Kampfsport und Wahrsagerei: Reichsbürger finden auch in Österreich Anschluss
Donnerstagnacht in einer Szene-Bar in Kitzbühel. Im hinteren Teil des Lokals wird im Fine-Dining-Bereich bereits wieder für den nächsten Abend aufgedeckt. Vorne an der Bar gibt es nur ein Gesprächsthema: Die Verhaftung des Chefkochs, der unter Verdacht steht, Mitglied eines mutmaßlichen Terrornetzwerks zu sein, das einen Putsch in Deutschland geplant haben soll.
Der Geschäftsführer des Lokals zeigt sich gegenüber seinen Gästen und im Gespräch mit dem KURIER fassungslos: „Das ist für mich immer noch alles total abstrus.“ Keine 48 Stunden vorher haben österreichische Einsatzkräfte auf Ansuchen der deutschen Behörden die Wohnung des bayerischen Starkochs oberhalb des Lokals durchsucht und den 62-Jährigen festgenommen. Er sitzt derzeit in Innsbruck in Übergabehaft.
Die Polizei an der Tür
Auch an die Tür seines Geschäftspartners klopfte gegen 6 Uhr die Polizei. „Sie wollten sein Cabrio mitnehmen, das bei mir stand, weil wir unsere Autos getauscht hatten“, erzählt der Gastronom. Für ihn sind die Vorwürfe immer noch nicht fassbar. „Wir sind seit 22 Jahren befreundet. Das ist ein herzensguter Mensch.“
Es habe nicht den geringsten Hinweis gegeben, dass der Starkoch – Schwiegervater eines ÖFB-Stars – mit der Reichsbürgerszene sympathisiert haben könnte. Dass diese Szene dem Rassismus zuneigt, passt ebenso wenig in das Bild, das der Deutsche – selbst Sohn türkischer Einwanderer – von seinem Freund hat. Im Lokal arbeitet Multi-Kulti-Personal.
Lokal wiedereröffnet
Die Bar wurde erst vor wenigen Tagen unter Führung des Duos mit neuem Konzept wieder eröffnet. „Wir haben ein Jahr lang daran gearbeitet. Das macht doch kein Typ, der die Regierung stürzen will“, fragt sich der Wirt. Für ihn gibt es nur zwei Möglichkeiten. Entweder hat sein Freund seine Gesinnung extrem gut versteckt oder es handelt sich um einen riesigen Irrtum und „er ist da in was reingerutscht“.
Für den Starkoch gilt die Unschuldsvermutung. Die deutschen Ermittler gehen offenbar davon aus, dass für den Verdächtigen schon eine konkrete Rolle für die Zeit nach dem geplanten Putsch vorgesehen war. Wie die Presse berichtet, hätte sich der 62-Jährige um die Versorgung des „militärischen Arms“ der Verschwörer kümmern sollen.
Zersplittert
Die Reichsbürger-Szene ist ein vorwiegend deutsches Phänomen. Unter anderen Namen sind die staatsfeindlichen Verbindungen aber auch in Österreich aktiv. Hier sind sie als „Staatsverweigerer“ bekannt. Doch die Szene ist äußerst zersplittert.
Ihren Ursprung nahmen die Reichsbürger bzw. Staatsverweigerer in den 1980er-Jahren, in Erscheinung traten sie allerdings erst ab den 2010er-Jahren. Österreichs bekannteste Vertreterin, Monika Unger (sie verbüßt aktuell eine langjährige Haftstrafe, Anm.) rief im Jahr 2015 den Staatenbund aus.
4.000 Staatsverweigerer
Was die Verbindungen gemeinsam haben: Sie lehnen den Staat ab, basteln sich ihre eigenen Strukturen – bis hin zu eigenen Sheriffs und Gerichtshöfen. Richter und Staatsvertreter werden „vorgeladen“, man sucht Verbündete bei Polizei und Exekutive. Aktuell sind dem Verfassungsschutz rund 4.000 Staatsverweigerer in Österreich bekannt. Die Szene ist aktuell im Aufschwung – und findet auch Widerhall bei den Corona-Maßnahmengegnern. Es soll auch Verbindungen zu einem russischen Kampfsportclub geben. Was passt: Denn Russland wird als Verbündeter gesehen.
Reichsbürger
sind in erster Linie in Deutschland aktiv. Doch es gibt auch (vereinzelte) österreichische Anhänger. Sie wurden laut Innenministerium auch zu „Rechtssachverständigen“ ausgebildet. Die kostenpflichtige Ausbildung beinhaltet auch die Vermittlung von NS-Gedankengut
Staatsverweigerer
Sie sind in Österreich seit 2015 ein Begriff. Damals rief die selbst ernannte Präsidentin Monika Unger den Staatenbund aus. Die ehemalige FPÖ-Politikerin hielt Vorträge, verkaufte Fantasie-Ausweise und -Kennzeichen.
Im Oktober 2020 wurde Unger wegen Hochverrats in Graz zu 12 Jahren Haft verurteilt. Seither hat sich die Szene zersplittert, ist aber noch aktiv. So wurden in Österreich Schusswaffen, Munition, Stahlruten und Bombenbau-Anleitungen sichergestellt
4.000 Anhänger
sind dem Verfassungsschutz aktuell in Österreich bekannt. Tendenz steigend
Razzia im trauten Heim
Das wirkt beim Lokalaugenschein in Niederösterreich surreal. Dort ist jenes Paar zuhause, das laut den deutschen Ermittlern die Reichsbürger bei einem Staatsstreich mit hellseherischen Fähigkeiten unterstützen hätte sollen.
Die beiden geben dem KURIER-Reporter in ihrem angemieteten Wohnhaus in Zeillern im Mostviertel – noch immer von einer sechsstündigen Hausdurchsuchung der Polizei am Mittwoch geschockt – ein ganz anderes Bild ab, als man es von renitenten Staatsverweigern kennt.
Seit fünf Jahren wohnen Renate Scherz und Siegfried Dawids, beide 63 Jahre alt, in dem Miethaus. Zwei kleine Zwergspitz empfangen Besucher aufgeregt, während das Frauerl einen Weinkrampf bekommt. In den reichlich mit esoterischen Symbolen bestückten Wohnräumen herrscht teilweise noch von der Hausdurchsuchung verursachtes Chaos.
„Nichts verbrochen“
„Wir haben nichts verbrochen, wir sind keine Reichsbürger und schon gar nicht deren Hellseher. Wir haben bislang nicht gewusst, was das überhaupt genau ist“, sagt Siegfried Dawids. 16 Beamte hätten nach Waffen und anderen verdächtigen Gegenständen gesucht und alle elektronischen Geräte mit Datenträgern einfach mitgenommen.
Seine Frau wirke als Medium, er sei in der Lage frühzeitig Schocksituationen in Menschen zu erkennen, schildert der deutsche Staatsbürger Dawids in breitem schwäbischen Dialekt. Vielen Kranken wollen die beiden als mobile Wender – so nennt man im Mostviertel Esoteriker mit speziellen Heilaktivitäten – bereits geholfen haben.
Auch in Deutschland war man mit dem eigenen „WenderMobil“ unterwegs. Das sei wohl auch die einzige Erklärung, wie man ins Visier der deutschen Bundesstaatsanwaltschaft geraten konnte, vermutet Dawids. „Wir haben im Bus etlichen Schwerkranken geholfen. Deren Namen finden sich jetzt auf der Verdächtigenliste der Bundesstaatsanwaltschaft. Mit Reichsbürgerschaft haben wir nichts zu tun“, versichert er.
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