Alles muss raus – oder besser: rein. In die Gelbe Tonne oder den Gelben Sack nämlich. Von der Chips-Packung bis zum Joghurtbecher, vom Tetrapack bis zum Plastikteller, von der Alufolie bis zur Bierkapsel. Aber bitte, wer tut sich das in Wien an? Jedes Fuzerl fein säuberlich zu sortieren, zu reinigen, zu lagern und dann in den meist einige Ecken entfernten Recylingbehälter zu schmeißen? Viel zu wenige jedenfalls, wie Abfalldaten unschwer beweisen – denn die Hauptstädter verursachen viel zu viel Rest- und sammeln viel zu wenig Plastikmüll. Sie (also wir) sind ziemliche Schweindln, um einen alten 48er-Spruch zu zitieren.
Offiziell sieht sich die Stadt Wien „europaweit als Vorreiterin“, die nackten Zahlen zeigen allerdings ein ziemlich desaströses Bild: So produziert jeder der zwei Millionen Wiener 261,5 Kilogramm Restmüll pro Jahr – das ist um genau 100 kg mehr als der Österreich-Schnitt; und fast vier Mal so viel wie die „Muster-Mülltrenner“ aus Vorarlberg. Aber es kommt noch schlimmer: Bei Leichtverpackungen aus Plastik und Metall sammelt jeder Wiener nur 8,1 kg pro Jahr – während die Tiroler mit 35,7 kg Spitzenreiter sind (siehe Grafik). Wertvolle Rohstoffe werden also im Müllofen verfeuert, statt in den Kreislauf eingebunden zu werden.
Diese Zahlen haben auch vor dem Hintergrund des neuen Einwegpfandes auf PET-Flaschen und Dosen durchaus Brisanz, schließlich mehrten sich zuletzt die kritischen Stimmen Richtung Wien. Tenor: Statt landesweit sehr teures Pfandsystem zu verordnen (mit 110 Millionen Euro Förderung) hätte man gezielt in der Großstadt die Sammelprobleme angehen müssen, hieß es etwa von Saubermacher oder dem Markenartikelverband. Wenn man bedenkt, dass es ausgerechnet bei den Plastikgetränkeflaschen schon jetzt eine hohe Sammelquote gibt (77 Prozent), wirkt dieses Pfand noch zweifelhafter.
Allerdings verweisen Experten auf die strengen EU-Regelungen, die bis 2029 eine Quote von 90 Prozent nur bei PET fordern: „Wir mussten wie in anderen Ländern diesen großen Sprung machen, sonst kommt es zu EU-Strafzahlungen“, erklärt Marion Huber-Humer, Leiterin des Instituts für Abfall- und Kreislaufwirtschaft an der Boku.
Extrem hohe Sammelhürde
Die wesentlich höhere Hürde ist aber eine andere: Denn bis Jahresende müssten laut EU-Recyclingquote die Hälfte aller Plastikverpackungen wiederverwertet werden, bis 2030 sogar 55 Prozent. Der Status ist aber mit zuletzt 26 Prozent ernüchternd. Hinzukommt, dass PET-Flaschen lediglich 15 Prozent der Kunststoffverpackungen ausmachen. Jeder, der rechnen kann, weiß: Das geht sich nicht aus, selbst mit einer viel höheren PET-Quote.
„. . . dann fressen ihn die Raben!“ Den nicht sauber getrennten Plastikmüll nämlich
Womit ganz besonders Wien in den Fokus rückt. Allerdings sind hier die Herausforderungen gewaltig, wie alle Experten unisono beteuern. Denn das am Land seit Jahrzehnten eingespielte Mülltrennsystem lässt sich kaum auf den urbanen Bereich umlegen. In Wien holt die Müllabfuhr die Coloniakübeln (ab 120 Liter) bequemerweise jede Woche ab, während sie in Landgemeinden oft nur noch alle sechs Wochen kommt und das Behältnis 60 Liter misst. Daher ist dort die Bevölkerung gezwungen, penibel Müll zu trennen, weil in der Tonne sonst schlicht kein Platz mehr wäre – und die Mülltrenn-Helden ersparen sich dadurch auch gutes Geld.
