Wie den Wiener Plastikmüllsammlern das Leben schwergemacht wird

Die Kermit-Froschaugen verhindern den Einwurf größerer Mengen Plastikmüll in die gelben Tonnen.
Die Wiener verursachen zu viel Rest- und trennen zu wenig Plastikmüll. Schuld daran sind Faktoren wie Großstadtanonymität, Migration, aber auch das Wiener Sammelsystem.
Nach dem KURIER-Bericht vor zwei Wochen gingen die Emotionen hoch – denn viele Leser berichten, dass ihnen in der Bundeshauptstadt die Sammelleidenschaft extra schwer gemacht würde.
Zur Erinnerung: Entgegen der Meinung der ARA (Altstoff Recycling Austria) und zahlreicher Experten hält Wien am sogenannten Bringsystem (im Gegensatz zum Holsystem) fest. Heißt: Die Bewohner sollen ihre Plastikverpackungen zu Containern außerhalb des Wohnbereichs bringen. Nur bei Neubauten stellt die MA 48 (Abfallwirtschaft) auch gelbe Tonnen in Müllräume.
Es geht ums Geld
Und bei bestehenden Wohnbauten? Hier berichtet etwa ein Hausverwalter (anonym) vom regelrechten Widerwillen der Stadt Wien: Sein Antrag auf eine (kostenlose) gelbe Tonne wurde nämlich negativ beschieden – mit dem Argument, dass Wien „aufgrund logistischer Vorteile“ auf Container „auf öffentlichem Gut oder auf Liegenschaften, wo hohen Mengen an Leichtverpackungen anfallen“, setze. Für den Hausverwalter eine Ausrede, denn schließlich seien seine umweltbewussten Bewohner „sehr fleißige Mülltrenner“.
Eine MA-48-Sprecherin begründet diese restriktive Haltung mit der „Wirtschaftlichkeit“: „Die MA 48 ist bei der getrennten Sammlung Auftragnehmerin der ARA und muss kostendeckend arbeiten.“ Zudem würde das neue Einwegpfandsystem auf PET-Flaschen die Mengen weiter reduzieren – daher verweist man auf die existierenden 19.000 Sammelbehälter im öffentlichen Raum.
Ein großes Ärgernis stellen auch die geschlossenen Deckel der Sammelcontainer dar: Wer den Plastikmüll zu Hause sammeln will, um dann alles auf einmal im Sack zu entsorgen, hat Pech. Denn durch die kreisrunden Öffnungen passen dann nur Einzelstücke durch. Im KURIER-Forum wird dies als „Ignoranz“ respektive „Boshaftigkeit“ Wiens kritisiert. Dazu muss man wissen, dass die Froschaugen-ähnlichen „Kermit-Öffnungen“ vor rund 20 Jahren etabliert wurden, um den Menschen zu signalisieren, man möchte nur Rundes haben – also PET-Flaschen. Dieser Grund ist nunmehr aber obsolet.
Der Deckel wird jetzt evaluiert
Die Wiener Deckelform samt Sperre steht jetzt auch auf dem Prüfstand, wie die MA 48 mitteilt. Bis „Ende des Jahres“ wird gemeinsam mit der ARA evaluiert – wobei Wien beim „Frosch“ bleiben möchte: Denn der „Reinheitsgehalt des Materials“ sei dadurch höher. „Ab einem bestimmten Anteil an Fehlwürfen kann das Sammelmaterial nicht mehr vernünftig sortiert werden.“
Offiziell sieht sich die Stadt Wien „europaweit als Vorreiterin“ – die nackten Zahlen zeigen allerdings ein anderes Bild:
261,5 kg Restmüll pro Jahr und Kopf produziert Wien – das ist um 100 kg mehr als der Österreich-Schnitt. Auch beim Plastikmüll bildet die Hauptstadt das Schlusslicht: Jeder Wiener sammelt nur 8,1 kg pro Jahr – während die Tiroler mit 35,7 kg führen.
Damit wird die EU-Recyclingquote zur Mission impossible: Heuer sollten 50 Prozent der Plastikverpackungen wiederverwertet werden, zuletzt hielt man bei nur 26 Prozent.
Keine kleineren Tonnen
Schließlich stellt sich noch die Frage des Sammelanreizes durch Mengen- und Kostenreduktion bei Restmülltonnen: Während jenseits der Stadtgrenze in NÖ die Abholung nur einmal im Monat passiert, geschieht sie diesseits einmal pro Woche – verpflichtend mit mindestens einem 120-Liter-Kübel. Dadurch zahlen die Wiener nicht nur höhere Müllgebühren, sie haben mit einer viereinhalb Mal so hohen potenziellen Restmüllmenge auch wenig Sammelanreiz.
Interessant ist, dass im städtischen Abfallwirtschaftsplan eine Reduzierung des Mindestvolumens angedacht wird – allerdings nur unter „Sicherstellung der Finanzierung“ der Abfallwirtschaft. Im Klartext: Die Erziehung zum Mülltrennen könnte die kommunalen Einnahmen sinken lassen. Tatsächlich winkt die MA-48-Sprecherin ab: „Der Wechsel auf 80-Liter-Behälter ist daher nicht sinnvoll und sachlich nicht gerechtfertigt, da der Grundaufwand ohnehin anfällt.“ Letztlich seien die Wiener „für Sammelqualität und -menge“ selbst verantwortlich. Und eben nicht das städtische Sammelsystem.
MA-48-Chef sieht Touristen mitverantwortlich
Übrigens: Im ORF hat zuletzt 48er-Chef Josef Thon in Reaktion auf den KURIER-Bericht die hohen Restmüllmengen unter anderem mit den vielen Touristen in der Stadt begründet. Allerdings geben das die Zahlen nicht her: Wien hatte zuletzt 19 Millionen Nächtigungen pro Jahr, Österreichs Plastiksammel-Primus Tirol deren 49 Millionen.
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