Proteste vor Teichtmeister-Prozess: Die selbsternannten Missbrauchsjäger
Am Wochenende zogen sie durch Langenlois (Bezirk Krems), am heutigen Dienstag marschierten sie um das Wiener Landesgericht: Rund 20 Demonstranten, gewappnet mit Transparenten und einem hölzernen Galgen, die vorgeben, damit mehr Schutz für Kinder zu fordern.
"Die Politik und die Justiz tun viel zu wenig, um Kinder besser zu schützen", ließen die Demonstranten unmittelbar vor dem Gerichtsprozess gegen Florian Teichtmeister wissen. Der ehemalige Burgschauspieler muss sich wegen des Besitzes und der Herstellung von Missbrauchsdarstellungen Minderjähriger verantworten.
Der selbstgebaute Galgen, umwickelt mit Stacheldrahtzaun, wurde schon bei der Demonstration in Niederösterreich eingesetzt. In Langenlois, wo Teichtmeisters Mutter lebt. Auch in Wien schoben die Demonstranten den Galgen demonstrativ vor sich her. Darauf zu lesen: "Teichmeister", "Politik?" und "Justiz?"
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Selbstjustiz und Gewaltandrohung? Davon wollen die Demonstranten öffentlich nichts wissen. Der Galgen sei lediglich ein Symbol, gegen die "Mauscheleien" von Justiz und Politik, verkündete man vor dem Landesgericht.
Sachverhaltsdarstellung
Rechtsanwalt Manfred Arbacher-Stöger und Rechtsanwältin Elisabeth Thaler haben in Bezug auf die Demonstration mittlerweile eine Sachverhaltsdarstellung bei der Staatsanwaltschaft Wien eingebracht. Die könnte der Behörde als Grundlage für Ermittlungen dienen. Der Darstellung zufolge wurde die Versammlung vom Verein "Opferoffensive" organisiert, angemeldet wurde sie demnach von einem Herbert S. Angeführt wurde die Kundgebung offenbar von Karl H., der auch den Galgen angefertigt haben soll.
Auf dem Galgen ist in Großbuchstaben „Teichtmeister“ zu lesen. Umwickelt ist er mit Nato-Draht. Am Sockel finde sich zudem die Inschrift „Hi. 5.9.2023“, so die Sachverhaltsdarstellung. Manche interpretierten das als „hängt ihn“.
Gemeinsam mit mutmaßlich gewaltverherrlichenden Plakaten orten die Anwälte "eine Aufforderung zur körperlichen Gewalt und ein Aufstacheln zu Hass gegen Herrn Florian Teichtmeister". Demo-Teilnehmer hingegen behaupteten, der Galgen würde lediglich auf die Schwere der von Teichtmeister begangenen Delikte verweisen.
Herbert S. unterstellte zudem offenbar im Gespräch mit dem Standard den österreichischen Behörden, Teil eines pädo-kriminellen Netzwerks zu sein. Laut Arbacher-Stöger und Thaler entstehe so der Eindruck, es brauche Selbstjustiz. Aus den angeführten Gründen bestehe daher der dringende Tatverdacht, dass zu Straftaten sowie Gewalt und Hass aufgerufen wurde.
Organisator aus rechter Szene
Die Demonstranten wehren sich gegen derartige Unterstellungen. Ebenso wehren sie sich gegen eine Zuordnung zur rechten Szene. "Das wird in den Medien völlig falsch dargestellt", fühlen sich die Demonstranten falsch verstanden. Dass Organisator Martin Rutter laut dem Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes aber in einer "Verbindung zur extremen Rechten" steht, lässt sich angesichts seiner Vorgeschichte nicht abstreiten.
Rutter hatte in der Vergangenheit zu Demonstrationen von Impfgegnern und Corona-Leugnern aufgerufen. Dass er Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser pädophile Neigungen auf Facebook unterstellte, brachte Rutter 2021 eine Anklage wegen Verhetzung ein, auch wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt musste er vor Gericht.
Bevor er sich dem Kampf gegen die Bundesregierung verschrieb, war Rutter aber selbst Politiker; beim BZÖ, dem Team Kärnten (Team Stronach) und den Grünen. 2013 zog er für das Team Kärnten in den Landtag ein, wurde 2017 jedoch aufgrund rechtsextremer Verschwörungstheorien ausgeschlossen. 2019 trat er bei den Nationalratswahlen für das BZÖ an, die Partei schaffte den Sprung ins Parlament aber nicht.
Unterstützung aus Deutschland
Aber nicht nur Österreicher demonstrierten vor dem "Landl". Carsten Stahl, seines Zeichens Kampfsportler und Gründer des "Bündnis Kinderschutz", war extra aus Deutschland angereist. Schon der erste geplatzte Teichtmeister-Prozesstermin im Februar hielt ihn nicht davon ab, mit einer Gruppe vor dem Gerichtsgebäude aufzukreuzen. "Null Toleranz für Kinderschänder!" oder "Gemeinsam zum Schutz unserer Kinder", steht auf Bannern, die Stahl und seine Anhänger vor Demonstrationen wie der heutigen medienwirksam in die Luft halten.