Gescheiterter Testlauf
Für die ARA (Altstoff Recycling Austria) gäbe es ein Erfolgsrezept – nämlich Gelbe Tonnen in alle Wohnhäuser zu bringen: „Je näher wir bei den Konsumenten sind und damit die getrennte Sammlung bequemer ist, umso mehr wird gesammelt“, heißt es. Dem widerspricht allerdings die MA 48: „Die Annahme, dass umso näher ein Behälter steht, die Menschen mehr trennen, ist leider nicht richtig. Dies wurde in einem repräsentativen Versuch in Wien festgestellt“, erklärt Sprecherin Sandra Holzinger.
Die EU unterscheidet beim Plastikmüll zwischen der Sammel- und der Recyclingquote. Vereinfacht gesagt müssen deutlich mehr Wertstoffe gesammelt werden, um dann auf die nötige Wiederverwertungsrate zu kommen – denn ein Gutteil der gesammelten Stoffe eignet sich nicht (mehr) für das Recycling. Um etwa das EU-Ziel für heuer von 50 Prozent Recyclingquote bei Kunststoffverpackungen zu erreichen, müssen laut ARA modellhaft 80 Prozent aller Verpackungen gesammelt werden. PET-Flaschen gelten dank des neuen Pfandsystems als „sortenrein“, weshalb ein hoher Prozentsatz wiederverwertet werden kann.
Bei den Plastikflaschen gilt heuer die EU-Vorgabe von 77 Prozent Sammelquote, die bis 2029 auf 90 Prozent ansteigen wird.
So seien in ausgewählten Anlagen in Favoriten (mit 9.500 Bewohnern) Gelbe Tonnen in Müllräumen aufgestellt worden – mit einem ernüchternden Ergebnis: Von zehn Plastikflaschen seien nur zwei in der Gelben Tonne gelandet. Fazit: „Der Aufwand und damit die Kosten haben sich für die gleiche gesammelte Menge verdoppelt, der Fehlwurfanteil ebenfalls.“ Dennoch sind Gelbe Tonnen im Neubau längst Pflicht, in bestehenden Gebäuden sind sie optional möglich.
Der Aspekt der Migration
Der gescheiterte Versuch im „10. Hieb“ zeigt freilich auch einen weiteren Aspekt auf – den der Migration. Denn es sind nicht nur die Anonymität der Großstadt und die Bequemlichkeit der Städter, die für die schlechten Quoten verantwortlich sind. „Da geht es weniger um sprachliche Probleme, sondern vielmehr um kulturelle Werteunterschiede und Bewusstseinsbildung“, sagt Boku-Expertin Huber-Humer. „Wir wissen aus diversen Milieustudien, dass gewisse Bevölkerungsschichten für Umwelt- und Nachhaltigkeitsfragen wenig zugänglich sind.“ Und da sei Wien international keine Ausnahme.
Laut Experten können das bis zu 25 Prozent der Bevölkerung sein – demnach eine halbe Million Wiener. Das ist, wie wenn ganz Kärnten seinen Müll nicht trennt. Die MA48 versucht dennoch, mit Foldern in 17 Sprachen – etwa auch auf Arabisch – Sprachbarrieren als Ausrede aufzulösen.
Lichtblicke und KI-Hoffnung
Immerhin gibt es doch auch (kleinere) Erfolge in Wien: Der Gelbe Sack für alle Plastik- und Metallverpackungen kommt bereits in 45.000 Haushalten der Randbezirke zum Einsatz; durch die Öffnung der Gelben Tonne (die früher nur Flaschen schluckte) für andere Kunststoffe und Metalle konnte die Menge in Wien zuletzt um ein Viertel gesteigert werden; und es gibt internationale Beispiele von Wertstoff-Abtrennanlagen für Restmüll, die die MA 48 interessiert „beobachtet“.
Bis uns KI den Müll trennt, heißt es aber selber anpacken. Dazu braucht es, wie es Huber-Humer ausdrückt, noch ein „großes Umdenken“: „Es muss in die Köpfe der Leute kommen, dass das wertvolle Sekundärressourcen sind und kein Abfall.“
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