So gegen 17 Uhr bricht zum ersten Mal leichte Panik in mir aus. In zwei Stunden kommt meine Freundin Steffi und ich bin etwa 35 Arbeitsschritte hinter meinem nur in Grundzügen existierenden Zeitplan. Die Aufgabe: Ein Drei-Gänge-Menü nachkochen – aus dem Jahr 1889.
So alt ist die Ausgabe der „Süddeutschen Küche“, die seit mehreren Generationen im Bücherregal meiner Familie steht. Autorin des erfolgreichsten Kochbuchs der K.-u.-k-Zeit, das bis heute immer wieder neu aufgelegt wird, war die 1818 geborene Steirerin Katharina Prato.
An diesem Buch aus der zwanzigsten Auflage ist die Zeit nicht spurlos vorübergegangen: Es ist schon recht zerfleddert, und aus manchen Seiten flattern einem alte Rechnungen und Notizen in Kurrentschrift entgegen. Doch wie gut sind eigentlich die Rezepte gealtert? Das hoffe ich, nach diesem Experiment beurteilen zu können.
Historische Hindernisse
Für die von modernen Kochbüchern verwöhnte Gelegenheitsköchin tun sich gleich mehrere Probleme auf: Zum einen sind die Mengenangaben mehr als vage. „Ziemlich viele Zwiebeln“, „ein paar Hühner“, oder einfach gar kein Kommentar. Wenn es denn Angaben gibt, dann in Deka. Das sollte ja prinzipiell wirklich kein Problem sein.
Trotzdem passierte mir ein „Freud’scher Verrechner“, als ich statt 70 g gleich 700 g Kochschokolade in den Einkaufskorb gelegt habe. Zu meiner Verteidigung: Es war ein langer Tag. Und es soll Schlimmeres geben, als zu viel Schokolade.
Dabei hatte ich sogar noch Glück, immerhin wurde in Österreich-Ungarn das metrische System erst vier Jahre vor Erscheinen meines Kochbuchs eingeführt. Bei der Umrechnung von Pfund und Lot wäre ich wohl noch viel deutlicher gescheitert.
Zu tödten
Überraschend oft benötigt man einen ausgekochten Schweinekopf und Krebsbutter. Diese wird – falls Sie sich gefragt haben – unter anderem aus der Schale gesottener Krebse gewonnen und kam seinerzeit auch in der Dessertküche zum Einsatz.
Überhaupt ist das Kochbuch nichts für zartbesaitete Köchinnen und Köche, wie auch das Rezept für gedünsteten Fischotter oder die Anleitung Schildkröten zu tödten zeigt: „Man hält ein glühend gemachtes Eisen auf das Rückenschild, damit sie den Kopf und die Pfoten herausstrecken, worauf man jenen schnell abhackt, sowie auch den Schweif.“ Ganz so exotisch (und illegal) wird es in meiner Küche nicht.
Erster Gang
Wir beginnen mit Panadel(suppe). Zugegeben, ich habe mich wegen der Einfachheit des Rezepts für diese Vorspeise entschieden. Man braucht nämlich nur ein paar alte Semmeln, die man dann mit Rindssuppe verkocht und zum Schluss mit einem Eidotter verquirlt. Simpel genug also.
„Schön ist sie ja nicht“, sagt die inzwischen eingetroffene Steffi. Beim Anblick des hellbeigen Gatsches auf unseren Tellern muss ich ihr recht geben. Die freudige Überraschung: Es schmeckt sehr viel besser, als es aussieht. „Ich kann mir sogar Situationen vorstellen, in denen man das vielleicht sogar gern essen würde“, meint mein Gast überaus diplomatisch.
Junge Hühner
Unser Hauptgang, so Katharina Prato, ist eigentlich ein Zwischengang. Aber wir machen aus der Einschiebspeise den Star: Chicken Nuggets anno dazumal. Oder wie es die Autorin formuliert: Gebackene Würstchen (Croquetten) von jungen Hühnern.
Das Fleisch gebratener junger Hühner – oder in meinem Fall Bio-Hühner unbestimmten Alters – wird zerfasert, mit lichter Bratensauce vermischt, mit Limonensaft gesäuert, auf bemehltem Brette in fingerlange Würstchen gerollt, paniert und schließlich in Schmalz gebraten.
Zwischendurch kommen mir starke und berechtigte Zweifel an der strukturellen Integrität meiner Croquetten. Das mit dem leichten Hinrollen auf dem Brette klappt so gar nicht, mehrfach brechen Steffi und ich angesichts der Hendlgreuel ins Lachen der Verzweiflung aus. Doch alle Zweifel lösen sich beim Braten im Schmalzgeruch auf. Die Panier hält alles zusammen, so wie es für die gute Wiener Küche gehört.
Gut geschmalzt
Dazu gibt es Reis mit Paradiesäpfeln. Mit anderen Worten: Tomatenreis. „Die haben damals schon gewusst, was sie machen“, sagt Steffi mit Blick auf das brutzelnde Schmalz. „Schmalz ist halt einfach geil.“ Dementsprechend positiv fällt auch unser Urteil zu den Croquetten aus. Außen knusprig, innen saftiges Hendl.
Ein kleiner Dip, Preiselbeeren oder ein Spritzer Zitrone würden das Gericht in die heutige Zeit holen, sind wir uns einig. Aber Katharina macht zu solch neumodischem Schnickschnack keine Angaben, und wir wagen es nicht, das Rezept zu entweihen.
Auch der Reis überzeugt uns. Kein Wunder, immerhin habe ich vier Deka Parmesankäse hineingerieben. Zuerst wurden einige recht reife Paradiesäpfel (wie viele, Katharina??) mit einer Zwiebel gedünstet, passiert, nebst vier Händevoll rohem Reis in heiße Butter gegeben und mit Suppe gekocht. Salz, Gewürze – Fehlanzeige. Dennoch hat der Reis am Ende überraschend viel Geschmack.
Finale
Nach diesem Gang sind wir recht erledigt. Aber wie sagte schon die große Prato: The Show must go on. Und so geht es an die Chocolate-Würfel. Diese sind – wie eigentlich das ganze Menü – nichts für Menschen mit Cholesterinproblemen.
Sieben Eier wurden hier verarbeitet, unter anderem 21 deka Zucker – und zum Glück nur 7 statt 70 deka Schokolade. Dafür schmeckt es auch wahnsinnig gut, vielleicht auch wegen der vier Deka Brösel, mit Rum befeuchtet.
Wobei auch hier gilt – besonders fotogen ist das Dessert nicht. Das liegt aber nicht unbedingt am Rezept, sondern an meiner schlampigen Glasur. Gut, dass Katharina Prato das nicht mehr erleben muss. Geschmacklich aber würde die Autorin unser Menü loben, zumindest in meiner hoffnungsvollen Vorstellung. Es zählen ja hoffentlich auch in der Süddeutschen Küche die inneren Werte.
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