiten gemeinsam mit den Kindern und Jugendlichen Regeln aus. Welche Regeln notwendig sind, wissen die Schülerinnen und Schüler ohnehin selbst: Höflichkeit, andere ausreden lassen, Respekt gegenüber anderen und den Dingen der Schule etc. Schüler erwarten von der Lehrperson, dass sie Regeln auch einfordert und so eine angenehme und sichere Arbeitsatmosphäre für alle schafft.
Wo dies nicht gelingt, herrscht dann oft das Recht der stärkeren, kann Mobbing nicht verhindert werden und Schüler lernen weniger.
Sollte es Konsequenzen für Fehlverhalten wie Schwänzen oder Stören im Unterricht geben?
Konsequenzen sind immer der letzte Schritt. Davor kann man viele andere Dinge tun, die kooperatives Verhalten proaktiv begünstigen. Manche scheinen geborene Lehrkräfte zu sein, sie gehen in eine Klasse und es herrscht automatisch eine ruhige und anregende Arbeitsatmosphäre.
In Wirklichkeit wenden sie bewusst oder unbewusst bestimmte Techniken an, die man lernen kann. Unterricht ist in diesem Sinne auch ein Handwerk. An der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule Wien/Krems bieten wir übrigens sehr praxisorientierte Kurse zu Classroommanagement an, welche die Teilnehmer sehr schätzen. (Unterrichte wie ein Champion. Wirksame Unterrichtstechniken für die Praxis )
Heißt das, es braucht keine Konsequenzen?
Doch – dafür verfügen gute Schulen über ein Konsequenzenmodell. Dieses beginnt in der Regel mit einem Vier-Augen-Gespräch mit den Schülern und endet mit dem, was für bestimmtes Fehlverhalten vorgesehen ist. In meinen Kursen betone ich immer, dass Herumschreien langfristig wenig effektiv ist.
Das Schreikonzert einer Lehrkraft kann für die Schüler manchmal die unterhaltsamsten fünf Minuten des Tages sein. Schreien untergräbt die eigene Autorität. Eine gute Lehrkraft zeichnet sich nicht nur durch konsequentes Handeln aus – sie mag die Kinder auch gerne, lächelt viel, weiß aber, was sie will, und fordert das mit ruhiger Stimme ein.
Wie sieht ein strukturierter Unterricht aus?
Die Strukturiertheit von Unterricht wird in Unterrichtsmodellen als eines der wichtigsten Qualitätskriterien gesehen. Dabei sind beispielsweise Routinen und Rituale von Bedeutung. Diese fördern die Kreativität und das tiefe Denken, weil sie das Kurzzeitgedächtnis vor Unnötigem entlasten. Sie sind ein wichtiges Element des Zusammengehörigkeitsgefühls in der Klasse, was wiederum bessere Beziehungen zwischen Kindern und Lehrkraft aufbauen lässt. Routinen tragen dazu bei, dass sich die Kinder sicher fühlen.
Was muss eine Schulleitung können, die Strukturen und Regeln schaffen will? Was eine Lehrperson?
Das Wichtigste ist, dass die Lehrpersonen die eigenen Schüler gern hat und mit Wertschätzung behandelt. Studien zeigen, dass die Beziehung zwischen Lehrer und Schüler ein entscheidender Faktor dafür ist, wie gut ein Kind lernt. Lehrkräfte müssen vorhersehbar sein – nichts hassen Schüler mehr als Ungerechtigkeit und Schatzerlwirtschaft.
Es ist in der Schule wie in der Erziehung: Wenn man Eltern fragt, was das Wichtigste ist, sagen sie: „Konsequent handeln“, fragt man sie, was am schwierigsten ist, antworten sie: „Konsequent bleiben.“
Das Wort Disziplin ist verpönt – auch weil man damit das Rohrstaberl verbindet. Aber Selbstdisziplin ist essenziell, wenn man Lernziel erreichen will. Wie kann man diese vermitteln?
Selbstdisziplin ist eine sehr wichtige Charakterstärke, die stark mit Erfolg, Glück und vielen anderen positiven Dingen im eigenen Leben korreliert. Aus meiner Sicht müssen junge Menschen in der Schule deshalb auch lernen, hart zu arbeiten – also Dinge zu tun, zu denen sie jetzt gerade keine Lust haben, wie Hausübungen machen, für einen Test lernen etc.
Sie müssen lernen, sich zu überwinden, denn so werden Kinder stark und fit für die Herausforderungen des Lebens. Wenn jemand konsequent für etwas arbeitet, ein Ziel anstrebt, und es erreicht, also die Früchte der Arbeit sieht, dann stellt sich oft etwas ein, das viel mehr ist als hohler Spaß, dann empfindet man echte Freude und tiefe Befriedigung. Solche Gefühle sind mit tiefem Lernen verbunden.
Da geht es auch um Charakterbildung.
Ja, das ist derzeit ein internationaler Trend. Man hat erkannt, dass Charakterstärken oder – wie man inzwischen wieder sagt – Tugenden und psychische Gesundheit zusammenhängen. Menschen, die mutig, hilfsbereit und höflich sind, gerne etwas für andere tun und die Selbstdisziplin üben, sind glücklicher.
Aktuelle Studien zeigen, dass man solche universell akzeptierten Charakterstärken gezielt in der Schule fördern kann und dass sich auf diese Weise das Verhalten im Klassenzimmer bessert. Eine ganz aktuelle Metaanalyse hat sogar gezeigt, dass Charakterbildung messbare Lernergebnisse verbessert. Hier proaktiv zu handeln ist besser als die Kinder im Nachhinein zu disziplinieren.

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