Rathausfassade: Wer sind die 76 Wächter über Wiens Stadtpolitik?

Rathausfassade: Wer sind die 76 Wächter über Wiens Stadtpolitik?
Nur drei Berühmtheiten schafften es an die Fassade des Rathauses. Die anderen Figuren erzählen dafür die Geschichte der Stadt

Von Theresa-Marie Stütz

Am 2. August 1879 ist es soweit. Auf der Fassade des Wiener Rathauses wird die erste Statue montiert: eine Tischler-Skulptur von Joseph Lax. Recht spät, wenn man bedenkt, dass der Spatenstich für den Sitz der Stadtregierung bereits im Jahr 1872 erfolgte.

Erbaut wurde das Rathaus im Stil der Neugotik, wie es im 19. Jahrhundert üblich war. Inspiriert sei sein Aussehen von mittelalterlichen Rathäusern, sagt Andreas Nierhaus, Kurator am Wien Museum. Diese waren ihrerseits Ausdruck eines städtisch-bürgerlichen Selbstbewusstseins.

Im Februar 1861 erließ Kaiser Franz Joseph I. das Februarpatent. Ein Befreiungsschlag, denn dadurch erhielt das Bürgertum nach der Zeit des Neoabsolutismus mehr Mitspracherecht in der Stadtregierung.

Zehn Jahre später wurden erstmals ein neuer Gemeinderat und ein Bürgermeister – Andreas Zelinka – gewählt. Die Ära des Liberalismus begann und die Stadterweiterung am Ring war in vollem Gange.

Bürgertum für die Fassade

76 Figuren kann man heute an der Außenfassade des Rathauses zählen. Sie repräsentieren das Bürgertum Wiens – haben laut Caroline Mang, Lektorin am Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien, aber noch eine weitere Funktion: „Als Bürger Wiens soll man beim Betrachten des Rathauses über die eigene Geschichte lernen können.“ Sie sind also eine Art Geschichtsbuch.

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Doch das wird früher nicht wirklich Früchte getragen haben, da nicht jeder Zugang zur Bildung hatte. Zudem sind die Figuren – von denen die meisten auf Höhe des Dachgesims angebracht sind – mit bloßem Auge nicht sofort erkennbar.

Dennoch: „Das umfangreiche Figurenprogramm des Wiener Rathauses war als Spiegel einer idealen bürgerlichen Gesellschaft gedacht“, sagt Andreas Nierhaus.

Arzt bis Fleischhauer

Symbolisiert wird das zum Beispiel durch jeweils zehn Plastiken an den beiden Seitenfassaden. Diese stellen bürgerliche Berufsstände dar. Die Berufe der Figuren sind aber nicht der damaligen Zeit – also der Industrialisierung im 19. Jahrhundert – angepasst.

Es wurden handwerkliche Berufe gewählt, die für das 16. Jahrhundert üblich waren. Die Rückbesinnung auf vergangene Epochen wird dadurch sichtbar. Denn im Mittelalter erfuhren handwerkliche Berufe im Zuge der Stadtentwicklungen hohes Ansehen.

Mit den ausgewählten Berufsständen sollte die Bandbreite an Berufsgruppen eingefangen werden, sagt Mang. Neben höher angesehenen Berufsständen wie Arzt oder Rechtsgelehrtem sind auch Berufe wie Tuchmacher oder Fleischhauer abgebildet.

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Im Gemeinderat vertreten war eigentlich nur das Großbürgertum – also ein Bruchteil von Wiens Bevölkerung. Wahlberechtigt waren im Jahr 1880 nur 3,5 Prozent der Wiener. Die Rückfassade des Rathauses sollte aber alle Wienerinnen und Wiener ansprechen.

Das personifizierte Wien

Mittig steht die Vindobona – das personifizierte Wien. Ihren Namen hat sie wahrscheinlich von einem römischen Legionslager um 97 n. Chr., das im heutigen 1. Bezirk stand.

Neben ihr: die vier bürgerlichen Tugenden und die vier bürgerlichen Aufgaben. Rechts stehen Wissenschaft, Kunst, Stärke und Gerechtigkeit. Links Weisheit, Treue, Erziehung und Mildtätigkeit.

Mit den Skulpturen an der Hauptfassade begann man aufgrund aufwendiger Steinmetzarbeiten als Letztes.

Reichshauptstadt

Vom Hauptturm des Rathauses schaut ebenfalls eine Vindobona-Statue herab. Flankiert von zwei Fahnenträgern und den Wappenträgern der beiden Kronländer Niederösterreich und Böhmen. Ummantelt werden die beiden seitlichen Turmwände von den restlichen zehn Kronländern – darunter Galizien, Oberösterreich und Mähren. Diese repräsentieren Wien als wichtigstes Zentrum der Monarchie.

Weiter geht es in der Hauptfassaden-Reihe (abwechselnd) mit Figuren, die die im Jahr 1850 eingemeindeten Vorstädte und Soldaten repräsentieren.

Die Soldaten und die bewaffnete Bürgerwehr erinnern an historische Ereignisse wie die beiden Türkenbelagerungen (1529 und 1683) oder die Schlacht von Solferino.

Die Trägerinnen der Vorstadtwappen hingegen verweisen auf das „Anwachsen der Metropole“. Ihre Darstellung als Frauen gehe auf das weibliche Geschlecht des Wortes urbs (lat. für Stadt) zurück, sagt Expertin Mang.

Der kupferne Mann

Die wohl bekannteste Figur ist und bleibt der Rathausmann. Er thront auf der Spitze des Hauptturmes und überragt sogar die Votivkirche. Dem Architekten gelang damit ein Coup: Das Rathaus durfte auf

Anordnung von Kaiser Franz Joseph nicht höher werden als die 99 Meter hohe Votivkirche. Das Rathaus ist 98 Meter hoch. Mit dem 5,4 Meter hohen Rathausmann übertrumpfte man die Kirche letztendlich aber doch.

„Der Rathausmann tritt gegen alle feindlichen Angriffe symbolisch immer wehrhaft auf und ist ein Wahrzeichen für die Stadt Wien“, sagt Kurator Andreas Nierhaus. Eine Kopie der Figur findet man übrigens im Rathauspark.

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