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Auf mehreren kleinen Flaggen, die auf der Kundgebung geschwenkt wurden, war der Name des Vereins zu lesen: "Bündnis Kinderschutz". Doch wer verbirgt sich eigentlich hinter diesen selbsternannten Missbrauchsjägern?
Missbrauch-Vorwürfe in Lech
Bekannt wurde das Bündnis vor allem wegen eines mutmaßlichen Missbrauchs in Vorarlberg, den der Verein am 3. Februar dieses Jahres öffentlich machte. Dabei ging es um Vorwürfe gegen einen Betreuer einer Skischule in Lech, der angeblich einen dreijährigen Buben sexuell missbraucht haben soll.
Der Verein nahm aktiv Kontakt mit verschiedenen Medien auf und fütterte sie stückchenweise mit Informationen, die die Behörden selbst aus Opfer- und Datenschutzgründen zurückhielten. Stahl warf der privaten Skischule vor, die Öffentlichkeit und die Behörden angelogen zu haben, was das Sicherheitskonzept der Einrichtung und das Dienstverhältnis des Betreuers betraf.
Bei einer Pressekonferenz griffen der Vater des dreijährigen Buben, sein Anwalt Nikolaus Rast und Vereinsobmann Roberto D'Atri die Polizei sowie die ermittelnden Behörden frontal an. Die Ermittlungen hätten zu viel Zeit in Anspruch genommen und wären außerdem schlampig gewesen. Der Vater zeigte die Polizei schließlich an.
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Wer steckt nun hinter diesem Verein? Die Mitglieder treten in der Öffentlichkeit stets dominant, selbstbewusst und teilweise auch angriffslustig auf. Sie wollen den Eindruck vermitteln, als seien sie diejenigen, die sich wirklich um Kinderrechte kümmern und für mehr Schutz einsetzen. Etwas, das dabei immer mitzuschwingen scheint: Brachiale Männlichkeit.
Stahl war selbst Mobbingopfer
Eine Eigenschaft, die viele wohl auch dem Gründer des Vereins - Carsten Stahl - zuschreiben würden. Der ehemalige Kampfsportler rief den Verein vor rund zehn Jahren in Deutschland ins Leben. Der ehemalige Personenschützer und heute selbsternannter "Gewaltpräventionstrainer" hatte für ein paar Jahre auch eine Reality-Show auf RTL 2.
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Darin besuchte der Kampfsportler Kinder und Jugendliche an Schulen und unterhielt sich mit ihnen über Gewalt, Kriminalität und Mobbing. Der Berliner war in seiner Jugend selbst Anführer einer kriminellen Bande. Sein Drang, Kinder zu schützen, dürfte auch mit seinen eigenen Erfahrungen zusammenhängen: Stahl war laut eigenen Angaben auch als Kind ein Mobbingopfer. Dann fand er eine Methode, sich zu wehren und im wahrsten Sinne des Wortes zurückzuschlagen: Den Sport.
Für sein "Bündnis Kinderschutz" suchte sich Stahl Testimonials wie den ehemaligen deutschen Schwergewichtsboxer Axel Schulz oder den Comedian Mario Barth. D'Atri fügte diesen für den Österreich-Ableger vor allem weitere Kampfsportler wie Thaiboxer Fadi Merza und Boxer Marcos Nader hinzu, die sich für die Website des Vereins in Kampfposen ablichten ließen.
Kritik von Kinderschutzeinrichtungen
Die Vertreter des Vereins setzen sich seither leidenschaftlich für harte Strafen für Täter ein - unter anderem auch für Teichtmeister. Nach einigen Medienberichten über das Bündnis äußerten aber immer mehr Kinderschutzeinrichtungen Kritik. Es geht den Einrichtungen genau um das, wofür sich das Bündnis eigentlich einzusetzen vorgibt: Den Schutz der Kinder.
Wenn die Identität des Kindes preisgegeben wird, sagt die Psychologin und Leiterin der Kinderschutzorganisation Die Möwe, Hedwig Wölfl, gegenüber dem Standard, werde eine Dynamik in Gang gesetzt, in der das Kind keinen Schutz mehr hat. "Das mediale Outing stellt Betroffene bloß und macht alle zu Mitwissern."
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Unüberlegte, wenn auch lieb gemeinte Fragen von Kindergartenfreunden oder deren Eltern wie "Was ist da passiert?" könnten das missbrauchte Kind stigmatisieren oder sogar retraumatisieren – und ein Leben lang begleiten. Das sei einer der Gründe, warum Kinderschutzorganisationen nie aktiv Fälle an die Öffentlichkeit tragen, sagt Wölfl.