Putschversuch der Reichsbürger: Auch eine Gefahr in Österreich?
In Deutschland wollten Reichsbürger den Staat stürzen. Doch wie sieht die Szene der Reichsbürger in Österreich aus? Haben Pandemie und Teuerung den Zulauf erhöht und hat die Polizei überhaupt ausreichende Befugnisse zur Überwachung?
KURIER: Nach dem Putschversuch der Reichsbürger in Deutschland stellt sich die Frage, ob ein solches Szenario auch in Österreich denkbar ist?
Haijawi-Pirchner: Das Risiko für die öffentliche Sicherheit durch radikale Aktivisten und Gruppierungen aus der Demokratie-ablehnenden Szene ist durch die aktuellen Geschehnisse leicht erhöht, jedoch liegen derzeit keine Erkenntnisse und Hinweise auf bewaffnete, strukturiert-operierende Gruppen aus dem Spektrum der staatsfeindlichen Verbindungen vor.
Aber Sie beobachten die Betroffenen?
In Österreich wird die Szene der sogenannten "Staatsfeindlichen Verbindungen" und deren Agieren beobachtet und bei Wahrnehmung von strafbaren Handlungen oder Vorbereitungshandlungen eingeschritten und die notwendigen Maßnahmen gesetzt.
Wie denken die Anhänger staatsfeindlicher Verbindungen?
Staatsfeindliche Verbindungen erkennen den Staat Österreich nicht an. Grundsätzlich lehnen sie alle staatlichen Einrichtungen ab. Der Staat Österreich verfügt ihrer Meinung nach über keine Hoheitsrechte und wird als Privatunternehmen betrachtet.
Wie sieht die heimische Szene aus?
Eine Reichsbürger-Szene wie in Deutschland gibt es in Österreich aus aktueller Sicht nicht. Eine Strömung der staatsfeindlichen Verbindungen vertritt jedoch die Reichsbürgerideologie, die den Bestand des Deutschen Reiches auf Grundlage der Weimarer Verfassung weiterhin als gegeben ansieht. Die in Österreich aufhältigen „Reichsbürger“ können demnach in die Szene der Staatsverweigerer eingeordnet werden.
Von welcher Größenordnung geht die DSN aus?
Nach derzeitigem Erkenntnisstand bewegt sich die Anzahl der Personen, die sich zu den österreichischen „Reichsbürgern“ als zugehörig empfinden, im zweistelligen Bereich. In den letzten Jahren wurden keine speziellen Entwicklungen hinsichtlich der Struktur oder der Ideologie der Reichsbürger festgestellt.
Aber staatsfeindliche Verbindungen sind in Österreich kein Novum, oder?
Ab 2017 gab es in Österreich gemeinsam mit der Justiz starke strafverfolgende Maßnahmen gegen Führungspersönlichkeiten und Mitglieder der größten Staatsfeindlichen Verbindungen.
Mehrere hundert Personen wurden seitdem gerichtlich verurteilt. Ehemalige Gruppierungen lösten sich nach Einschreiten der Behörden in den Jahren auf. Aktuell sind der DSN insgesamt knapp 4.000 Personen namentlich bekannt, die der Szene der Staatsverweigerer zugerechnet werden.
Wie sehr haben Corona, der Ukraine-Krieg, die Teuerung den Zulauf zu Staatsfeindlichen Verbindungen beeinflusst?
Seit September 2022 ist ein leichter Anstieg der Beteiligung bei einschlägigen Demonstrationen und Veranstaltungen der demokratieablehnenden Szene zu bemerken, jedoch ist in gegenwärtigen Diskursen die „Corona-Thematik“ immer weiter im Schwinden. Die Ablehnung des Staates, seiner Einrichtungen und anderer als „Feindbilder“ dargestellter Institutionen einer liberalen Demokratie ist nach wie vor zentral. Dennoch werden soziökonomische und gesellschaftspolitische Themen, wie eben der Ukraine-Krieg oder die Teuerung, vermehrt in den narrativen Fokus der Szene aufgenommen.
Wenn Sie die Szene in Österreich charakterisieren müssten: Wie stellt sich der Kern da?
In weltanschaulicher Hinsicht ist eine rechtsesoterische bis rechtsextremistische, anti-pluralistische und staatsfeindliche Gesinnung, die auf der fundamentalen Ablehnung von demokratischen Werten, staatlichen Einrichtungen sowie bestehender Rechtsordnungen basiert. Sie manifestiert sich unter anderem in Form von Agitationen gegen das „System“.
Aber reden wir von Einzelpersonen, oder einem großen Netzwerk?
Die Szene setzt sich aus in Vereinen organisierten Einzelgruppierungen zusammen und hat sich im Zuge der Corona-Pandemie gemeinsam mit Akteuren aus dem heterogenen Spektrum der radikalen „Corona-Maßnahmen Gegner“ zu einer neuartigen demokratieablehnenden Szene entwickelt. In dieser können bislang ideologische, personelle und aktionistische Überschneidungen festgestellt werden. Darüber hinaus sind vereinzelt Vernetzungen mit Akteuren aus dem Bereich des organisiertem Rechtsextremismus vorhanden.
Kommuniziert die Szene über die üblichen Telegram-Kanäle?
Es wird vorwiegend über den Messengerdienst „Telegram“ kommuniziert. Herkömmliche Telefonate stellen im Zuge von Ermittlungen immer weniger Bedeutung dar.
Somit hinkt die Polizei den Tätern nach, weil ausreichende rechtliche Handhabe gibt es in diesem Gebiet nicht.
Ja, Täter setzen vermehrt auf Verschlüsselungs- bzw. Anonymisierungsdienste, mangels rechtlicher Grundlagen können diese durch österreichische Sicherheitsbehörden nicht überwacht werden. Diese Problematiken treffen naturgemäß auch auf „Telegram“ zu. Es handelt sich jedoch um ein Problem, welches nicht ausschließlich das Phänomen der demokratieablehnenden Szene betrifft. Gerade in der Bekämpfung der hoch radikalisierten Extremismusformen sind für die Behörden entsprechende rechtliche Möglichkeiten notwendig, um effiziente Gefahrenabwehr und Ermittlungsarbeit leisten zu können.
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