Wiens Außenbezirke: Plötzlich wichtig in der Krise
Schlüsselübergaben bei neuen Wohnbauten, die gab es in Floridsdorf, in der Donaustadt und in Liesing in den vergangenen Jahren viele.
Lösungen für offensichtliche Probleme wie schlechte Anbindung oder Mängel bei der Infrastruktur dafür aber kaum.
Umso zahlreicher waren medienwirksame Fotos für Prestige-Projekte in den inneren Bezirken (wie etwa beim Gürtelpool).
Wenn überhaupt, bekommen die Stiefkinder unter den Bezirken in Wahlkampfzeiten Aufmerksamkeit – allerdings auch nur jene, in denen der Anteil der Wahlberechtigten hoch ist. Auf diese Stimmen will man nicht verzichten.
Die Pandemie dürfte den Fokus der Stadtpolitiker aber nun verrückt haben. Ohne die Bewohner der bevölkerungsstarken Außenbezirke wird man die Pandemie schließlich nicht in den Griff bekommen.
Augenscheinlich wird dieses Umdenken bei der medizinischen Infrastruktur. In nahezu allen Bezirken wurden Corona-Checkboxen aufgestellt.
Und: Die fehlenden Bezirke sind nicht die äußeren. Im Gegenteil. Allein in Floridsdorf gibt es vier Boxen, in der Inneren Stadt oder auf der Wieden hingegen keine.
„Die Pandemie hat eine Trendumkehr eingeläutet“, sagt Christoph Reinprecht, Soziologe an der Uni Wien. In Wien zentralisiere man seit rund 15 Jahren, ziehe also viele verstreute Einrichtungen in eine zusammen.
„Für Ältere und Kranke ist das schlecht, weil sie weniger mobil sind“, so Reinprecht. Das verdeutlicht, warum jetzt in der Krise zwangsläufig wieder auf viele verstreute Einrichtungen gesetzt werde.
Lange Anreise hemmt
Auch bei der Ausgabe der kostenlosen PCR-Tests von „Alles gurgelt“ ist alles auf möglichst kurze Wege ausgelegt. Tests kann man in jeder BIPA-Filiale holen – nicht nur bei Ausgabestationen in den inneren Bezirken.
„Wenn die Anreise zu umständlich ist, machen die Leute nicht mit“, sagt Margaretha Gansterer, Logistik-Professorin an der Uni Klagenfurt, die „Alles gurgelt“ berät.
Die Pandemie hat eine Trendumkehr eingeläutet. Statt Zentralisierung wird auf verstreute Einrichtungen gesetzt
Das habe sich auch bei den ersten Massentests im Dezember gezeigt, so Gansterer. In Wien ließen sich damals lediglich 13,5 Prozent der Bevölkerung testen.
Anfangs gab es nur drei Teststraßen in der Stadt. Mit dem Happel-Stadion, beim Austria Center und auf der Donauinsel war zwar der Norden überdurchschnittlich gut aufgestellt, für den Süden gab es keine nahe Test-Möglichkeit.
Erschwerend kam hinzu, dass große Teile des Südens schlecht angebunden sind: So hat laut Arbeiterkammer etwa nur die Hälfte der Bewohner Liesings Zugang zu hochrangigen Öffis wie der U-Bahn – der 23. Bezirk ist damit Schlusslicht.
Zum Vergleich: In Favoriten sind es 90 Prozent. Kein Wunder also, dass weitere Teststraßen eingerichtet wurden, eine davon in Alt Erlaa.
Ein Detail am Rande: Der Antrag in der Bezirksvertretungssitzung von Dezember, dass in Liesing eine Teststraße errichtet werden solle, kam ausgerechnet von jener Partei, die aktuell vehement gegen den „Testzwang“ auftritt: von der FPÖ.
Wenn die Anreise zu umständlich ist, machen die Leute bei Test-Angeboten nicht mit
Um die Bewohner bei Laune zu halten, braucht es aber mehr als medizinische Angebote: Plötzlich kommen die Außenbezirke daher auch bei der Unterhaltung zum Zug.
Das prominenteste Beispiel dafür sind die öffentlichen Schanigärten. Jeweils zwei sollen pro Bezirk umgesetzt werden.
Geplant sind sie nicht nur an bekannten innerstädtischen Orten wie dem Schwarzenbergplatz. Sondern auch auf Plätzen wie dem Fridtjof-Nansen-Park, von dem außerhalb des 23. Bezirks wohl kaum jemand gehört hat.
Ein weiteres Beispiel ist der Kultursommer, bei dem im Juli und August 40 Locations in ganz Wien bespielt werden. Auch der Donauinselfest-Bus tourt wieder durch alle Bezirke.
Für etwas Zerstreuung muss also niemand weit fahren.
Nicht zu vergessen: Die kürzlich neu präsentierten Outdoor-Möbel der Stadt – genannt „Ruhdi“. 73 davon werden heuer aufgestellt – und das ausschließlich auf Grünflächen am Stadtrand.
Die neue Charme-Offensive für die Außenbezirke täuscht aber nicht darüber hinweg, dass es noch viel zu tun ist. Nach wie vor gibt es zu wenig Ärzte, Schulen und Öffis.
Aber ob nach der Krise der Fokus auf ihnen bleibt, gilt abzuwarten. Dass Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) politisch in Floridsdorf sozialisiert wurde, könnte dabei hilfreich sein.
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